Befreiung und Emanzipation – nicht nur in Rumänien

Die Revista BUNĂ – Zeitschrift für Befreiung und Emanzipation – nicht nur in Rumänien ist eine unregelmäßig erscheinende und unabhängige Zeitschrift auf deutsch, die sich mit der Situation der rumänischen Gesellschaft auseinandersetzt, um eine breitere Berichterstattung zu ermöglichen. Neben der Print-Ausgabe gibt es auch den Blog Revista BUNĂ, auf dem regelmäßig Artikel veröffentlicht werden. Martin von der Revista BUNĂ hat der DA ein paar Fragen beantwortet.

DA: Wie ist es zu der Idee gekommen, die BUNĂ zu veröffentlichen?

M: Der Gedanke, eine Zeitschrift über die gesellschaftliche Situation in Rumänien herauszugeben, entstand um 2013. Die erste Ausgabe der BUNĂ ist dann 2014 erschienen. Die am Projekt beteiligten Menschen wollten mehr Informationen über die rumänische Gesellschaft, ihre Geschichte, die sehr unbekannte anarchistische Szene und die sozialen Kämpfe und Auseinandersetzungen im deutschsprachigen Raum bekannt machen. Die Berichterstattung zu Rumänien erfolgte über viele Jahrzehnte fast nur mit dem eingeschränkten Blick bürgerlicher Journalist:innen und Wissenschaftler:innen. Nur wenige Journalist:innen berichteten wirklich kritisch oder über die zahlreichen „blinden Flecken“, wie z.B. die Judenverfolgungen, den historischen Antisemitismus, die Rolle deutscher Herrschaftshäuser und Unternehmen bei der Ausplünderung des Landes und seiner natürlichen Rohstoffe, ganz zu schweigen von den revolutionären und aufrechten Menschen und Persönlichkeiten, die es in Rumänien auch zu allen Zeiten gab. Erst durch das Aufkommen von neuen sozialen Medien hat sich das etwas zum Besseren gewandelt. Es gibt kein Informationsmonopol mehr, auch wenn die bürgerlichen, pro-kapitalistischen Medien und Autor:innen nach wie vor sehr dominierend sind. Rumänien ist ein geopolitisch/militärisch und ökonomisch wichtiges Land in den Plänen zahlreicher Wirtschaftsunternehmen, Regierungen und auch der NATO.

Die BUNĂ hatte von Anfang an den Anspruch soziale Realitäten zu benennen und zwar ausgehend von unserer Lebensrealität als lohnabhängige, ausgebeutete Menschen. Niemand lebt in Freiheit und Würde, wenn er unter Kapitalismus und Staat leben muss. Die BUNĂ basiert daher nicht nur auf anarchistischen Überzeugungen von individueller Freiheit und Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und gegenseitiger Solidarität, sondern auch auf einem Klassenstandpunkt und der Gegnerschaft zu Kapitalismus, Ausbeutung, Religion und Hierarchie. Wir vertreten einen revolutionären Anspruch. Das ist für viele Menschen ungewöhnlich, die aufgrund ihres Interesses an Rumänien auf uns stoßen und keine besondere politische oder anarchistische „Vorbildung“ haben. Wir sind immer bemüht, in unseren Beiträgen Fakten, Wirkung und mögliche Perspektive zusammenzubringen und zusammen zu denken.

Natürlich ist jede Verbesserung der realen Lebenssituation zu begrüßen. Aber Reformen reichen eben nicht aus, um allen Menschen ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, wenn dadurch neue Abhängigkeiten und Barrieren errichtet werden. Nehmen wir dafür als Beispiel die Kanalisation. Es ist gut, wenn eine funktionierende Kanalisation geschaffen wird, wie sie in großen Teilen der ländlichen Gebiete noch nicht vorhanden ist. Doch in vielen Fällen sind die Kosten dafür so hoch, dass sich Menschen für den Bau oder Anschluss an eine solche Kanalisation verschulden. Auch die Wasser- und Stromkosten in Rumänien sind massiv angestiegen und die Bezahlung der Rechnungen ist vielerorts ein echtes Problem und hat die Einstellung der Versorgung zur Folge. Insofern ist es gut, dass eine vernünftige Kanalisation geschaffen wird, doch die finanzielle Leistungsfähigkeit darf nicht zum Ausschlussgrund führen oder der Maßstab sein. Menschliches Leben muss Vorrang vor Profit haben.

Doch zurück zur Zeitschrift: Der Verlag Barrikade in Hamburg hatte sich 2014 ohne Zögern bereit erklärt, die Zeitschrift zu verlegen. Das hat uns sehr gefreut. Und die Zusammenarbeit mit den Genossen ist sehr gut. Doof ist nur, dass wir es bislang nicht geschafft haben, öfters zu erscheinen. Angepeilt war eine Erscheinungsweise von zwei Ausgaben pro Jahr. Dies haben wir bislang nur im Jahr 2016 hinbekommen.

Die persönlichen Bezüge zu Rumänien sind von Mitarbeiter:in zu Genoss:in recht vielfältig. Es gibt Menschen, die dorthin ausgewandert sind und andersrum, die in den Westen gegangen sind. Es gibt Menschen, deren Partner:innen aus Rumänien stammen. Und es gibt Menschen, die dort aufgewachsen sind und leben. Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie viele Verbindungen es durch alle Generationen hinweg aus Deutschland und Österreich nach Rumänien gibt. Das ist ein großer Schatz an Wissen und Erfahrungen.

Auf dem Blog erscheinen hin und wieder Terminankündigungen, wenn es Veranstaltungen oder Vorträge gibt. Ansonsten stellen wir einige der Beiträge aus den Heften nach einer gewissen Zeit online.

DA: Wer ist an ihr beteiligt und wie funktioniert der Redaktionsprozess?

M: Die BUNĂ hat eine Endredaktion, die sich auch Gedanken über die Inhalte der jeweiligen Ausgaben macht und dann gezielt Leute dafür anspricht. Zu diesem Umfeld an Mitarbeitenden gehören verschiedene Menschen mit verschiedenen Schwerpunkten und Interessengebieten. Teilweise werden wir auch angefragt, etwas zu veröffentlichen oder über ein Ereignis oder eine Kampagne zu berichten. Wir stimmen uns untereinander ab und haben die Freiheit, keine Zeitschrift einer Organisation zu sein und von daher nicht an bestimmte Organisationsvorgaben gebunden zu sein. Wir sind unabhängig von Organisationen und Gruppen, auch wenn manche Redakteur:innen und Mitarbeiter:innen in einer Organisation oder Gruppe organisiert sind. Wir arbeiten gerne und gut mit Menschen aus Rumänien, Deutschland und Österreich zusammen. In die Schweiz gibt es auch Kontakte, aber eine Mitarbeit an der Zeitschrift hat sich daraus (noch) nicht entwickelt.

DA: Bringt ihr die Zeitschrift auch auf Rumänisch heraus? Wie seid ihr vor Ort vernetzt?

M: Die BUNĂ erscheint nur auf Deutsch. Wir übersetzen hin und wieder interessante Beiträge aus dem Rumänischen. Die erste Ausgabe enthielt auch ein paar Beiträge in Englisch. Diese Zweisprachigkeit konnten wir aber nicht fortsetzen. In Rumänien unterhalten wir Kontakte in verschiedene Städte, darunter Bukarest und Cluj-Napoca, aber auch zu Menschen, die in kleinen Gemeinden in ländlichen Gebieten leben.

DA: In der vorletzten Ausgabe vom Sommer 2018 habt ihr ein Interview mit dem anarchistischen Kollektiv A-casa aus der Stadt Cluj (Transsilvanien) veröffentlicht. Ist das Projekt eher eine Seltenheit oder gibt es andere ähnliche Projekte? Wie können anarchistische Gruppen hier das Kollektiv unterstützen?

M: Das A-casă ist leider eine echte Seltenheit und daher umso wichtiger zu unterstützen. Menschen aus dem A-casă beteiligen sich auch an dem anarchistischen Verlag Editura Pagini Libere. Dieser veröffentlicht in einer thematischen Vielzahl viele tolle Sachen und widmet sich sowohl aktuellen Themen und Ereignissen wie auch der Forschung nach den anarchistischen Spuren in Rumänien. Sie unternehmen auch Lesungen und haben 2019 Bakunins „Gott und der Staat“ in einer neuen, großartigen Edition herausgegeben. In Bukarest existiert seit 2010 die Biblioteca Alternativa sowie der kooperativ organisierte Veranstaltungsort MACAZ, in der Lesungen, Vorträge und Feiern durchgeführt werden. In beiden Städten gibt es sicherlich die am deutlichsten wahrnehmbaren öffentlichen anarchistischen Aktivitäten. Das A-casă bezeichnet sich als explizit auf anarchistischen Prinzipien basierend, während die Biblioteca Alternativa politisch weiter gefasst ist. Neben libertären Menschen und Ideen finden sich dort aber auch Marxisten und Menschen mit Sympathien für den elitären Freiheits- und Arbeiterfeind Lenin. Ich denke, das Beste ist immer, den direkten Kontakt zu suchen, wenn man unterstützend tätig sein möchte. Besuche oder eine Veranstaltung können gute Möglichkeiten sein, sich besser kennenzulernen. Das A-casă hat einen eigenen Blog, auf dem man sich einen Eindruck über die Aktivitäten verschaffen kann. (https://acasa.blackblogs.org)

DA: Du bist mit einigen Beiträgen, vor allem in der aktuellen Ausgabe vom Sommer 2020 vertreten, was treibt dich an, dich Themen wie Nationalismus und Faschismus zu widmen?

M: Generell und kurz gesagt: Nationalismus ist ein Gift, das keinen positiven emanzipatorischen Zielen dient und den Menschen auf seine Abstammung reduziert und mit Stereotypen belegt. Nationalismus grenzt ab und schließt aus. Faschismus ist Terror und Vernichtung von Freiheit, Geist, Individualität, Persönlichkeit und ganzer Völker. Er ist absolute Herrschaft und Kontrolle weniger Mächtiger über uns viele. Er propagiert die Lüge der Volksgemeinschaft, in welcher Ausbeuter und Ausgebeutete zum angeblichen Wohl der Allgemeinheit zusammenwirken sollen. Ein Blick in die Geschichte Italiens oder Deutschlands zeigt, dass dem nie so war. Nationalismus und Faschismus sind Todfeinde jeder freiheitlichen, auf Gleichberechtigung und Gleichheit basierenden Gedanken und Gesellschaften. Sie bringen nur Tod, Krieg und Genozid.

Die Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus als junger Mensch machte mich zum Antifaschisten. Doch war mir auch recht bald klar, dass ein reiner Antifaschismus keine Perspektive beinhaltet, wenn er nicht mit anarchistischen Grundwerten verbunden ist. Außerdem kann man sich im Kampf gegen den Faschismus nicht auf den Staat oder das Bürgertum verlassen. Der größte Gegensatz zum Faschismus ist eine anarchistische Gesellschaft, in der Menschen frei und selbstbestimmt in Gleichberechtigung und Solidarität miteinander leben können und in der die grundlegenden Bedürfnisse aller durch gemeinsames, bedarfsorientiertes Arbeiten befriedigt sind.

In Rumänien werden seit vielen Jahrzehnten nationalistische Vorstellungen massiv durch Regierungen, „Bildungseinrichtungen“ und Massenmedien verbreitet. Das war in der Monarchie ebenso der Fall, wie unter den Kommunisten und seit 1989 den „Demokraten“. Dazu kommt noch die extrem nationalistische rumänisch-orthodoxe Kirche. Bis heute ist der Nationalismus allgegenwärtig in Schulbüchern, Kirchen und Medien. Besonders stigmatisiert werden Roma und Juden. Der Antisemitismus war in Rumänien seit dem 19. Jahrhundert extrem weit verbreitet und findet sich noch heute. Nicolae Iorga gilt bis heute als „der“ verehrte Historiker Rumäniens. Nach ihm sind zahlreiche Schulen und Institutionen benannt, ein Geldschein ziert sein Konterfei. Dabei war er wenig mehr als ein Chronologist und vor allem Nationalist, Sozialistenhasser und führender Kopf der 1895 in Dresden gegründeten „Antisemitischen Internationale“. Über den Nationaldichter Mihai Eminescu und dessen Nationalismus, Ausländer- und Judenfeindlichkeit muss man auch sprechen.

Die Aufarbeitung der eigenen faschistischen Vergangenheit wird bekämpft und diffamiert. Deswegen war es mir eine wirkliche Freude, das Buch „Wie Rumänien rumänisch wurde“ des Professors Lucian Boia in der aktuellen Ausgabe der BUNĂ zu besprechen. Denn er widerlegt sachlich und wissenschaftlich jahrzehntealte nationalistische Lügen, beschreibt die bürokratischen staatlichen Manipulationen über Volksgruppen und Religionsgemeinschaften und zeigt Rumänien, wie es wirklich war und teils noch ist: multiethnisch. Seine Studie ist sehr wichtig und ich wünsche ihr größte Verbreitung. Auch bei meiner Auseinandersetzung und Forschung über die anarchistische und syndikalistische Arbeiter:innenbewegung in Rumänien ist der Kampf gegen den Nationalismus und spalterische nationalistische Gefühle und Strömungen immer präsent.

Die historische, anarchistische und syndikalistische Bewegung hatte sich nahezu immer deutlich und klar gegen den Nationalismus und Antisemitismus positioniert. Der populäre, charismatische Arbeiter und syndikalistische Protagonist Ștefan Gheorghiu hat auf Versammlungen, in Reden und Artikeln den rumänischen Nationalismus attackiert und die Phrasen vom „rumänischen Vaterland“, dessen Ziel das Glück aller Rumänen sei, in alle Einzelteile zerlegt. Er ist immer für die Einheit aller Arbeiterinnen und Arbeiter eingetreten, unabhängig ihrer ethnischen Herkunft. Da er sicherlich der populärste authentische „Arbeiterführer“ Rumäniens war, kamen die Kommunisten nach ihrem Machtantritt nicht darum herum, ihn für ihre Zwecke zu vereinnahmen. U.a. benannten sie ihre Eliteschule nach ihm. Seine deutlichen anti-nationalistischen, anti-patriotischen und anarcho-syndikalistischen Überzeugungen wurden aber aus den Veröffentlichungen über ihn herauszensiert.

Wenn ein Mensch heute positive (emanzipatorisch-anarchistische) gesellschaftliche Veränderungen anstrebt und sich damit auseinandersetzt, was andere vor ihm getan haben, welchen Schwierigkeiten sie gegenüberstanden und womit sie erfolgreich waren, dann ist die Auseinandersetzung mit dem militanten Leben von Ștefan Gheorghiu und seinen Kampfgefährt:innen und Kampfgefährten ein großer Gewinn.

DA: Wie schätzt du die Situation in Rumänien in Bezug auf faschistischen Vereinigungen derzeit ein?

M: Rumänien ist generell eine sehr konservative Gesellschaft mit all den angeblich „traditionellen Werten“ von Familie, Ehe und tradiertem Geschlechterrollenverständnis sowie patriotischer „Grundeinstellung“. Hier können die Faschisten schon seit jeher leicht andocken. Denn sie stellen diese Strukturen nicht in Frage, sondern greifen auf sie zurück und nutzen sie als Basis zur Propagierung ihrer weitergehenden Ziele. Zu dieser Gemengelage zählt auch der sehr große negative Einfluss der Rumänischen Orthodoxen Kirche, die offene Faschisten (Legionäre) in den eigenen Reihen hat. Die Kirche, christliche Vereinigungen, „Lebensschützer“, Faschisten und andere Nationalisten haben sich erst vor wenigen Jahren in einer großen Kampagne mit dem Namen „Koalition für die Familie“ zusammengeschlossen, um zu verhindern, dass Menschen gleichen Geschlechts heiraten könnten! Diese Koalition führte einige große Demonstrationen durch und erhielt Unterstützung von verschiedenen Prominenten. Die relative juristische Gleichstellung homosexueller Paare in einigen europäischen Ländern gilt ihnen als Untergangszenario „christlicher und rumänischer Werte“.

Wir haben in der Ausgabe vom Sommer 2018 darüber berichtet. Sie versuchen damit, eine gesellschaftliche Stimmung zu zementieren, die sich zuvorderst gegen Homosexuelle richtet, aber auch alle anderen bedroht, die sich nicht der herrschenden Norm unterordnen können und wollen. Dass die Kampagne vorerst scheiterte, liegt daran, dass sie nicht genügend Unterschriften für die Zulassung einer landesweiten Abstimmung über eine Verfassungsänderung sammeln konnten. Schon in den Jahren vor Gründung dieser Koalition gab es regelmäßig – teils auch gewalttätige – Proteste gegen den Christopher Street Day in Bukarest. Nazi-Skins und Orthodoxe Priester attackierten Menschen, die für gleiche Rechte eintraten.

Zu Beginn der 2000er Jahre wurden Anarchist:innen in Craiova von Faschisten und Polizei gleichermaßen terrorisiert. Zu Beginn der 2010er Jahre mussten sich Anarchist:innen in der Stadt Iași demselben Terror erwehren. In beiden Städten gab es öffentliche anarchistische Aktivitäten, die zumindest in Iași den Charakter der Subkultur verlassen hatten, soziale Probleme aufgriffen, sich unter Arbeiter:innen bemerkbar machten und anarchistische Alternativen artikulierten. In beiden Städten sahen aktive Menschen keine andere Lösung für sich, als durch Migration nach West-Europa diesem Terror zu entkommen. Mich haben die Genoss:innen in Iași und ihre Hingabe an die Sache sehr beeindruckt.

Blickt man auf die ideologischen faschistischen Formationen, findet man eine Vielzahl von ihnen. Oft sind ihre führenden Köpfe untereinander zerstritten. Teilweise gibt es Versuche Allianzen zu schließen. Die meisten stellen sich in die Traditionslinie der historischen Eisernen Garde, die eine einflussreiche, gewalttätige Massenbewegung in Rumänien war und sich stark auf die christliche Religionslehre, den Antisemitismus, Anti-Sozialismus und die Orthodoxe Kirche bezog. Dazu zählen beispielsweise die aktivistische Noua Dreapta (Neue Rechte) und die eher traditionellere Struktur um den selbsternannten Bukarester „Führer der Legionäre“, Serban Suru. Offen faschistische Literatur findet sich in den meisten Buchhandlungen. Es gibt einige themenbezogene spezielle legionäre Vereinigungen, u.a. von Angehörigen ehemaliger faschistisch-legionärer Gefangener in den Arbeits- und Todeslagern der Kommunisten nach 1944. Diese können sich in öffentlichen Gebäuden wie Rathäusern treffen oder werden in Schulklassen und TV-Diskussionsrunden eingeladen. Dort tragen sie zu dem herrschenden Bild bei, dass es Widerstand gegen den zurecht verhassten autoritär-kommunistischen Staat vornehmlich durch Legionäre und Faschisten gegeben hätte.

Über die Streiks von Arbeiter:innen in verschiedenen Städten oder die Gründung einer unabhängigen klassenkämpferischen Gewerkschaft während der unterdrückerischen Herrschaft der extrem nationalistischen Kommunistischen Partei Rumäniens und die danach folgenden Repressionswellen wird selten informiert. Ebenso wenig wie beispielsweise über den rumänischen Anarchisten Nicolas Trifon, der sich in den 1970er Jahren in Opposition gegen die KPR begab und 1977 schließlich das Land verlassen musste. Er lebt heute in Paris. Letztes Jahr ist das Buch „Nicolas Trifon – un parcurs libertar“ über ihn im bereits erwähnten Verlag Editura Pagini Libere erschienen.

Blickt man auf die parlamentarische Ebene, dann finden sich extreme Nationalisten nicht nur in den offen faschistischen Legionärsvereinigungen, sondern auch in demokratischen Parteien wie den Sozialdemokraten (PSD) oder Nationalliberalen (PNL). Bis vor wenigen Jahren war im Parlament zudem die nationalistische Großrumänien-Partei (PRM) vertreten, eine Verbindung von Nationalkommunisten und Faschisten. Sie hatte über zwei Jahrzehnte eine stabile Stammwählerschaft und ist heute noch von regionaler Bedeutung. Neu eingezogen ist mit den Wahlen von Dezember 2020 die rechtsextrem-christliche Partei Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR). Sie wurde mit 535.831 Stimmen viertstärkste Kraft. Bemerkenswert ist, dass sie auch von den sog. „Auslandsrumänen“, also rumänischen Staatsangehörigen, die in anderen, meist europäischen Ländern leben und arbeiten, sehr viele Stimmen erhalten hat. So hat sie in Italien die meisten Stimmen der rumänischen Wähler:innen erhalten, in Spanien kam sie auf den zweiten Platz. In beiden Ländern gibt es zudem Sektionen der militant-faschistischen Organisation Noua Dreapta, die selbst zu den Wahlen angetreten ist. In Deutschland steht Noua Dreapta mit der NPD in Verbindung. Rumänische Faschisten sind nahezu weltweit vernetzt, mit Schwerpunkten in den romanisch-sprachigen Ländern wie Spanien, Italien und Frankreich.

Angemerkt werden muss, dass es sich bei den Wahlen vom Dezember um jene mit der historisch niedrigsten Wahlbeteiligung seit 1989 handelt (33,2%). Welche Legitimität hat solch ein Parlament? Welche Akzeptanz der Staat? Viele Menschen in Rumänien haben kein Vertrauen in Politik, Politiker, Parteien und das bestehende System. Alltägliche Korruption und Inkompetenz, beginnend auf den höchsten staatlichen Ebenen bis hinunter zu lokalen Gemeindeverwaltungen, sind immer wieder Anlässe für Massendemonstrationen. Faschisten können hier noch viel zu oft andocken und sind auf den Demonstrationen geduldet. Der bekannte historische legionäre Führer Corneliu Codreanu galt und gilt als Feind der Korruption und als ein selbstgenügsamer Asket. Viele, gerade auch Jugendliche, sehen in ihm einen Idealisten. Vor vier Jahren war die Hymne einer skandinavischen Nazi-Band über ihn unter Schüler:innen weitverbreitet.

Der reaktionäre und faschistische Teil der Gesellschaft in Rumänien ist schichtenübergreifend organisiert und vielfältig. Mit ihren Kampagnen erreichen sie viele Menschen. Sie besetzen Themen, bestimmen teils die öffentliche Meinung und können ihre Inhalte in alle Generationen transportieren. Rumänische Faschisten betreiben zahlreiche Blogs und Webseiten und sind sehr aktiv in den sozialen Medien. Wer sich intensiver mit der aktuellen faschistischen Bewegung in Rumänien und der offiziellen Geschichtsaufarbeitung, u.a. mit der rumänischen Beteiligung am Holocaust, auseinandersetzen möchte, dem empfehle ich die Beiträge von William Totok in der taz (Eine Zeitung, die ich sonst nie empfehle) und einen Blick in die BUNĂ, wo immer wieder über aktuelle Entwicklungen informiert wird.

DA: Gibt es schon thematische Ideen für die nächste Ausgabe?

M: Die achte Ausgabe wird in Kürze erscheinen. Ich denke, dass wir wieder einige interessante Beiträge zusammengestellt haben. U.a. veröffentlichen wir eine Studie zur Geschichte des Anarcha-Feminismus in Rumänien. Wir führten Interviews mit Geflüchteten aus Afghanistan, die aktuell in Timișoara gestrandet sind, sowie mit den GenossInnen des Anarchiva, eines anarchistischen Archivs in Rumänien. Weitere Beiträge behandeln den Widerstand von Arbeiterinnen und Arbeitern im Pflege- und Gesundheitswesen in Rumänien und die großartige Initiative zur Selbstorganisation von PflegerInnen aus Rumänien und der Slowakei in Österreich. Wir erinnern an die Ermordung von Alexandra Măceșanu und Luiza Melencu vor zwei Jahren und die Rolle von Polizei, Mafiaclans, Staat und Patriarchat dabei. Eine der Fragestellungen lautet: Was können wir tun, wenn die Polizei keine Hilfe ist? Wie immer finden sich Infos rund um die anarchistische und syndikalistische Bewegung, nicht nur in Rumänien. In den letzten beiden Ausgaben waren wir aufgrund des begrenzten Platzes nicht in der Lage, unsere sehr gern gelesenen Kurznachrichten über Ereignisse und Entwicklungen in Rumänien und Moldawien zu veröffentlichen. Dieses Mal haben wir das abermals nicht geschafft. Für die neunte Ausgabe sind diese Nachrichten aber fest eingeplant.

Und wir freuen uns, wenn Leser:innen der DA durch dieses Interview ein Interesse an der BUNĂ entwickeln und schicken gerne ein kostenloses Probeheft zu. (Email: barrikade@gmx.org)

Weitere Informationen findet ihr hier.

Beitragsbild: Titelbild der Revista BUNĂ. Ausgabe Nr. 7 Sommer 2020

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