Streik ist in Deutschland eine stark reglementierte Sache, die eigentlich nur im Rahmen von Tarifverträgen vorkommt. Nichttarifliche Streiks werden normalerweise als sogenannte „wilde“ Streiks kriminalisiert. Problematisch war das immer schon, vor allem unter dem Aspekt, dass überall dort, wo es keine Tarifverträge oder keine gewerkschaftliche Organisierung gibt, „legales“ Streiken fast unmöglich war und ist.
Spontane Ausstände gab es trotzdem immer wieder. Nur wenige davon sind bekannt. Denn wenn in einem kleinen Betrieb die ArbeiterInnen dem Chef sagen, sie würden nur unter bestimmten Bedingungen weiterarbeiten, erzählt das oft schlicht niemand außerhalb des Betriebs, und es berichtet auch keine Zeitung. Die „wilden Streiks“ bleiben meistens unsichtbar.
Sichtbar wurden sie allerdings 1973 in der Welle sogenannter „Ausländerstreiks“. Die bekanntesten dieser Streiks waren der Streik bei Ford Köln (siehe DA 217) und der Streik beim Vergaserhersteller Pierburg in Neuss. Letzterer wurde vor allem deshalb bekannt, weil er als fast reiner Frauenstreik auch noch von Erfolg gekrönt war – die für Frauen geltende „Leichtlohngruppe 2“ wurde weggestreikt.
Von „Gastarbeit“ zum Werkvertrag
40 Jahre später hat sich die Situation grundlegend gewandelt: Die traditionellen „GastarbeiterInnen“ gibt es kaum noch, die Arbeitsverhältnisse sind nicht mehr dieselben. Ersetzt wurde das Phänomen „GastarbeiterInnen“ durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse, den Arbeitszwang durch Hartz IV, Leiharbeit und Werkverträge und in jüngster Zeit durch eine perfide Kombination zwischen Werkverträgen und der ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit. Die neuen „GastarbeiterInnen“ sind WerkverträglerInnen aus Osteuropa, insbesondere aus Bulgarien und Rumänien. In einigen Städten – insbesondere Duisburg, Dortmund, Mannheim – wird dieser Zuzug unter teilweise rassistischer Diktion problematisiert.
Die Ereignisse des vergangenen Jahres bei der Papenburger Meyer Werft zeigen, dass diese Debatte um eine angeblich „sozialschmarotzerische“ Armutszuwanderung massiv übertrieben ist. Es sind in der Tat meist qualifizierte ArbeiterInnen, die kurzfristig zuwandern, im Vergleich zu den heimischen Verhältnissen gut verdienen und mit diesem Verdienst zu ihren Familien zurück möchten.
Dies war ein Aspekt der Sozialcharta, die im November 2013 zwischen der Meyer Werft, der IG Metall und dem Land Niedersachsen ausgehandelt wurde. Nachdem im Juli 2013 zwei osteuropäische Werkverträgler bei einem Hausbrand umgekommen waren, hatte eine „Task Force“ die Arbeitsbedingungen untersucht. Dabei wurde nicht nur die Unterbringung kritisiert und dezentral neu geregelt, sondern auch festgestellt, dass die WerkverträglerInnen teilweise Doppel- und Dreifachschichten fuhren. Nicht etwa, weil sie dazu gezwungen waren, sondern weil ihr Interesse tatsächlich darin bestand, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel zu arbeiten und damit möglichst viel zu verdienen.
Prekär streiken mit Erfolg
Doch dafür gibt es noch eine andere Möglichkeit, als viel zu arbeiten: Man kann auch höhere Löhne verlangen. Nachdem die WerkverträglerInnen festgestellt hatten, dass ihre Situation Aufmerksamkeit erregt und auch geändert werden kann, erlebte Papenburg eine Form des Streiks, die es bislang nicht gab: 150 bis 200 WerkverträglerInnen legten am 6./7. März die Arbeit nieder. In einem achtstündigen Verhandlungsmarathon setzten sie ihre Forderungen mit Unterstützung des Betriebsrats der Meyer Werft und der lokalen IG Metall gegenüber dem „Personaldienstleister“ Dirks Group aus Emden durch: Auf Wunsch erhalten sie nun deutsche Arbeitsverträge, Überstunden werden direkt ausgezahlt, anstatt durch ein Arbeitszeitkonto verwaltet zu werden, und durch die neuen Arbeitsverträge verbessern sich auch die Leistungen von Kranken- und Sozialversicherung. Papenburg 2014 ist damit ein Erfolg der ArbeiterInnenbewegung wie Pierburg 1973.
„Das Bild vom schwachen Werkvertragsarbeiter ist seit gestern überholt: Mit dem Streik der Rumänen und Bulgaren auf der Meyer Werft hat sich etwas Wesentliches verändert“, kommentierte die Neue Osnabrücker Zeitung unter dem vielsagenden Titel „Ein Sturm zieht auf“ tags darauf. Und in der Tat vermehren sich die Anzeichen für ein kollektives Eintreten für die eigenen Rechte unter den osteuropäischen ArbeiterInnen: So zeigen neben dem Papenburger Streik auch die Ereignisse in Emsdetten, dass sich vermehrt Widerstand regt. Im Zusammenhang mit ebenfalls erstarkenden Flüchtlingsprotesten ergibt sich die Hoffnung auf eine kommende Unruhe. Es gilt nun, solche Proteste zu vernetzen und zu systematisieren.