In wenigen Wochen wird in Brasilien die 20. Fußballweltmeisterschaft angepfiffen werden. Während sich das Land auf das Megaevent vorbereitet, mobilisieren soziale Bewegungen gegen die WM im eigenen Land. Seit Anfang des Jahres organisiert ein Bündnis in São Paulo Demonstrationen mit dem Motto „Ohne Rechte wird es keine WM geben“. Die Kritik am Sportevent soll auf die Straße getragen werden. In erster Linie werden die enormen Ausgaben im Zuge der WM bemängelt und Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitssystem gefordert. Laut den AktivistInnen sind die Konsequenzen der Sportveranstaltung verheerend, vor allem für die ärmsten Bevölkerungsschichten: Bereits über 250.000 Menschen wurden aus ihren Häusern geräumt, um Platz für das „Fußballfest“ zu machen. Der regierenden ArbeiterInnenpartei PT kommt die Kritik äußert ungelegen. Seit den Massenprotesten im vergangenen Juni steht diese nämlich nicht nur im eigenen Land stark unter Druck. Unlängst forderte die FIFA erneut Garantien ein, dass mögliche Demonstrationen nicht den Ablauf des Turniers stören werden. Mit ihrer Kampfansage „Es wird keine WM geben“ fordert die Protestbewegung den Staat heraus. Und dieser reagiert nicht zimperlich. „Seit Juni letzten Jahres gehen BrasilianerInnen auf die Straße. Für die Regierung bedeuten die Proteste eine Destabilisierung, deshalb hat der Staat eine Gegenoffensive gegen soziale Bewegungen gestartet“, meint die Aktivistin Luisa D’Avola. „Gerade im Jahr der WM und der Wahlen kann sich der Staat keine Destabilisierung leisten.“
Ende Februar stoppten PolizistInnen die zweite Großdemonstration des Anti-WM Bündnisses kurz nach Beginn und nahmen 262 Personen fest. JournalistInnen und AnwältInnen berichteten von massiven Behinderungen und Übergriffen sowie von regelrechten Gewaltexzessen von Seiten der Polizei. Im Vorfeld der Demonstration erhielten zahlreiche AktivistInnen, denen unter fadenscheinigen Vorwürfen die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird, Vorladungen, sich zum Zeitpunkt der Demonstration bei einer Polizeiwache zu melden. Außerdem wurden die Häuser von mehreren AktivistInnen durchsucht. In der Stadt Belo Horizonte im Bundesstaat Minas Gerais könnten schon bald verdächtige Personen bereits vor Demonstrationen präventiv festgenommen werden. Konkret würde dies 176 Menschen betreffen, die nach ihrer Teilnahme an Protesten im Jahre 2013 Anzeigen wegen Sachbeschädigungen erhielten. Präsidentin Dilma Rousseff kündigte auf einer Pressekonferenz an, dass man während der WM „auch die Armee mobilisieren“ werde, sollte dies nötig sein. Dies müsse geschehen, um „die Sicherheit von Fans, Touristen, Teams und die der Staatsoberhäupter zu garantieren.“ Zudem bemühen sich PolitikerInnen jeglicher Couleur um die Verabschiedung der Gesetzesinitiative 499 des rechtsgerichteten Senators Romero Juca. KritikerInnen sehen in dem sogenannten Anti-Terror-Gesetz die Gefahr der Unterbindung jeglicher Proteste, unter Anwendung der ungenauen Formulierung von Terrorismus. Der Staat zeigt seine Muskeln. Es scheint, als solle die Protestbewegung durch Einschüchterung mundtot gemacht und im Keim erstickt werden. Derweil brandmarkt die konservative Presse die DemonstrantInnen als „KrawallmacherInnen und Chaoten“.
Trotz der zunehmenden Repression und des medialen Diskurses will die Bewegung weiter auf die Straße gehen und die Proteste auf andere Städte ausweiten. Die Demonstrationen des Bündnisses sind jedoch auch innerhalb der Linken nicht unumstritten. Viele kritisieren den zu hohen Aktionismus und fehlenden politischen Ausdruck. Die TeilnehmerInnenzahlen sinken mit jeder Demonstration, wohl auch, weil sich Basisorganisationen und Stadtteilgruppen kaum noch beteiligen. Diese führen unterdessen vermehrt eigene Proteste durch. Am 26. März beteiligten sich rund 3.000 Menschen an einer Demonstration der Wohnungslosenbewegung MTST in der Innenstadt São Paulos. Die Bewegung versucht mit Besetzungen städtischen Leerstand für obdachlose und arme Familien nutzbar zu machen und Zwangsräumungen entgegen zu wirken. Insbesondere der Status von Nova Palestina bleibt weiter ungeklärt. Rund 8.000 Familien wohnen auf dem besetzten Land im Süden der Stadt. „Die Stadtverwaltung hat immer gesagt, es gäbe kein Geld, das Gelände zu kaufen. Für die WM werden jedoch Millionen ausgegeben“, kritisiert der 43-jährige Ailton Ferreira dos Santos, der in Nova Palestina wohnt.
Mit den Massenprotesten im vergangenen Jahr hat sich eine neue Protestkultur in Brasilien entwickelt. Auch die MüllarbeiterInnen der städtischen Reinigungsfirma Comlurb in Rio de Janeiro sind ein Beispiel dafür. Diese konnten nach einem acht Tage andauernden Streik eine Lohnerhöhung von 38 Prozent mit der Stadtverwaltung aushandeln. In Porto Alegre und Belo Horizonte wehren sich BewohnerInnen auf vielfältige Weise gegen Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr. Viele BrasilianerInnen sind sich sicher, dass es auch während der WM Proteste geben wird. Gründe gibt es auf jeden Fall genug.