Nachdem ihr langjähriges Projekt nun abgeschlossen ist, kommt der Dokumentarfilm Projekt A der Regisseure Moritz Springer & Marcel Seehuber Anfang Februar in die Kinos. Vorab haben wir uns mit folgendem Interview schonmal einen Einblick verschafft.
Woher kam die Idee zu dem Film?
Moritz: Ich habe Horst Stowasser 2008 auf einer Konferenz kennengelernt, die wir in der Gemeinschaft in Klein Jasedow veranstaltet hatten. Was er von Anarchie erzählt hat und die Leidenschaft, die ich dabei gespürt hab, das hat mich begeistert. Ich hab gedacht: „Da will ich mehr drüber wissen“ – und das ist immer eine gute Ausgangssituation für einen Film. Stowasser fand die Idee super und so nahm das Projekt seinen Lauf. Marcel: Und ich habe das Buch Anarchie! von Horst Stowasser zum Geburtstag geschenkt bekommen, noch bevor Moritz und ich uns kennenlernten. Das Buch hat mir Lust auf eine ernsthafte politische Auseinandersetzung gemacht, es gab mir eine neue Perspektive und zeigte eine politische Idee auf, der ich mich verbunden fühlte. Da war es ein glücklicher Wink des Schicksals, dass Moritz, ich und das Filmprojekt zusammenfanden. Moritz: Das war etwa ein Jahr, nachdem ich Stowasser getroffen habe. Wir haben dann erstmal lange recherchiert und überlegt, wie wir den Film erzählen wollen. Zu drehen haben wir im November 2011 angefangen.
Wie war die Resonanz der Gefilmten?
Moritz: Bis jetzt haben Hanna Poddig, die Jungs vom Kartoffelkombinat und Margarita aus Athen den Film gesehen und alle waren begeistert. Während des Filmens und auch später, am Ende des Schnitts, gab es schon auch immer Diskussionen, was gezeigt werden soll oder was nicht. Wir mussten den Leuten erstmal vermitteln, was uns denn wichtig ist bzw. worum es uns in dem Film geht. Aber sobald das geklärt war, gab es ein Einverständnis untereinander und auch einen großen Vertrauensvorschuss von den Protagonisten uns gegenüber. Da sind wir extrem dankbar für und natürlich freuen wir uns, dass bis jetzt allen der Film gut gefallen hat. Das ist für mich nicht unbedingt selbstverständlich, weil die Bandbreite der gezeigten Projekte ja ziemlich groß ist.Marcel: Und es gab natürlich auch Orte, an denen wir nicht drehen durften oder Menschen, die nicht gefilmt werden wollten. Das war in dem jeweiligen Moment dann manchmal frustrierend, aber unterm Strich macht es auch mehr Sinn, wenn die Menschen zusammenkommen, die einen ähnlichen Ansatz haben. Überhaupt ist natürlich zu sagen, dass der Umgang mit Medien, mit der Presse oder ganz einfach mit Kameras und Dokumentarfilmern wie uns in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich ist.
So einen Film zu machen kostet ja auch einiges. Wer hat denn mitfinanziert?
Moritz: Das Filmbüro MV, die kulturelle Filmförderung aus Mecklenburg-Vorpommern hat das Projekt schon in der Entwicklung gefördert. Das war eine extrem wichtige Unterstützung und ich bin wirklich froh, dass es noch kulturelle Filmförderungen gibt, die auch so ein Projekt unterstützen. MV hat dann auch die Produktion gefördert, die kulturelle Filmförderung NRW kam noch dazu. Gemessen an dem, was normalerweise ein Dokumentarfilm kostet, waren wir aber extrem unterfinanziert und konnten das ganze auch nur mit ganz viel Unterstützung von Freunden und alten und neuen Bekannten umsetzen. Beim Schneiden ging uns dann das Geld aus und so haben wir ‚ne Crowdfunding Kampage gestartet, über die auch nochmal Geld reinkam. So kamen ungefähr 75.000 Euro zusammen mit denen wir den Film gemacht haben. Marcel: Das hört sich jetzt sicher für manche viel an, ist es aber für einen Dokumentarfilm dieser Größe nicht. Hätten nicht so viele Menschen über die vier Jahre hinweg umsonst oder für fast nichts gearbeitet und wir uns nicht an allen Ecken und Enden verschiedenste Dinge zusammengeschnorrt, dann hätten wir sicher mehr als 200.000 Euro Budget gebraucht.
Wie lange dauerten die Dreharbeiten?
Marcel: Unser erster Dreh war mit Hanna bei den letzten großen Anti-Castor Protesten im November 2011. Die Drehs im Ausland haben wir dann in mehreren Blöcken gemacht. Also meistens so drei Wochen am Stück in Griechenland oder eben dann in Spanien. In Deutschland war das einfacher, da haben wir immer wieder mal mit Hanna gedreht. Dazwischen haben wir dann wieder recherchiert oder uns um die Übersetzungen und Untertitelungen des Rohmaterials gekümmert. Abgesehen davon, dass wir noch andere Jobs zum Geld verdienen machen mussten. Ganz zum Schluss kam noch das Kartoffelkombinat dazu. Mit dem Nachdreh waren es dann insgesamt 61 Drehtage.
Gab‘s ein beeindruckendes Erlebnis oder eine beeindruckende Begegnung?
Moritz: Es gab ganz viele beeindruckende Erlebnisse. Der Film kam ja auch zustande, weil Marcel und mich das Thema ganz persönlich interessiert hat. Wir wollten sehen, wie sich Menschen anders organisieren, auch um zu sehen, wie wir das in unser eigenes Umfeld integrieren können. Insofern hatte jedes Projekt seinen ganz eigenen Erkenntnisgewinn. Zusammengefasst hat mir Griechenland gezeigt, dass ein System ganz schnell implodieren kann und du plötzlich die Staatsmacht in Form des Polizeiapparats zu spüren bekommst. Die Militanz der Griechen, auch auf einer ganz physischen Ebene hat mich da beeindruckt und abgeschreckt zugleich. Hanna in Deutschland dagegen ist pazifistisch in ihren Aktionen, aber sehr radikal und zielgerichtet. In gewisser Weise die griechische Wut mit deutscher Effektivität gepaart. In Spanien hat mich die große gesellschaftliche Vision beeindruckt, die dort in den Projekten mitschwingt. Da spürte ich den historischen Geist des Anarchismus am ehesten, der mich ganz persönlich ja auch zu dem Projekt gebracht hat. Dabei bleiben sie nicht in der Theorie stecken, sondern setzen sie in kleinen Schritten um. Das fand ich toll. Das Kartoffelkombinat war dann ein Projekt, das sehr konkret und sehr erfolgreich ein anderes Konzept von Wirtschaften und Eigentum umsetzt. Die arbeiten ganz undogmatisch und ohne anarchistisches Label an der Vision einer anderen Welt. Insofern hat jedes Projekt für mich einen ganz persönlichen Mehrgewinn und mir Mut gemacht, dass eine Transformation der Gesellschaft möglich ist.Marcel: Ich kann mich dem nur anschließen – die Möglichkeit zu haben, sich so mit einem Thema auseinanderzusetzen, das einen interessiert, hat mich unglaublich bereichert. Das versuchen wir mit dem Film ja auch weiterzugeben. Hinzu kommt, dass wir in Altötting parallel zum Film auch unser Hausprojekt gestartet haben und da ganz viele Erfahrungen zusammenkamen und sich gepaart haben.
Gibt es die Idee in ein paar Jahren bei den Projekten/Beteiligten nochmal vorbeizuschauen?
Moritz: Wir wollen auf jeden Fall in Rahmen einer Kinotour bei allen Projekten vorbeischauen. Marcel: Also nicht in ein paar Jahren, sondern im kommenden Jahr. Nach der Tour durch Deutschland geht es erst nach Griechenland und dann nach Spanien. Da hat sich auch schon ein kleines Netzwerk gesponnen.
Wie kam die Auswahl zustande?
Moritz: Das war ein ganz organischer Prozess. Wir wussten, welche unterschiedlichen Bereiche wir abdecken wollten und haben dann erst von zu Hause aus und dann vor Ort nach den passenden Projekten gesucht.
Inwieweit sind die gezeigten Projekte/ProtagonistInnen Wegbereiter einer libertären Gesellschaft? Bzw. welche Rolle spielen sie als Wegbereiter einer libertären Gesellschaft?
Marcel: Ich denke, die Projekte und die Menschen in Projekt A sind ziemlich exemplarisch dafür, was an ganz verschiedenen Ecken in der Welt auf recht ähnliche Arten und Weisen passiert. Das macht auf der einen Seite Hoffnung, weil es eigentlich recht einfach ist loszulegen und man sehen kann, was wenige Menschen alles auf die Beine stellen können. Es sind zum Beispiel nicht viele Menschen, die sich um den Parko Navarinou kümmern oder die angefangen haben, die CIC aufzubauen. Das zeigt, dass wenn wir Menschen die Veränderung in der Welt wollen, wir sie halt einfach machen müssen. Auf der anderen Seite sieht man aber auch, dass die Bewegung nicht so groß ist, wie einem manchmal die reichhaltige anarchistische Literatur vermitteln möchte. Und dass es in der Praxis gar nicht so viele funktionierende Projekte gibt. So manche Idee aus den Büchern liest sich ganz gut, besteht aber dann den Praxistest nicht. Deshalb war unser Ansatz ja, wirklich hinzusehen, was Anarchisten machen um eine andere Welt zu ermöglichen. Welche Rolle sie für eine libertäre Gesellschaft spielen werden, wird davon abhängen, inwieweit die Projekte funktionieren. Werden sie uns ernähren? Uns ein Dach über dem Kopf geben? Uns mit dem versorgen was wir für ein gutes Leben brauchen?
Euer Film wurde mittlerweile schon mit einem Preis ausgezeichnet.
Moritz: Ja, wir haben auf dem internationalen Filmfest München den Publikumspreis gewonnen. Das hat uns riesig gefreut, weil dort nicht nur Dokumentarfilme, sondern vor allem auch internationale Spielfilme laufen. Dass sich das Publikum dann bei 180 Filmen für einen kleinen anarchistischen Film entscheidet, hat uns natürlich extrem gefreut und auch bestärkt in dem Gefühl, dass der Film eine Relevanz hat. Wenn du sechs Jahre an einem Projekt arbeitest, fragst du dich das natürlich zwischendrin.
Weißt Du, wie es den AkteurInnen im Moment gerade ergeht?
Marcel: Sie arbeiten mehr oder weniger an den im Film gezeigten Projekten. Einzeln darauf einzugehen würde hier wahrscheinlich den Rahmen sprengen, aber wir arbeiten daran, die Möglichkeit zu geben sich über unsere Website zu informieren und auch die einzelnen Menschen unterstützen zu können und Kontakt mit ihnen aufnehmen zu können.
Was ist Dein /Euer nächstes Projekt?
Moritz: Ich hab schon eine Idee für ein nächstes Projekt. Momentan gibt es aber mit dem Kinostart und dem ganzen anderen Kram, den es noch zu tun gibt, einfach nicht die Zeit sich hinzusetzen. Insofern wird es noch etwas dauern, bis es etwas Spruchreifes gibt. Aber inhaltlich ist es nah dran an Projekt A.Marcel: Bei mir ist es genauso. Sobald es ein bisschen ruhiger wird, möchte ich an einem Drehbuch zu einem Spielfilm weiterarbeiten, das thematisch auch in die Richtung von Projekt A geht und mich schon länger beschäftigt. Aber es geistern auch einige ganz andere Ideen in meinem Kopf rum. Dokumentarisch könnte es in Richtung einer Welt ohne Menschen gehen. Das wär auch eine utopische Vorstellung. ;-).
Vielen Dank für das Interview!
Drehorte, Projekte und Menschen im Film
Internationales Anarchistisches Treffen 2012 – St. Imier, Schweiz
Das größte anarchistische Treffen der jüngeren Geschichte mit ca. 3.000 TeilnehmerInnen.
Confederación General del Trabajo (CGT) – Barcelona, Spanien
Anarchosyndikalistische Gewerkschaft mit rund 60.000 Mitgliedern.
Parko Navarinou – Athen, Griechenland
Parkplatz, der 2009 besetzt und von AnwohnerInnen und AnarchistInnen zu einem öffentlichen Park umfunktioniert wurde.
Hanna Poddig – Deutschland
Anti-Atom-Aktivistin, die mit Ankettaktionen Atomtransporte blockiert.
Enric Duran – Spanien
Antikapitalistischer Aktivist, der 39 Banken um fast eine halbe Million Euro erleichterte und jetzt im Untergrund lebt.
Cooperativa Integral Catalana (CIC) –
Barcelona, SpanienVon Enric Duran mitinitiierte Kooperative mit mehr als 2.000 Mitgliedern, die mithilfe von alternativen Währungsmodellen, eigener Produktion und Tauschhandel eine Transformation der Gesellschaft herbeiführen möchte.
Kartoffelkombinat – München,
DeutschlandSolidarische Landwirtschaft, die bereits nach zwei Jahren 450 Haushalte versorgt. Tendenz steigend. Das Kartoffelkombinat ist nach der Selbstdefinition der GenossInnen kein anarchistisches Projekt, im Kontext des Films ist es für uns dennoch von großem Interesse.
Produktionsländer: Deutschland / Spanien / Griechenland / Schweiz, Produktionsjahr: 2015, Länge: 84 Min.
Ein Blick auf die Regisseure von Projekt A
Moritz Springer, Regie & Buch Geboren 1979 in Starnberg, träumte als Teenager zusammen mit ein paar Freunden von der eigenen Südseeinsel, bereiste nach der Schule Afrika und lebt inzwischen mit Freunden und Familie auf dem eigenen Hof in der Nähe von Berlin. Nach diversen Erfahrungen auf Spielfilmsets und eigenen kurzen Projekten realisierte er 2014 mit Journey to Jah sein Dokumentarfilmdebüt, mit dem es unter anderem den Publikumspreis auf dem Züricher Filmfest und den Preis der DEFA-Stiftung beim Max-Ophüls Preis gewann.
Filmographie (Auswahl)2013 Journey to Jah Dokumentarfilm – Buch & Regie 2010 Deutsch oder Polnisch Dokumentarfilm – Co-Regie & Co-Autor 2007 Alle anders – alle gleich Dokumentation – Regie 2003 Dem Chaos entsprungen Dokumentarfilm – Regie & Buch 2002 Der Zauberhut Kurzfilm – Regie & Buch
Marcel Seehuber, Regie & Buch Geboren 1976 in München, aufgewachsen in Altötting, subkulturelle Sozialisation in der DIY-Punkbewegung. Seit 1997 im Bereich Film tätig. Von 2003 bis 2009 Studium (Kamera) an der Filmakademie Baden-Württemberg, das er mit dem Diplomfilm Die Maßnahme (Gewinner des First Steps Award 2009) abschloss. Lebt seit 2009 wieder in Altötting, wo er Mitinitiator eines selbstverwalteten Hausprojekts ist und im Selbstversuch praktische Erfahrung in hierarchiefreier Organisation sammelt.
Filmographie (Auswahl)2009 Die Maßnahme Dokumentarfilm – Kamera2006 Die Mitarbeiter der Wahrheit Mockumentary – Buch & Regie2006 Die Gedanken sind frei Dokumentarfilm – Kamera 2006 Gysi und ich Dokumentarfilm – Kamera
Regiestatement Die Logik der Maximierung des Gewinns, unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten, eine Welt hierarchischer Strukturen. Die Widersprüche in denen wir leben sind offensichtlich. Aber welche Möglichkeiten gibt es, die Dinge anders zu machen? Anarchie? Eine Theorie, die gerade durch ihre Radikalität neue Perspektiven eröffnet. […] PROJEKT A soll Mut machen, Diskussionen anstoßen und zeigen, dass es an der Zeit ist, die Dinge wieder selbst in die Hand zu nehmen. Die Notwendigkeit zur Veränderung unserer Welt ist offensichtlich, nicht nur für Anarchisten.(Der vollständige Text findet sich unter www.projekta-film.org
Du willst Projekt A in Deiner Stadt zeigen? Na klar!
Am 4.2.2016 hat der Film in Berlin Premiere. Vielleicht gibt’s auch in Deiner Stadt ein Kino das in Frage kommt. Den Film kann beim Verleih „Drop-Out Cinema“ (www.dropoutcinema.org) bestellt werden. Es ist nicht nötig das Kino zu mieten!