Proletarisches Theater im Jahr 2014

Gibt es eigentlich noch eine „proletarische Kultur“? Ehrlich gesagt: Eher nicht, denn erstens ist die heutige ArbeiterInnenschaft zu uneinheitlich, um eine gemeinsame Kultur herauszubilden, und zweitens war proletarische Kultur auch immer eine Reaktion auf den Ausschluss aus der bürgerlichen Kultur. Letzteres mag zwar für Theater, Oper usw. – die sogenannte „Hochkultur“ – immer noch gelten, aber mit der Massenkultur – Radio, Fernsehen, Internet, Kino, Download – muss man letztlich doch zugeben, dass eine Kultur für alle erreichbar geworden ist. Ohne Bedarf auch keine milieuspezifische Kultur.

 Stadt der 1000 Feuer – Alte Feuerwache Mannheim. (Foto: Ulrich Stühlen)

Wenn also heute so etwas wie „proletarische Kultur“ ins Theater kommt, kann es sich eigentlich nur um eine historische Erinnerung handeln. Und zum Teil trifft dies auch zu auf Oliver Augsts und John Birkes „Stadt der 1.000 Feuer“. Der Titel bezieht sich auf den Spitznamen der Stadt Gelsenkirchen aufgrund der Fackeln der Koksöfen, der ja nun auch nicht mehr so aktuell ist. Die eigentliche historische Dimension des Stücks ist allerdings die Zitation von Bruno Schönlanks Sprechchor „Der gespaltene Mensch“ aus dem Jahr 1927.

Kultur gegen Rationalisierung

Bruno Schönlank, Sohn eines Sozialdemokraten, war im Ersten Weltkrieg antimilitaristisch aktiv, trat nach dem Krieg in die USPD ein und kämpfte an der Seite des Spartakusbundes in Berlin im Januar 1919. 1921 verließ er die KPD, schloss sich erneut der SPD an und arbeitete als Redakteur verschiedener sozialdemokratischer Zeitungen und Zeitschriften.

Hauptsächlich machte er sich jedoch einen Namen mit seinen Sprechchören. Die ArbeiterInnentheaterbewegung der Weimarer Zeit arbeitete häufig mit Massenchören, um nicht das Individuum, sondern die ArbeiterInnenklasse als Kollektiv auftreten zu lassen. Aufgeführt wurden solche Sprechchöre meist von LaiendarstellerInnen. Oft sollen mehr Leute auf als vor der Bühne gestanden haben.

Gerade „Der gespaltene Mensch“ gilt als Prototyp eines solchen Sprechchors. Es steht in derselben Tradition wie Ernst Tollers „Wandlung“ oder „Masse Mensch“. Tollers der Art nach ähnliche Stücke thematisieren allerdings zeitgenössisch den Krieg und die Revolution, das 1927 entstandene „Der gespaltene Mensch“ spielt lautmalerisch mit den Arbeitsverhältnissen, der Situation am rationalisierten Arbeitsplatz.

Kultur gegen Prekarisierung

Genau hier setzt „Stadt der 1.000 Feuer“ ein bzw. noch einen drauf: Vor dem Hintergrund der Schönlankschen Lautmalerei präsentieren vier SchauspielerInnen verschiedene Arbeitsfelder im Wandel der Zeit. Der Reigen beginnt mit der Arbeit Karl Marx‘ am „Kapital“: Im Vordergrund steht hier jedoch nicht der Inhalt des Kapitals, sondern der Arbeitsprozess eines von Krankheiten zerfressenen armen Mannes beim Verfassen des theoretischen Werks.

Das ist allerdings eher der Auftakt zu einer Beschreibung des Wandels der Arbeitsverhältnisse. Zu Wort kommt jener Gastarbeiter, der, weil er etwas zu langsam war, kein Mofa bekommen hat, ein Rentner, der seiner Maschine hinterhertrauert, das Elend der Praktika und zu guter Letzt die dystopische Fiktion einer „Opfer-Agentur“. Man muss bekanntermaßen mit solchen Dystopien immer aufpassen, dass nicht irgendjemand auf die Idee kommt, eine solche in die Tat umzusetzen. Denn sich für Geld verprügeln oder foltern zu lassen, ist bei dem momentanen Trend zur Entwürdigung in Kultur und Arbeit eigentlich nur ein konsequenter nächster Schritt.

Die Praktikums-Episode bietet dabei sogar Handlungshinweise für Aktionen: Bernadette La Hengst bzw. Charlotte Simon erläutern im Zwiegespräch mit Sven-Åke Johansson als Arbeitgeber, dass es keine unbezahlte Arbeit gibt und die Bezahlung einer Praktikantin dann eben durch die Eltern erfolgt, die dann aber auch im Sponsoring genannt werden müssen.

„Proletarische Kultur“ heute

Wenn man heute noch von so etwas wie einer spezifisch proletarischen Kultur sprechen möchte, dann geht das nur über den Inhalt, sie ist dann jene Kultur, die „Proletarität“ oder eben auch „Prekarität“ zum Inhalt hat. Der Song „Bück dich hoch“ von Deichkind etwa ist ein Beispiel dafür. In diesem Sinne darf auch „Stadt der 1.000 Feuer“ als proletarische Kultur gelten. Schönlanks „Der gespaltene Mensch“ ist übrigens nach 1927 nur noch einmal aufgelegt worden, 1935 in einer Exilliteratur-Anthologie. Man darf ihn wieder entdecken.

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