„Solidarität statt Angst“ – Die Gefangenengewerkschaft GG/BO kämpft für Grundrechte hinter Gefängnismauern

DA: Hallo Manuel. Ihr organisiert euch als Gefangenengewerkschaft. Welche Grundgedanken stecken dahinter? Gab es einen Auslöser dazu, ein historisches Vorbild, oder eine internationale Bewegung?

GG/BO: Der Grundgedanke der GG/BO liegt darin, die soziale Ungerechtigkeit, welche hinter Gittern herrscht, zu hinterfragen. Es ist unser Interesse, jegliche Form von Inhaftierungen (Strafvollzug, Maßregel, U-Haft, Forensik etc.) und alles, was damit verbunden ist, zu hinterfragen und transparent werden zu lassen. In unserem Vorgehen orientieren wir uns dabei sehr zentral an den Leitlinien der Solidarität, Kollegialität, Emanzipation, Autonomie und der Sozialreform. Dies spiegelt auch ganz klar wieder, dass Gewerkschaftspolitik eben auch Bildungspolitik ist, weshalb uns historische Bezüge zur internationalen Gewerkschaftsbewegung wichtig sind. Im Vergleich mit einer internationalen Bewegung sehe ich die GG/BO mit ihrer Arbeit sehr nahe an der Industrial Workers of the World (IWW) orientiert, wo sich in ihrer Sektion Incarcerated Workers Organizing Committee (IWOC) speziell inhaftierte Arbeiter organisieren.

DA: Welche Probleme der Gefangenen sind es, die euch aktiv werden ließen? Euer Schwerpunkt ist Lohnarbeit und Ausbeutungsverhältnisse? Warum in Gefängnissen?

GG/BO: Die Art der Probleme, mit denen wir es tagtäglich zu tun haben, sind vielseitig. Für uns spielt es aber dabei keine Rolle, ob es zu hohe Telefonkosten in den Anstalten sind, oder die schlechte medizinische Versorgung, die Tatsache, dass es kaum Dolmetscher gibt und somit sprachliche Probleme vorprogrammiert sind. Für uns ist wichtig, dass wir jedes Anliegen ernst nehmen und auf die Probleme an den richtigen Stellen aufmerksam machen. Da Vollzug, egal in welcher Form, immer noch zu intransparent gehalten wird, haben die Anstalten natürlich die Chancen, sich ihren eigenen rechtsfreien Raum auszugestalten. Genau hier setzen wir an und zeigen auf, das auch jede*r Inhaftierte eine Stimme hat.

DA: Eure Hauptanliegen sind…?

GG/BO: Gesetzlicher Mindestlohn für arbeitende Gefangene; Voller Einbezug in die Sozialversicherung (Rente, Krankenversicherung); Volle Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern.

DA: Wie erfolgreich seid ihr bisher? In wie vielen Gefängnissen seid ihr aktiv?

GG/BO: Zu Beginn der GG/BO hat man uns sicherlich belächelt. Durch engagierte Gefangene und inhaftierte Gewerkschafter*innen, in Verbindung mit einem grandiosen solidarischen Austausch mit Unterstützer*innen der GG/BO vor den Gefängnismauern (Soligruppe), hat sich die GG/BO bis heute zu einem kraftvollen Sprachrohr für Gefangene jeglicher Form entwickelt.

DA: Wie reagiert die Öffentlichkeit auf euch, wie der Staat? Werdet ihr als Gewerkschaft offiziell anerkannt, lässt man euch als Gewerkschaft agieren, oder werdet ihr in eurer Arbeit behindert?

GG/BO: Wir alle wissen, das Inhaftierte keine große Lobby haben, was aber daran liegt, dass, wie bereits erwähnt, der Vollzug in all seinen Formen zu intransparent gehalten wird. Der Öffentlichkeit wird ein falsches Bild vermittelt. Ich denke, im Moment würde kein Ministerium zugeben, das sie uns ernst nehmen. In Kleinen Anfragen wählt man oft die Form der Argumentation, dass die GG/BO keine wirkliche Gewerkschaft ist. Aber es ist auch nicht wichtig welche juristische Form wir als Gewerkschaft aufzeigen. Ähnlich der anerkannten „Polizeigewerkschaften“ haben wir (noch) kein Recht zu streiken oder Tarifverhandlungen zu führen. Es zählt, dass wir gemeinsam die selben Interessen vertreten. Aus der Erfahrung wissen wir, dass man schon genau schaut, über was wir berichten. Der Umgang mit aktiven Gewerkschafter*innen ist von Bundesland zu Bundesland bzw. von Gefängnis zu Gefängnis verschieden.

DA: Man liest, dass ein sehr großer Anteil der Gefangenen wegen Kleinstdelikten, beispielsweise wegen Drogendelikten, inhaftiert sind, viele auch wegen “Schwarzfahren”, oder als Ersatzfreiheitsstrafe, weil sie eine Geldbuße nicht zahlen konnten, oder einfach, weil sie keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen haben. Klingt so, als sei Kriminalisierung vor allem ein Phänomen armer Bevölkerungsschichten?

GG/BO: Es stimmt leider. Die Anzahl der Inhaftierten in Deutschland, die wegen Kurz- und Ersatzfreiheitsstrafen einsitzen, nimmt täglich zu. Dies trägt natürlich auch dazu bei, dass die Anstalten in Deutschland überfüllt sind und kein effektiver Behandlungsvollzug stattfinden kann. Als GG/BO fordern wir daher die Streichung von Kurz- und Ersatzfreiheitsstrafen. Ein Umdenken muss passieren in Richtung der gemeinnützigen Arbeit. Die meisten Betroffenen haben einfach kein Geld, um ihre Strafe zu bezahlen. Hinzu kommen sicherlich eine Menge sozialer Probleme. Genau hier liegt das Problem. Denn darauf folgt die Strafe, anstelle der Hilfe, welche hier definitiv effektiver wäre. Die sächsische CDU geht hier mal wieder mit schlechten Beispiel voran und demonstriert ihre Law & Order Politik, indem sie am 01.03.2019 eine Generalverfügung erlassen hat, mit welcher bei Bagatelldelikten (10 €) härter durchgegriffen wird. Meist handelt es sich hierbei um Strafsachen, welche sich der Beschaffungskriminalität zuordnen lassen. Kurzum: Menschen mit einer Suchterkrankung finanzieren sich diese damit. Sperre ich diese Gruppe Menschen nun ein, helfe ich ihnen keinen Meter, da eine Verwahrung keinen Nutzen für niemanden hat. Man sollte die Ursachen erkennen und durch soziale Hilfen tätig werden. Womit auch Nachhaltigkeit gegeben wäre.

DA: Der Staat scheint sich zunehmend autoritär zu entwickeln, breite Teile der Gesellschaft verarmen. Wie ist da eure Zukunftsprognose?

GG/BO: Der Sozialstaat als solches hat seit dem Wegfall des Ostblocks und dem damit verbundenen Wegfall von Alternativen, schwer zu kämpfen. Gefängnisse und Anstalten sind dabei die Eckpfeiler jedes Staates. Trotzdem leben wir hier, innerhalb der vorgegebenen Regeln und den starr reglementierten Abläufen „Solidarität statt Angst“. Wie auf einer Pilgerreise, mit all den Entbehrungen, entwickelt sich ein Grundvertrauen, dass stärker ist als Angst.

DA: Am 18. März ist der internationale Tag der politischen Gefangenen. Sind politische Gefangene bei euch organisiert? Wie steht ihr zu dem Gedenktag?

GG/BO: Als GG/BO machen wir seit Jahren auf diesen Tag aufmerksam und rufen zur Solidarität sowie zu Solidaritätskundgebungen auf. Uns ist es wichtig, dass dieser Gedenktag nicht einfach an der Gesellschaft vorbei geht. Das Politische hängen wir dabei nicht so hoch. Die meisten Gefangenen sitzen wegen Umverteilungsdelikten[1]Kleinere Diebstähle und nicht bezahlte Rechnungen, die zu Ersatzfreiheitsstrafen führen, siehe https://fink.hamburg/2018/07/hamburgs-gefaengnisse-an-der-belastungsgrenze/ im weitesten Sinne.

DA: Gibt es viele politische Gefangene?

GG/BO: Wie erwähnt, spielt das bei uns keine Rolle – solange die Tat nicht mit unserem Selbstverständnis kollidiert. Erwähnenswert sind dabei jedoch die Ermittlungen und Verfahren nach 129, 129a und 129b StGB. Das kann und muss kritisiert werden. Zu diesen Verfahren gibt es eigene Solidaritätskreise, die durch einzelne Sektionen (GG/BO Ableger in den Knästen) oder Soligruppen (GG/BO Unterstützer*innen in Freiheit) unterstützt werden.

DA: Man stellt sich Gewerkschaftsarbeit in einem Gefängnis sehr schwierig vor. Könnt ihr überhaupt miteinander kommunizieren? Seid ihr vernetzt? Gibt es dabei Probleme und bekommt ihr Hilfe von außen? Wie seid ihr organisatorisch aufgebaut?

GG/BO: Unser Aufbaumodell ist anarchosyndikalistisch geprägt. Menschen aus den Soligruppen könnte man, aufgrund der Knastkritik und dem zeitgleichen Wirken in einer Gewerkschaft, als radikal reformistisch bezeichnen. Ich schätze daher, dass die Organisation durch eine berechtigte Kapitalismuskritik geprägt ist. Jede*r Gefangene hat die Möglichkeit, sich unter den drei Zielen (Gewerkschaftsfreiheit, Mindestlohn, volle Sozialversicherung) und dem Selbstverständnis, dass die geläufigen *ismen ausschließt, in der GG/BO zu organisieren. Das geschieht autark und ohne starre Struktur. Dabei geht es um Wissenstransfer, der unter den Gefangenen recht gut funktioniert und Kontakt zu den Soligruppen, die Öffentlichkeitsarbeit leisten, bzw. teilweise auch parlamentarische Anbindung haben. In der Regel funktioniert die Kommunikation auf allen Ebenen ganz gut. Optimal wären Gewerkschafter*innenversammlungen, also Plena, in den Gefängnissen. Diesbezügliche Ansätze stecken jedoch noch in den Kinderschuhen.

DA: Wie kann man bei euch unterstützen, bei euch aktiv werden?

GG/BO: Nehmt dazu am besten Kontakt zu den Gefangenen oder den Soligruppen auf. Über unsere Webseite ggbo.de, Social Media oder den dezentralen Ablegern gibt’s Kontakte und/oder Inhalte die geteilt werden wollen.

DA: Wir danken für das Interview!

 

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