Die Care-Seite der Marktwirtschaft kennen wir alle: Müde vom Job müssen wir noch schnell die Kinder vom Hort abholen, für die Oma einkaufen, eine Mahlzeit zubereiten und uns nebenbei auch noch erholen, damit wir am nächsten Tag wieder fit sind. Diese Tätigkeiten, auch als Reproduktionsarbeit bekannt, werden noch immer ins Reich des Privaten verbannt. Dort sind sie nach wie vor meist Frauensache, konnte doch die feministische Forderung nach der Politisierung des Privaten bislang nicht umgesetzt werden. Laut Gleichstellungsbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gehen Frauen zwischen 30 und 44 Jahren pro Tag über fünf Stunden unbezahlter Arbeit nach, Männer hingegen nur knapp drei (Stand 2008).
Dabei wird das traditionelle Familienmodell längst durch neue Formen des Zusammenlebens abgelöst. Das Ehegattensplitting oder das kürzlich eingeführte Betreuungsgeld manifestieren zwar noch die antiquierte staatlich gewollte Geschlechtertrennung, doch seit Jahren stagnierende Reallöhne und immer höhere Ausgaben für Miete, Lebensmittel, Mobilität und Energie lassen es kaum zu, dass in Lebensgemeinschaften nur eine Person für das Einkommen sorgt. Inzwischen sind daher Frauen und Männer fast gleichermaßen berufstätig – mit erheblichen Unterschieden, vor allem was die Arbeitszeit und Entlohnung anbelangt. So erhalten Frauen in der BRD im Durchschnitt 22 Prozent weniger Bruttolohn. Viele von ihnen arbeiten in Teilzeit oder sind Minijobberinnen. Zudem sind sie überdurchschnittlich häufig in den Branchen beschäftigt, die besonders prekär sind. Dazu gehören die meisten Bereiche der Care-Ökonomie, wie Kranken- und Altenpflege, Kinderbetreuung, Sozialarbeit, Heilerziehungspflege und das Reinigungs- und Haushaltswesen.
Doppelte Belastung durch doppelte Arbeit
Die zunehmende Prekarisierung der Sorge-Arbeit erstreckt sich sowohl auf entlohnte als auch unbezahlte Tätigkeiten, da beide Bereiche interagieren. Berufstätigkeit und gleichzeitige unbezahlte Sorgearbeit stellen für viele Menschen eine Doppelbelastung dar. Unterm Strich bleibt immer weniger Zeit zur Erholung, für die Beziehungspflege und die Betreuung von Kindern und Angehörigen. Gerade deshalb ist der Markt für diese Dienstleistungen in den letzten Jahrzehnten gewachsen. In der Diskussion um die „Zukunft der Arbeit“ wurde er gerne bemüht, um die postindustrielle Gesellschaft zu charakterisieren. Inzwischen hat sich gezeigt, dass die hohen Erwartungen auch im Care-Bereich nicht erfüllt werden konnten. Denn personalisierte Dienstleistungen sind weniger profitabel, als die industrielle Produktion von Gütern. Konsequenterweise versuchen die ArbeitgeberInnen daher hauptsächlich an den Lohnkosten zu sparen.
Privatwirtschaftliche Richtlinien haben Einzug in die Kranken-, Pflege- und Sozialeinrichtungen gehalten, um die Arbeit „effizienter“ zu gestalten und Stellen zu streichen. Überbelastung, Zeitdruck und schlechte Entlohnung kennzeichnen nahezu alle Bereiche der entlohnten Sorge-Arbeit. Gleichzeitig zieht sich der Staat immer weiter aus der sogenannten Wohlfahrt zurück, während die Zahl der Pflegebedürftigen stetig wächst. Doch nicht der von Medien und Politik hysterisch heraufbeschworene demografische Wandel ist das Problem, sondern ein System, das durch Arbeitszwang, Erwerbslosigkeit und Armut am laufenden Band Risiken und Nebenwirkungen produziert. Das sind neben den körperlichen Beschwerden, die unser Arbeitsleben verursacht, eben auch die psychische Belastung durch Stress, Angst und Überforderung.
Alles Privatsache?
Der staatliche Rückzug aus der Wohlfahrt hat aber auch zur Folge, dass diese Aufgaben wieder vermehrt Privatangelegenheit werden. Besonders, wenn die gesetzliche Pflegeversicherung nur einen Bruchteil teurer Heimaufenthalte deckt. Hier springt dann auch mal der Staat mit dem privaten Pflegezuschuss in die Bresche. Die Verliererinnen dieser Entwicklung sind zweifelsohne Frauen. Sie pflegen nicht nur weit häufiger Angehörige, sie verbringen auch durchschnittlich mehr Zeit in Pflege- und Altenheimen als Männer.
Um die Pflegereform voranzubringen und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, schlägt der zuständige Experte der Bundesregierung nun vor, die berufliche Trennung in Kranken-, Alten- und Kinderpflege ganz aufzugeben, um das Personal noch flexibler einsetzen zu können. Statt generell umzudenken, sollen die Arbeitsbedingungen weiter verschärft werden. Ein breiter öffentlicher Diskurs, wie gute soziale und gesundheitliche Versorgung selbstbestimmt organisiert werden sollte und ob sie sich überhaupt finanziell rentieren muss (und kann), zeichnet sich momentan kaum ab. Ebenso wenig wird die Frage diskutiert, wie in dieser Branche erfolgreiche Arbeitskämpfe geführt werden können, die den ArbeitgeberInnen und nicht den PflegenehmerInnen schaden. Durch die Streiks im öffentlichen Dienst im März, die Aktionen des Bündnisses Pflege am Boden oder den Care-Revolution-Kongress ist das Thema zwar hin und wieder in der Öffentlichkeit präsent. Aber im Moment finden die Kämpfe noch zu vereinzelt statt, um einzuschlagen.