Die Freude bei Michael Sommer war groß, als am 5. Februar 2013 der Oberbefehlshaber der Bundeswehr, Thomas de Maizière, an einer Vorstandssitzung des DGB teilnahm. Es war das erste Mal seit 30 Jahren, dass ein deutscher Verteidigungsminister den DGB besucht hatte, ja sogar eingeladen wurde. Nach einem „wirklich tollen Gespräch“ (Sommer) soll nun eine neue gemeinsame Erklärung von DGB und Bundeswehr erarbeitet werden. Man wolle prüfen, in welchem „gemeinsamen Geist“ eine künftige Zusammenarbeit gestaltet werden kann. Sowohl Sommer als auch de Maizière zeigen dabei keinerlei Berührungsängste. Während Sommer eine bessere Ausrüstung sowie „Schutz und Achtung“ für Soldaten einfordert, verortet de Maizière die Bundeswehr neuerdings im Lager der Friedensbewegung, ohne dass Sommer dem widersprochen hätte. Beide Seiten sind sich nunmehr einig, dass das Verhältnis zwischen bewaffneten Streitkräften und Gewerkschaften einst historisch belastet gewesen sei, dies aber heute keine Rolle mehr spiele.1
Das Auftreten Sommers ist der bisherige Kulminationspunkt einer Anbiederungsstrategie des DGB an die Bundeswehr. Dass Sommer diese schon länger verfolgt, zeigt eine Rede vom März 2011.2 Bedauernd stellte der DGB-Chef damals fest, dass sich zwischen den Gewerkschaften und der Bundeswehr in den 1960er -und 70er-Jahren lediglich ein „gleichgültiger Frieden“ entwickelt habe und seit der Ära Schmidt/Leber faktisch nichts mehr passiert sei, um das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Bundeswehr zu verbessern. Unverständlich bleibt für ihn, wieso es heutzutage unvorstellbar sei, dass ein Gewerkschaftsführer Verteidigungsminister werden könnte. Die Frontstellung der Gewerkschaften habe sich ja nie gegen das Militär an sich, sondern gegen eine konkrete Ausgestaltung gerichtet. Für Sommer steht derweil fest, dass die Auslandseinsätze der Bundeswehr das Verhältnis zu den Gewerkschaften nicht verschlechtern. Im Gegenteil sogar, dass deutsche Streitkräfte Einsätze auf Grundlage internationaler Mandate durchführen, trage sehr zur Entspannung des Verhältnisses bei. Er selbst wolle sich für eine intensivere Kooperation einsetzen und wies dabei auf die Zusammenarbeit auf regionaler Ebene hin.
Gereifte Tradition
In welcher historischen Kontinuität steht das Gebaren Sommers und was für eine Gewerkschaftskonzeption ist es, die ihn darin bestärkt? Neu ist zwar die Offenheit, mit der das Bündnis mit den Streitkräften gesucht wird, doch dem ging ein langer Annäherungsprozess voraus. Es ist beispielsweise ein Trugschluss zu glauben, der DGB hätte in seiner Frühphase eine starke Haltung gegen die Remilitarisierung Deutschlands in den 1950er Jahren eingenommen. Als ein paar Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges im Zuge des Kalten Krieges in Westdeutschland eine Debatte über die Wiederbewaffnung entflammt war, befürwortete die Vorstandsebene des DGB eine solche im Gegensatz zur SPD tendenziell schon sehr viel früher. Damit stand sie in Opposition zu einem großen Teil der Bevölkerung, der seiner feindseligen Haltung gegenüber Remilitarisierungsbestrebungen mit dem Slogan „Ohne mich!“ Ausdruck verliehen hatte und damit den Beginn der bundesdeutschen Friedensbewegung markierte.
Die erste öffentliche Äußerung des DGB in dieser Frage stammt von 1950 und bekräftigt die grundlegende deutsche Wehrbereitschaft zur „Verteidigung der westlichen Kultur“ – jedoch vorerst noch unter der Bedingung eines vereinigten Europa. Zwei Jahre später löste Hans vom Hoff, Mitglied des geschäftsführenden DGB-Vorstandes, einen innergewerkschaftlichen Streit aus, als er auf einer Pressetagung davon sprach, dass die Entscheidung über die Remilitarisierung einzig und allein Sache des Parlamentes sei. Zudem sei ein deutscher Wehrbeitrag wie eine Betriebsfeuerwehr: Auf beide könne man nicht verzichten. Im gleichen Jahr hatte der stellvertretende DGB-Vorsitzende Georg Reuter in der Neujahrsausgabe der Wochenzeitung Welt der Arbeit in einem Artikel unter dem bezeichnenden Titel „Mit uns!“ konstatiert: „Wem die Freiheit lieb ist, der wird zu Opfern bereit sein“.
1954 wurde auf dem DGB-Bundeskongress zwar ein die Remilitarisierung ablehnender Beschluss gefällt, jedoch betonte der Bundesausschuss wenig später, dass der Beschluss von Frankfurt den „Charakter einer reinen Demonstration“ trage und den DGB nicht zur Aktivität verpflichte. Ein von nun an immer wiederkehrendes Muster: verbale, symbolische Ablehnung ohne die Bereitschaft, dem auch konkrete gewerkschaftliche Maßnahmen folgen zu lassen. So lehnte der DGB-Vorstand im Herbst 1958 selbst einen völlig harmlosen 5-minütigen Warnstreik gegen die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen mit der Begründung ab, das Volk sei für derartige Aktionen nicht reif. An dem Willen der Bevölkerung hätte es Umfragen zufolge aber nicht gemangelt.3
Sozialdemokratische Arbeitsteilung
Die oben beschriebene Handlungsunfähigkeit bzw. -unwilligkeit ist historisch gewachsen und entstammt aus bester sozialdemokratischer Tradition.4 Die organisatorische Trennung und Kompetenzaufteilung zwischen „politischen“ und „gewerkschaftlichen“ Aufgaben im Zuge langjähriger Organisationsdebatten innerhalb der Sozialdemokratie hat letztlich Gewerkschaften hervorgebracht, die ihren eigenen Aktionsradius in einem extrem eng gesteckten, apolitischen Rahmen verorten. Das letzte Wort in allen politischen Angelegenheiten steht demnach dem Parlament zu, während sich die Kompetenz der Gewerkschaften auf Lohn- und Tarifangelegenheiten beschränkt. Die Unfähigkeit des DGB, in der Bundeswehr strukturell etwas anderes zu sehen als einen „normalen Arbeitgeber“ und Tarifpartner hat viel mit dieser Reduzierung auf das gewerkschaftliche Tagesgeschäft innerhalb eines vorgegebenen Rahmens zu tun. Innerhalb dieses hat sich die Gewerkschaft um wirtschaftliche und soziale Belange der ArbeiterInnen zu kümmern, nicht aber aus eigener Kraft die Rahmenbedingungen selber zu ändern.
Die jüngsten Auswirkungen dieser seichten Denkweise ließen sich etwa 2011 in Kiel beobachten, als Ver.di völlig unkritisch gegen die Schließung des Marinearsenals zum Protest aufrief,5 oder als die IG Metall 2010 im Hinblick auf Kürzungen beim Militäretat vor geringeren Rüstungsausgaben warnte, um Arbeitsplätze zu schützen. Die Frage nach dem Inhalt der Arbeit sowie dem Sinn und Zweck von Produktion stellte sich dabei vor lauter Borniertheit gar nicht erst. Hier wird wieder jene nationale Beschränktheit sichtbar, die der DGB auch in Lohnfragen stets an den Tag legt.
Der Weg zur gemeinsamen Erklärung
Während antimilitaristisches Gedankengut nach Kriegsende durchaus eine Massenbasis in der Bevölkerung hatte, drang dieses doch hauptsächlich in sozialen Bewegungen außerhalb der Arbeitswelt an die Oberfläche und verlagerte sich so Schritt für Schritt in eine Alternativszene. Der DGB war währenddessen damit beschäftigt, an seinem Einzug in die Kasernen zu arbeiten und den Soldaten gewerkschaftliche Rechte zu verschaffen. Dieses Ziel wurde zum Teil 1966 mit dem sogenannten „Gewerkschaftserlass“ erreicht, der Soldaten das Koalitionsrecht und das Recht auf gewerkschaftliche Betätigung zusprach. 1971 erlangte die ÖTV, eine Vorgängerorganisation von Ver.di, schließlich das volle Werbungs- und Veranstaltungsrecht innerhalb der Kasernen. Später hat man diesen Vorgang als „Großen Friedensschluss“ bezeichnet, ganz als ob den Möglichkeiten legaler gewerkschaftlicher Betätigung im militärischen Rahmen nicht schon aus Prinzip sehr enge Grenzen gesetzt wären.
Ein Jahr später ist mit Georg Leber ein Gewerkschafter Verteidigungsminister geworden. Leber gehörte zum rechten Gewerkschaftsflügel und hatte sich schon 1963 dahingehend geäußert, dass man nicht mehr von einer „Willkür der Unternehmer“ oder von „Ausbeutung“ sprechen könne und trat stets als Fürsprecher eines sozialpartnerschaftlichen Kurses auf.6 Er war als Verteidigungsminister wegbereitend für die gemeinsame Erklärung von DGB und Bundeswehr im Jahre 1981, wobei er schon 1977 vor dem deutschen Bundestag konstatierte, dass der „Konsens zwischen Arbeiterschaft und Armee“ nunmehr hergestellt sei. Zentrale Gemeinsamkeit beider Organisationen in der Sieben-Punkte-Erklärung von 1981 ist die Selbstverortung als unverzichtbare Ordnungsmacht des demokratischen Staates. Außerdem war man auch hier schon bemüht, den Dienst an der Waffe als friedensstiftend umzudefinieren: „Während der Kriegsdienstverweigerer eine waffenlose Welt erhofft, trägt der Soldat durch sein Mitwirken an der militärischen Abschreckung zu einem Zustand bei, in dem Krieg kein praktikables Mittel der Politik mehr sein kann“ (aus Punkt 6 der Erklärung).
Bei so viel Vertrauen in die Wirkung von militärischer Abschreckung mag es verwundern, dass der DGB zu Protesten gegen den NATO-Doppelbeschluss aufrief. Dennoch fand am 5. Oktober 1983 sogar einer der ganz wenigen politischen „Streiks“ in der Geschichte der BRD statt: eine 5-Minuten-Auszeit gegen die Nachrüstung. Zuvor hatte sich der DGB-Vorsitzende Ernst Breit entschieden gegen die Durchführung von Streiks ausgesprochen, so wie sie von verschiedenen Untergliederungen der Gewerkschaften gefordert worden waren. Solche Streiks seien rechtswidrig, da sie nicht die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen beträfen. Auch kurz vor dem Ausbruch des Irakkrieges 2003 führten die großen Gewerkschaften aus Protest eine 10-minütige Arbeitsniederlegung durch, doch sollte man nicht glauben, dass sich aufgrund solcher Pinkelpausen für den Weltfrieden ein neues kritisches Verhältnis zum Militär entwickelt hat.7 Ganz im Gegenteil, nach der Zustimmung des DGB-Vorstands zum völkerrechtswidrigen Einsatz der Bundeswehr im Kosovo-Krieg 1999 konnte auch die Verwicklung der Bundeswehr in den Luftangriff bei Kunduz in Afghanistan 2009, bei dem bis zu 142 Menschen ums Leben kamen (davon viele Zivilisten, oder passender: ArbeiterInnen) nichts an dem Willen der DGB-Führung ändern, engere Beziehungen mit den Streitkräften anzustreben.
Nicht wahrgenommene Gefahren
Vor dem Hintergrund zunehmender Militarisierung der Außenpolitik aber auch der Militarisierung nach innen, etwa durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 17. August 2012, durch das der Einsatz von militärischen Mitteln im Inneren erlaubt wurde, wirkt der neuerliche Schulterschluss von DGB und Bundeswehr gleich noch eine Stufe bizarrer – aber eben nur, wenn man die Dinge nicht durch die sozialpartnerschaftliche Brille betrachtet. Hinzu kommt die stärkere mediale Präsenz der Bundeswehr, die sich durch Rekrutierungskampagnen und Werbung im öffentlichen Raum und in Schulen bemerkbar macht. Ver.di sah sich in diesem Zusammenhang sogar schon genötigt, sich von Protestaktionen u.a. ihrer eigenen Mitglieder gegen die Präsenz der Bundeswehr auf dem Hessentag 2011 zu distanzieren.
Es gibt außerdem genügend Anzeichen für ein Revival des militärischen Streikbruchs auch in der westlichen Welt. Besonders viel Aufmerksamkeit erregte der spontane Streik der spanischen Fluglotsen im Dezember 2010, wegen dem die Regierung den Ausnahmezustand verhängte und die Fluglotsen anschließend mit militärischer Gewalt zur Arbeit zwang. In Griechenland greift der Staat seit Ausbruch der Krise mehr und mehr in Streiks ein, um die Arbeitsordnung sicherzustellen. Auch in den USA und Frankreich drohten die Regierungen jüngst mit dem Einsatz des Militärs gegen Streikende. Es sind vor allem die neuralgischen Punkte einer Wirtschaft wie die Transportindustrie, an denen der Staat geneigt ist, mit Hilfe des Militärs für Ordnung zu sorgen.8 Letztendlich wird er es aber überall dort versuchen, wo Entschlossenheit und Stärke der ArbeiterInnen und ihrer Organisationen ihn dazu herausfordern.
Anmerkungen
[1] ↑ Verteidigungsminister de Maizière zu Gast beim DGB (Audiomitschnitt des gemeinsamen Pressestatements vom 5. Februar 2013 auf www.dgb.de).
[2] ↑ Rede des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer am 8. März 2011 an der HSU/UniBwH zum Thema „Die Gewerkschaften und ihr Verhältnis zur Bundeswehr“ – Persönliche Aufzeichnungen von Oberst Dr. Uwe Hartmann über die frei gehaltene Rede. Download unter www.hsu-hh.de.
[3] ↑ Im April 1958 sprachen sich ganze 52% der westdeutschen Bevölkerung für politische Streiks gegen die atomare Bewaffnung aus, während 83% die Bewaffnung zumindest ablehnten. Siehe Lucy Redler: Der politische Streik in Deutschland nach 1945, Hamburg 2004, S. 52.
[4] ↑ Siehe dazu: Wer hat uns verraten…, in: DA 197.
[5] ↑ Siehe dazu: FAU-Kritik an der Kampagne für den Erhalt des Marinearsenals Kiel, in: Graswurzelrevolution Nr. 366.
[6] ↑ 1963 ist auch das Jahr, in dem der DGB mit dem Düsseldorfer Grundsatzprogramm dem Klassenkampf endgültig abschwor.
[7] ↑ Siehe dazu: Abschied vom Antimilitarismus. Begrabt die Illusionen über den DGB, in: Graswurzelrevolution Nr. 284.
[8] ↑ Siehe dazu: Die Militarisierung des Arbeitskampfes, in: DA 214.
Literatur/Quellen
Trottenberg, Wilhelm: Bundeswehr und Gewerkschaften (1945-1966): Ende einer hundertjährigen Feindschaft, Münster 1995.
Mowinski, Jürgen: Gewerkschaften und Militär in Deutschland: Zu einem historischen Spannungsverhältnis, Hamburg 1981.
Krasemann, Peter (Bearb.): Gewerkschaften und Bundeswehr: Das Verhältnis des DGB zum Militär und die Organisierung von Soldaten, Frankfurt a.M. 1981.