„Die verstaubten Verhältnisse wegcaren.“ Aufkleber mit dieser Parole finden sich noch zahlreich im Berliner Stadtbild. Es sind Erinnerungen an die Aktionskonferenz Care Revolution, die dort Mitte März stattgefunden hat. Nicht nur die große Resonanz, auf die der Kongress stieß, macht deutlich, dass es sich hier nicht um eine der vielen Konferenzen handelt, die schnell wieder vergessen sind. Es war bei vielen der meist jungen TeilnehmerInnen fast eine Aufbruchstimmung zu spüren. Ein neues Thema und moderne Slogans, die auch gesellschaftlich im Trend sind – wann kann eine linke Bewegung das schon einmal von einer Debatte behaupten? Doch genau hier liegt eine Gefahr. Denn der ganze Hype um das Neue und Moderne, das die Thematik der Care-Revolution ausstrahlt, lässt schnell in Vergessenheit geraten, dass es sich eigentlich um ein sehr altes Thema handelt. Lange Zeit wurde es unter dem Begriff Reproduktionsarbeit gefasst. Das klingt manchen dann doch zu altmodisch. Seither gibt es gleich eine ganze Reihe neuerer Begriffe. Care-Revolution steht dabei eindeutig auf dem ersten Platz. Doch auch von Sorgearbeit wird häufig gesprochen.
Daher hat die Berliner Politikwissenschaftlerin Pia Garske in einem Beitrag in der Zeitschrift analyse und kritik den Care-Begriff als beliebig kritisiert: „Seine Offenheit und auch die unscharfen Bestimmungen von AkteurInnen und möglichen Interessengegensätzen macht ihn zu einem Containerbegriff, der ganz unterschiedlich, auch neoliberal gefüllt werden kann.“ Ein Beispiel dafür ist die Auslagerung von Care-Arbeit auf Frauen, in seltenen Fällen auch Männer, aus den Krisenländern der europäischen Peripherie, aber auch aus Asien sowie Zentral- und Lateinamerika. Deutsche Frauen aus der Mittelschicht erlangen so mehr persönliche Autonomie für ihre berufliche Karriere. Für die Care-ArbeiterInnen, die oft sogar mit im Haushalt leben, gilt das allerdings nicht.
Es wäre naiv zu glauben, dass der Kapitalismus nicht auch Teile der Care-Revolution-Debatte für seine Modernisierung vereinnahmen kann, so wie es die Umweltbewegung und viele andere neue soziale Bewegungen erleben mussten. Gerade aus einem syndikalistischen Verständnis heraus wäre es wichtig, die Veränderungen in der Arbeitswelt in den letzten Jahren in den Blick zu nehmen, die mit dazu beigetragen haben, dass die Care-Revolution-Debatt
e nicht nur in Deutschland an Bedeutung gewonnen hat. Diese Veränderungen brachten Jörn Boewe und Johannes Schulten in einem Beitrag in der Wochenzeitung Der Freitag etwas zugespitzt so auf den Punkt: „Vor 30 Jahren schrieben Männer im Blaumann Tarifgeschichte: Stahlkocher, Automobilbauer und Drucker erkämpften 1984 in wochenlangen Streiks den Einstieg in die 35-Stunden-Woche. Heute, 30 Jahre später, ist die Speerspitze der Arbeiterbewegung überwiegend weiblich und trägt blaue, grüne und weiße Kittel“.
Man kann den Kampf um die Verbesserung der Arbeitsverhältnisse in der Berliner Charité als aktuelles Beispiel heranziehen. Die Beschäftigten waren auf der Care-Revolution-Konferenz vertreten. Zeitgleich fand ebenfalls in Berlin ein Treffen des Netzwerks europäischer BasisgewerkschafterInnen statt. Leider gab es keine Bezugnahme aufeinander, was nicht nur im Bereich Gesundheit möglich und wünschenswert gewesen wäre. Das soll keine Kritik, sondern eine Aufforderung sein, die Care-Arbeit in gewerkschaftlichen Zusammenhängen zu organisieren und nicht erst, wenn der nächste Kongress ansteht.