Bald ist es wieder soweit: Der 21. März 2013 nähert sich. Am so genannten „Equal Pay Day“ wird auf den Lohnunterschied zwischen Männern* und Frauen* verwiesen – und Stellung dagegen bezogen. Symbolisch verweist dieses Datum auf die zusätzlich nötige Zeit, die Frauen arbeiten müssten, um auf das vorhergehende Jahr gerechnet den gleichen Lohn wie Männer zu beziehen. Fast drei Monate länger arbeiten ist eine lange Zeit. Ein „Equal Pension Day“ läge jedoch noch später im Jahr. Erst am 8. August 2013 werden Frauen* in Deutschland die Rentenzahlungen erhalten haben, die Männer* im Verlauf des Jahres 2012 angesammelt haben.
Die Studie zum Gender Pension Gap des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) aus dem Jahr 2011 weist auf diesen eklatanten Unterschied zwischen den Renten von Frauen und denen von Männern hin. Mit dem Ziel der Studie, individuelle Aussagen über Alterseinkommen zu treffen, wurde der so genannte Gender Pension Gap aufgedeckt. In diesem Rahmen wurde die statistische Beschäftigung mit dem Thema Rente erstmals von traditionellen Familienmodellen abgelöst, bei denen der Haushaltskontext die Ungleichheiten verschleiert. Ergebnis sind erschreckende Zahlen: Die Rentenlücke beträgt demnach 59,6 %. Während Männer durch selbst-erworbene Rentenansprüche im Schnitt 1595 Euro Rente pro Monat bekommen, liegt der Durchschnitt für Frauen bei 645 Euro. Schon heute sind mit 17 % der weiblichen Beschäftigten sechs Prozent mehr als bei den männlichen Beschäftigten von späterer Altersarmut bedroht.
Das bundesdeutsche Modell der Rentensicherung basiert auf drei Säulen: der gesetzlichen, der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge. In die Berechnungen flossen dabei Einkünfte aus allen drei Säulen ein. Damit ist der Gender Pension Gap ein direktes Abbild der existierenden Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt und bildet die Fehler des Erwerbssystems ab. So zeigt die Studie auch, dass mit steigendem Berufsabschluss der Unterschied geringer wird. Bei Gruppen mit Hochschulabschluss beträgt er nur noch 35,6 % im Gegensatz zu 58,1 % bei Menschen ohne Berufsschulabschluss.
Ebenfalls relevant für den eklatanten Unterschied ist eine Familienpolitik, die durch fehlende Unterstützung zum Beispiel durch Bereitstellung von Kitaplätzen Kinder zu einem relevanten Faktor bei der Rentenberechnung macht. Während ab August 2013 ein Rechtsanspruch auf Kitaplätze bestehen wird, zeigt sich im Vergleich zwischen den Werten der alten und der neuen Bundesländer deutlich der Einfluss familienbedingter Erwerbspausen. Besonders der Einfluss von Eheschließung und Kindern fällt in den neuen Bundesländern absolut und relativ gesehen geringer aus. Im Westen beträgt der Gender Pension Gap demnach für Verheiratete mit Kindern 69,6 % und Verheiratete ohne Kinder 51.6 %, im Osten dagegen nur respektive 39,6 % und 34,3 %.
Im europäischen Vergleich zeigt sich, dass zukünftige Generationen dabei geschlechterübergreifend immer häufiger der Gefahr von Altersarmut ausgesetzt sind. Studien verdeutlichen den Zusammenhang zwischen dieser Entwicklung und der Verbreitung von atypischen Erwerbsverläufen im Rahmen fortschreitender neoliberaler Flexibilisierung. Aufgefangen wird dies aktuell nur noch durch starke staatliche Grundsicherungssysteme, wie sie beispielsweise in den Niederlanden und Dänemark existieren.
Vielfältige Gründe und keine einfachen Forderungen
Die vielfältigen Gründe für den Gender Pension Gap stehen miteinander in enger Beziehung und haben sich in den letzten Jahrzehnten nicht grundlegend verändert. Fundamental sind dabei sicherlich tradierte Rollenbilder, die dazu führen, dass Frauen tendenziell eher zuhause bleiben und sich um die Kindererziehung kümmern. Wenn Kindererziehungszeiten im Rahmen der gesetzlichen Altersversorge theoretisch aufgefangen werden, so sind für den Gender Pension Gap jedoch vor allem die Unterbrechungen der Berufstätigkeit und die Möglichkeiten des Wiedereinstiegs relevant. Rechnet man die Nachteile mit ein, die den Frauen dadurch im Schnitt entstehen, so wären pro Frau acht Kinder notwendig um den Unterschied auszugleichen.
Die Studie des BMFSFJ fasst die Auswirkungen des immer noch vorherrschenden patriarchalen Rollenverständnisses unter dem Schlagwort der brüchigen Erwerbsverläufe von Frauen. Diese seien stark von persönliche Wünschen und Entscheidungen im Paarkontext geprägt. Deutlicher gesagt, gibt es im Zusammenhang von Familie und Rentensystem keine wirkliche Entscheidungsfreiheit: Das Rentensystem genauso wie das Steuersystem unterstützt die Rolle der Frau als Hinzuverdienerin.
Ein weiterer überaus relevanter Faktor, der zum Auseinanderklaffen der Rentenzahlungen führt, liegt in der Gestaltung der Arbeitswelt begründet. Hier führen unter anderem veraltete Rollenbilder zur Konzentration von Frauen in Sektoren, die als „typische Frauenberufe“ gelten, was zu einer allgemeinen Schlechterbezahlung von Frauen führt. Diskutiert wird dieser Umstand unter dem Schlagwort des Gender Pay Gap. Frauen lohnarbeiten demnach im Durchschnitt weniger und zu deutlich niedrigeren Löhnen. Mit großer Mehrheit vertreten sind sie im Einzelhandel, im Gastgewerbe sowie in Erziehung und Pflege. Im Sektor dieser personenbezogenen Dienstleistungen finden sich dabei häufig Anstellungsverhältnisse in Teilzeit, atypische und prekäre Beschäftigungen und Beschäftigungen des Niedriglohnsektors. Der Einfluss solcher Beschäftigungen auf die Rente darf nicht gering geschätzt werden. Selbst nach 45 Jahren durchgängiger Beschäftigung in geringfügig entlohnten Anstellungsverhältnissen wird nur eine Rente in Höhe von 190 Euro ausgezahlt. 3,3 Millionen Frauen und 1,7 Millionen Männer arbeiten aktuell in solchen Beschäftigungsformen.
Keine Änderung in Sicht
Durch die aktuelle Verfassung des Rentensystems schreibt sich der Gender Pay Gap fast unverändert in die zukünftige Rentenlage ein und der aktuelle Unterschied in den Rentenzahlungen wird fortgeführt. Der Gender Pay Gap beträgt laut einer OECD-Studie von 2012 21,6 %. Deutschland belegt damit den letzten Platz der europäischen OECD-Staaten. Allein zwei Drittel dieses Unterschiedes resultieren dabei aus der Art der Arbeit. Während Forschungsinstitute also einen Beschäftigungszuwachs bei Frauen verzeichnen, fällt unter den Tisch, dass dieser hauptsächlich aus Teilzeitanstellungen besteht, die nicht nur schlechter bezahlt sind, sondern darüber hinaus auch schlechtere Aufstiegschancen mit sich bringen.
Aktuelle familienpolitische Programme wie Betreuungsgeld, Elterngeld und das Ehegattensplitting zementieren darüber hinaus ein Familien- und Frauenbild, das einen fundamentalen Wandel im Verständnis von Kindererziehung und Arbeitsteilung unwahrscheinlich erscheinen lässt. Nicht erst die aktuelle Studie „Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen“ verdeutlicht dabei, dass konservative Familienpolitik auch ein konservatives Verständnis von Familie nach sich zieht und unterstützt.
Familie – was ist das gleich?
Der demographische Wandel, ausgewiesen durch die niedrigen Geburtenraten, wird das Rentensystem in der jetzigen Form in den kommenden Jahren ähnlich stark strapazieren wie der allgemeine Abbau von sozialstaatlichen Sicherungssystemen und das Umsichgreifen des Neoliberalismus. Eine Diskussion um neue Konzepte und Rentenmodelle muss dabei zwingend das dargelegte System mit einbeziehen, das zu einem Gender Pension Gap mit untragbaren Ausmaßen führt. Es gilt dabei aus kritischer Sicht auch in der öffentlichen Diskussion selten sichtbar gemachte Positionen mitzudenken und zu benennen.
In der politischen Diskussion wird die Frage der Rentenlücke häufig auf eine familienpolitische verkürzt. Frauenpolitik ist jedoch nicht und kann nicht synonym sein mit Familienpolitik, sonst werden überholte Bilder von Familie wieder aufgewärmt und verstärkt. Nicht nur die Problematik der Reproduktionsarbeit, die immer noch zu großen Teilen in Händen der Frauen liegt, verdeutlicht dies. Von tradierten Vorstellungen abweichende Familienmodelle fallen in der öffentlichen Diskussion immer noch hinten über. Familie ist „überall dort, wo Menschen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen, Sorge tragen und Zuwendung schenken“, definiert das Berliner Zukunftsforum Familie. Egal wie viele Menschen daran beteiligt sind und welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen.
Während die Reproduktionsarbeit, die Frauen im Haushalt leisten, immer noch nicht als Arbeit anerkannt wird, zeichnet sich mit fortschreitender Globalisierung ein neues Ungleichverhältnis ab. Immer häufiger wird gerade diese Arbeit in die Hände von prekär und illegalisiert arbeitenden Frauen gegeben, die mit unsicherem Aufenthaltsstatus in Deutschland leben. Deutlich wird an diesem Punkt, dass es nicht nur um eine einseitige Kritik der veralteten Rollenbilder oder der Situation auf dem Arbeitsmarkt gehen darf, auch Komplexe wie Rassismus dürfen nicht vergessen werden.
Und nun?
An der Tatsache, dass Rente neu gedacht werden muss, kommt auch die Politik mittlerweile nicht herum. Neue Konzepte und Rentenmodelle werden in allen Lagern diskutiert. Allen gemein ist jedoch, dass sie keinen grundlegenden Wandel beinhalten. Von der solidarischen Mindestrente der Partei Die Linke über die Garantierente der Grünen, die Solidarrente der SPD und der Zuschussrente der CDU: Letztendlich geht es nur um Unterschiede in der Frage, welche Mindestrente würdig beziehungsweise gerecht sei.
Dem aktuellen Rentensystem und den diskutierten Modellen gemein ist allerdings ein neoliberales Leistungsprinzip, das in der Rente seine Umsetzung findet. Nur wer lange in gut bezahlten Jobs gearbeitet hat, kann auch im Alter auf eine gute Rente hoffen. Nicht nur aus kapitalismuskritischer und queer-feministischer, sondern ebenso aus gewerkschaftlicher Sicht muss die Rente von einem Arbeitsbegriff entkoppelt werden, der sich an Leistung und Produktivität orientiert. In dieser Logik gibt es für alle Lohnabhängigen nicht viel zu gewinnen.