Build the Base – Build the Union

Im Sommer 2017 zog ich mit meiner jetzigen Frau und Fellow Worker[1]Bezeichnung für Mitglieder der IWW, kommt am ehesten Genosse/Kollegin gleich nach Richmond. Sofort nachdem wir ankamen und begannen die örtlichen Linken zu treffen, erfuhren wir, dass das Richmonder Syndikat der IWW nicht mehr bestand. Ich hatte das Gefühl, dass das nicht ganz zutreffen könnte, immerhin waren die Social-Media Accounts noch aktiv – wenn auch nicht arg. Allerdings gelang es mir trotz beharrlicher Kontaktaufnahmeversuche weder über Social-Media, noch per Mail, Kontakt aufnehmen. Bis ich schließlich zu einem Event in der Stadt ein IWW T-Shirt anzog. Prompt wurde ich von jemanden angesprochen, der sich als ein Fellow Worker vorstellte. Er versprach, mich mit weiteren IWW-Mitgliedern in Kontakt zu bringen.

Nachdem ich schließlich mit dem damaligen Sekretariat in Kontakt gekommen war, erfuhr ich, dass das Syndikat zwar an Mitgliedern stark geschrumpft war, aber noch existierte. Einige Wochen später nahmen wir an unserem ersten Treffen teil und fanden heraus, dass das Syndikat nur noch aus fünf Leuten bestand, über ein Jahr lang keine Berichte an die Bundesorganisation geschickt hatte und deshalb kurz davor war, seinen Status als Syndikat zu verlieren. Es schien mir eine lohnende Aufgabe zu sein meinen Teil dazu beizutragen das Syndikat wieder aufzubauen. Dementsprechend beantragte ich bei unserem nächsten Treffen Delegiertenrechte, die mir auch gewährt wurden und mir erlaubten mit dem personellen und organisatorischen Wiederaufbau des Syndikats zu beginnen. Später wurde ich dann zum Allgemeinen Sekretär gewählt, diesen Posten habe ich erst kürzlich abgegeben. Momentan bin ich der Kommunikationssekretär des Richmonder Syndikats.

Im folgenden werde ich einige meiner Erfahrungen und Beobachtungen des letzten Jahres vom Wiederaufbau des Richmonder Syndikats, zeigen. Dieses hat nun fast 60 Mitglieder, eine große Bekanntheit in der lokalen Community und war in mehrere örtliche (Arbeits-)Kämpfe verwickelt. Während des Aufbaus hatten wir zwei Grundlagenschulungen zum Organizing, richteten den zweiten Organizing Kongress der Region Süd aus, unterstützen einen stadtweiten Stripper-Streik, organisierten mehrere Arbeitskämpfe in verschiedensten Industriezweigen, sammelten tausende Dollar zur Unterstützung von Streiks und gefangenen Arbeitern, waren engagiert in gegenseitigen Hilfskomitees und antirassistischem Organizing, und – am wichtigsten – wir haben eine gemeinsame Solidaritätskultur um unser Syndikat herum aufgebaut.

Auf all diese Arbeit mit dem Syndikat und der IWW bin ich sehr stolz und möchte hier auch meinen Kollegen aus dem Syndikat danken, ohne die dies alles unmöglich gewesen wäre, die mich an die Hand genommen haben und mir die Führung eines Syndikats beibrachten. So, genug über mich. Kommen wir zum wesentlichen:

Syndikatsaufbau ist nicht dasselbe wie base building. Aber das Aufbauen einer Basis wird zum Syndikatsaufbau beitragen.

Linke reden gerne über sogenanntes base building. Hippe, ältere Linke wollen fast gar nichts anderes tun – und das aus gutem Grund. Während des Trump Bump wurden viele Macho-Typen, die Abenteuer witterten, in die Linke verwickelt. Motiviert durch schnelle Massenaktionen, nicht mit dem Ziel, Zeit in den langwierigen Aufbau einer proletarischen Gegenmacht zu stecken. Trotz dieser guten Kritik versäumen die selben Leute es, sich am Aufbau einer Basis in Form eines Syndikats oder Parteiortsgruppe zu beteiligen.

Während Gruppenbildung sicherlich eine gute Beschäftigung ist, so ist es doch nicht mit base building vergleichbar. Viele Gruppen bilden sich zuallererst bei Gesprächen mit anderen Linken vor Ort. Das ist eine ziemlich erprobte und verständliche Taktik – wenn man denn dann später tatsächlich eine Basis herstellen möchte, ist es besser, wenn die örtliche Gruppe der Organisation nicht nur aus fünf Leuten in einer Bücherei besteht (das soll keine Herabwertung von Gruppen dieser Art sein, schließlich kommen wir da doch alle irgendwie her). Aber zu starker Fokus auf solche Gruppenbildung bringt auch einige Probleme mit sich, denn genauso entstehen Echo-Kammern. Aus dieser Echo-Kammer wird dann schnell eine realitätsferne Gruppe, mit eigenen Insider-Witzen, seltsamen Kommentaren und Witzen, die kein Neuling lustig finden wird, sodass jeder potentieller Neuzugang abgeschreckt wird. Wie auch immer – das Herstellen einer Basis ist etwas komplett anderes. base building meint das Herstellen einer Unterstützungsbasis vor Ort, dass heißt, die Unterstützung durch die arbeitende Bevölkerung, auch wenn diese derzeit nicht in die politische oder aktivistische Szene eingebunden ist. Wenn man sich eine gute Basis vorstellen will, dann ist folgendes gemeint. In der Zukunft, wenn deine Gruppe sich etabliert hat und ihr in lokale Arbeitskämpfe verwickelt seid, wer wird euch dann außerhalb der Szene unterstützen – und sei es nur auf Social Media? Das ist eine Basis.

Gutes base building ist um einiges anstrengender und aufwendiger, als eine Gruppe zu bilden, ja manchmal sieht es sogar widersprüchlich aus. Doch das ist es nicht. Echtes base building benötigt viel harte Arbeit und kontinuierliche Kommunikation mit Menschen und Communities vor Ort, ohne Hintergedanken. Das heißt, wenn man sich tatsächlich eine Basis erarbeiten möchte, dann muss alles, was man an Hilfe anbietet, absolut bedingungslos sein. Wenn Anfragen von Leuten kommen, die einem nicht ihre Telefonnummer oder Email-Adresse geben wollen und auch nichts über irgendeine tolle, ewig lange Marxismus Analyse hören wollen, dann muss man ihnen trotzdem helfen.

Tatsächlich ist es das beste, nichts von dem bei einem ersten Gespräch auch nur zu erwähnen, außer, es wird vom Gesprächspartner explizit angesprochen. Stattdessen kann man auf einem ganz einfachen Level anfangen, Kontakt zu knüpfen, einfach ein bisschen Small Talk über das Wetter oder den Sport eignen sich gut als Gesprächsthema. Klar hört sich das doof an, aber es funktioniert. Es ist von enormer Bedeutung, dass Fremde einen als den Menschen wahrnehmen, der man ja auch ist – ein Teil der arbeitenden Bevölkerung, der nur das beste für sich und seine Familie will – bevor alle in einem den gefährlichen Extremisten sehen. Aber jetzt zu den drei Strategien, die am meisten beim Wiederaufbau des Richmonder Syndikats geholfen haben.

Strategie 1: Einen Service bereitstellen

Ein möglicher Weg, sich eine Basis aufzubauen, ist es, einen Service für die Community vor Ort anzubieten, der sich an oben genannten Kriterien orientiert (zum Beispiel muss er bedingungslos angeboten werden). Auch sollte man sich vorher einige Gedanke gemacht haben, bevor man irgendein Programm startet. Man sollte sich zum Beispiel erst mal Gedanken über seine Zielgruppe machen, also herausfinden, was hier überhaupt benötigt wird.

Eine der ersten Initiativen, die das Richmonder Syndikat eingerichtet hat, war die sogenannte Bad Boss Tipline, eine Telefonnummer mit Anrufbeantworter und ein dazu passendes Webformular, durch das jeder seinen Chef bei der IWW melden kann. Auch wenn wir zu diesem Zeitpunkt immer noch ein recht kleines Synikat waren, dachten wir, dass wir damit den Menschen wenigstens einen verständnisvollen Zuhörer geben können. Etwas, wo die Leute ihren Frust ablassen können, auch wenn ihnen sonst niemand zuhört. Für mich wirkte das wie ein seriöses Angebot zu dieser Zeit, nach dem Motto, einfach mal probieren, vielleicht funktioniert es ja. Diese Tipline wurde von den Wobblies außerhalb und teilweise auch innerhalb des Syndikat mit gemischten Gefühlen betrachtet. Tatsächlich wurde mir mehr als einmal von Fellow Workers über Social Media mitgeteilt, dass sie etwas ähnliches bereits versucht hätten und es sich als Zeitverschwendung erwiesen hätte. Das hat zwar etwas genervt, aber dennoch hörten wir nicht auf und hängten weiterhin Flyer auf, machten Werbung in den Sozialen Medien – bis tatsächlich Leute anfingen uns anzurufen.

Ich war (und bin noch immer) der Hauptverwalter für eingehende Nachrichten auf der Tipline. Jeder einzelne, der sich bei uns gemeldet hatte und seine Kontaktinformationen hinterlassen hatte, wurde von mir persönlich kontaktiert. In vielen Fällen hatten diese Anrufer*innen bereits ihre Jobs verlassen und suchten Rückhalt gegen ungerechte Kündigungen, oder irgendetwas anderes, was ihnen auf Arbeit widerfahren war. Auch wenn wir in diesen Fällen, außer einigen Ratschlägen, nichts zu bieten hatten, schienen die meisten Leute froh zu sein, einen verständnisvollen Zuhörer zu haben, einer der sie bestärkte und bestätigte, dass ihr Chef einfach ein Arschloch war und ihr eigener menschlicher Wert unabhängig von ihrer Produktivität war. In anderen Fällen waren die Anrufer immer noch angestellt und wir konnten direkt mit Aktionen helfen, oder ihnen helfen, sich zu organisieren. Einige dieser Anrufe entwickelten sich zu richtigen (teilweise immer noch nicht-öffentlichen) Organisierungskampagnen, die so auch das Syndikat wachsen ließen. Nach meiner Rechnung sind durch diese Tipline mindestens acht neue Mitglieder gewonnen worden und unsere derzeitig größte Kampagne entstand aus einem solchen Anruf.

Strategie 2: In Lokale Aktionen eingebunden werden

Im Sommer 2018 befand sich ein schwarzer Lehrer namens Marcus-David Peters in einer psychischen Ausnahmesituation. Die Polizei wurde gerufen, als man ihn komplett nackt an der Seite der Autobahn entlang rennen sah. Der zuständige Polizist traf Marcus mit einem tödlichen Schuss, obwohl er – wie auf den Bodycam Filmaufnahmen zu hören – genau über Marcus Zustand informiert war. Mitglieder der Community und Marcus Familie starteten gemeinsam eine starke und sehr dauerhafte Bewegung namens Justice and Reformartion, die neben vielen anderen wichtigen Reformen auch eine Kontrolle der Polizei durch die Öffentlichkeit verlangten. Das erste gemeinsame Treffen nach Marcus Tod war sehr traurig und die Teilnahme schwierig, aber als seine Schwester sprach, sprach sie über die unglaubliche Wahrheit. Wir sammelten uns hinter dieser Bewegung und folgten ihnen auf die Straße in der folgenden Woche, gemeinsam bildeten wir eine große Masse vor dem Richmonder Polizeihauptquartier, während eines Regengusses und forderten gemeinsam das, was Marcus so benötigt hätte an jenem Tag: Hilfe, nicht den Tod.

Im Dezember 2018 wurden wir von Mitgliedern der Virginia Education Association (VEA, einem Ableger der National Education Association) über die Bad Boss Tipline angesprochen. Sie planten, eine Massendemonstration und einen Marsch auf das Kapitolgebäude hier in Richmond, mit Lehrern an öffentlichen Schulen aus ganz Virginia und wollten wissen, ob wir helfen könnten. Die nächsten paar Wochen verbrachte ich in Videokonferenzen und Skype-Meetings mit dem Organisationsteam – eine Fraktion mit sehr ambitionierten VEA Mitgliedern, die als Virginia Educators United bekannt waren. Uns gelang es, Flugblätter herzustellen, die während der Aktion verteilt wurden und wurden in eine Schule in Richmond eingeladen, um eine kurze Dokumentation zu produzieren, die im folgenden März herausgebracht wurde. Inzwischen arbeiten wir daran, mehr Filmmaterial zu produzieren, um eine längere Version herauszubringen, die pünktlich zum Herbstsemester da sein wird. Zusätzlich sind aus der VEU und andere Bildungsarbeiter unserem Syndikat beigetreten, sodass die IU 620 (Sektion Bildung) schnell unsere größte Sektion wurde. Auch wenn es sicher noch andere Beispiele von unserer Teilnahme an Aktionen in Richmond gibt, so waren es doch diese beiden Erfahrungen, die am meisten beim Aufbau einer Basis geholfen haben, weil sie zwei wichtige Angriffspunkte im Kampf gegen das Kapital und white supremacy waren. Sie sind auch untrennbar mit dem verbunden, um dass sich jeder Arbeiter sorgt: Die Gesundheit und Sicherheit seiner Community. Der eins-nach-dem-anderen Prozess, denn wir in OT 101 lehren, besagt, dass wir authentisch in den Schmerz und die Probleme der Arbeiter*innen, mit denen wir arbeiten, einfühlen müssen. Und so muss unser Engagement in der Gemeinde dieses Prinzip widerspiegeln. Wenn du verletzt bist, dann sind wir es auch und wenn du wütend bist, dann sind wir es mit dir! Solche Werte sind enorm wichtig, wenn es um ein Zugehörigkeitsgefühl geht, sodass jedes Mitglied des Syndikats die selben Chancen hat, die ihm eine Mitgliedschaft im Syndikat bietet.

Strategie 3: Eine Wohlfühlatmosphäre aufbauen

Mit Wohlfühlatmosphäre meine ich etwas kitschiges, bei dem man sich etwas seltsam vorkommen wird, wenn ich davon spreche, in etwa so, wie wenn man Marianne Williamson[2]Linksliberale und spirituelle Bestseller-Autorin und Aktivistin zuhört. Bleib für eine Sekunde mit dem Gefühl da und versuche so zu tun, als wäre es nicht abwegig, wenn ich das sage: Während meiner Amtszeit als Sekretär habe ich immer beim Tagesordnungspunkt Sonstiges am Ende der Vollversammlung jedem im Syndikat meine Wertschätzung ausgedrückt. Das mag sich jetzt kitschig und vielleicht sogar belanglos anhören, denn »Ich liebe euch Alle!« einmal im Monat zu sagen sind nur vier Worte. Aber was, wenn auch nur eine Person im Raum niemanden hat, die ihr in diesem Monat gesagt hat, dass sie geliebt wird? Und was wäre, wenn das ohnehin nicht der Fall gewesen wäre? Ich sage das ja nicht aus einem gewissen Vorsatz heraus – irgendwann habe ich einfach damit angefangen und es dann immer wieder gemacht, weil es stimmt: Ich liebe mein Syndikat einfach. Ich weiß auch nicht, ob diese Geste irgendeine Auswirkung auf mein Syndikat hat, aber schaden kann es zumindest nicht.

Ich habe bei den meisten im Syndikat den Eindruck, dass das Gefühl bis zu einem gewissen Grad auf Gegenseitigkeit beruht – wir tun unser Bestes, um füreinander zu sorgen. Wir legen Wert auf gegenseitige Hilfe in jeder Form, das schafft eine soziale Norm, sodass auch Neumitglieder diese Kultur aufrechterhalten. Ein radikaler Gewerkschafter zu sein muss (und sollte) nicht verhindern, freundlich und liebevoll zu sein – besonders, wenn es um die Kolleg*innen aus der Gewerkschaft geht.

Auch wenn Marianne Williamson eine Menge ausgesprochenen Blödsinn verzapft, mit einem hat sie dann doch recht – der Kapitalismus hat jedem von uns eine gewisse Abscheu vor dem Leben gebracht. Es ist Teil unseres Kampfes, gegen den Kapitalismus das Glück wieder zu finden – zu lieben und geliebt zu werden. Wenn irgendetwas, dann macht es die reichen Säcke verrückt, uns fröhlich zu sehen, ohne ihre Gier und ihr Geld. Es macht sie verrückt. Unsere Fähigkeit, selbst in den verschiedensten Situationen der Unterdrückung noch glücklich zu sein, ist ein wertvolles Mittel im Kampf gegen die herrschende Klasse, stellt es doch ihr gesamtes Weltbild in Frage.

Abschließend möchte ich sagen, dass ich hoffe, diese Reflexion kann als eine Art Sprungbrett dienen für Syndikate, die nach neuen Ideen Ausschau halten, die beim Aufbauen einer Basis und so auch beim Syndikatsaufbau helfen können. Ich bin kein Experte im Gewerkschaftsaufbau und beende jetzt erst mein drittes Jahr in der IWW, aber ich weiß, dass wir einen gewissen Erfolg erzielt haben und dass die in diesem Beitrag gemachten Vorschläge genau das wiedergeben, was an diesen Punkt gebracht hat. Ich ermutige andere, Varianten der Ideen auszuprobieren, die sich für uns bewährt haben, bitte aber dringend darum, darüber nachzudenken, wie diese Vorschläge am besten an die Bedürfnisse für die jeweiligen Communities und Syndikate angepasst werden können. Ich muss an dieser Stelle auch nochmal unterstreichen, wie wichtig die Wohlfühlatmosphäre im Syndikat und der gesamten Gewerkschaft ist. Wenn es uns gelingt, die IWW zu einem Raum der inneren Heilung zu machen, dann wird sie sich nach außen in eine mächtige Waffe verwandeln, getrieben von unseren gemeinsamen Träumen einer besseren Welt.

Dieser Artikel erschien zuerst in englischer Sprache unter dem Titel »Build the Base, Build the Branch« im Industrial Worker. Wir danken für die Autorisierung dieser Übersetzung.

Titelbild: Industrial Worker

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