Das Darknet als emanzipatorische Vision

Das Darknet ist ein merkwürdiger Ort. Für die meisten Menschen ist es eine nie betretene Welt. Wer weiß schon genau, wo das Tor zu dieser Welt liegt. Für wenige Menschen ist es das bessere Internet, welches Fragen nach der Anonymität und der Verwertungslogik eines Ortes stellt, den wir gewöhnlich täglich nutzen und somit selbst Opfer dieser Verwertung von Daten werden. Mey fasst den Begriff des Darknets so zusammen: „Ein Darknet ist ein digitaler Ort, der sich mit technologischen Mitteln abschirmt und Anonymität bei der Nutzung herstellt. Verbindungsdaten und Standorte von Rechnern werden verschleiert, die Kommunikationsinhalte sind verschlüsselt.“[1]Mey, Stefan. Darknet. Waffen, Drogen, Whistleblower. Wie die digitale Unterwelt funktioniert. C.H. Beck Verlag. 2017. 1. Auflage. S.11

Diese weitestgehend unbewohnten Orte sind dabei die, die sich gerade politische Aktivisten zu eigen machen könnten. Doch warum passiert das noch nicht? Diese Frage drängt sich nach den aktuellen Ereignissen auf. Ist mit dem Verbot von linksunten.indymedia durch das deutsche Innenministerium nicht der Wille gestärkt, eine unzensierbare Plattform für sich zu beanspruchen? Und wieso ist auch die Tor-Adresse nach dem staatlich verordneten Verbot der Plattform nicht mehr zu erreichen? Welche Lücken innerhalb der Infrastruktur sorgen dafür, dass linksunten.indymedia auf beiden Plattformen nicht mehr zu erreichen ist?

In dem Buch Darknet. Waffen, Drogen Whistleblower. Wie die digitale Unterwelt funktioniert wird Grundlegendes dargelegt: was das Darknet ist, wie sich das Darknet vom Deepweb und vom Clearnet unterscheidet und welche Zugangsmöglichkeiten es gibt. Besonders aber betont Mey, wie wir diesen Ort nutzen könnten, um ihn zu einem emanzipatorischen zu machen, da er bisher eher für den Handel von Waffen, Drogen und illegaler Pornographie bekannt ist. Das Darknet könnte aber auch eine Zukunftsvision sein und so eine hierarchie- und herrschaftsfreie globale Gesellschaft digital vernetzen. Dabei liegt die Betonung jedoch auf kann, denn bisher passiert dort wenig in diese Richtung. Leider.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Viele kennen das Darknet nur als diesen Ort der Perversen und Junkies, denen die Staatsgewalt zudem eben doch auf den Fersen ist, wie sensationsgetriebene Medien allzu oft berichten. Schon die bloße Verschlüsselung der alltäglichen E-Mail-Kommunikation scheint für viele ein unbequemer Mehraufwand des gewöhnlichen digitalen Verhaltens zu sein. Der Zugang zum Darknet über den TOR-Browser (The Onion Router) oder zu alternativen Darknet-Varianten über Tools wie Freenet oder I2P (Invisible Internet Project) erfordert digitale Kompetenzen oder zumindest eine thematische Auseinandersetzung, die jedoch im Verhältnis zur Notwendigkeit steht. Dass dies immer dringlicher wird, zeigen Beispiele, wie das von linksunten.indymedia.

Welches Internet brauchst Du?

Die Reise von Mey führt vordergründig über die Tor-Software ins Darknet. Dabei gibt er in leicht verständlicher Sprache und durch die Diskussion vieler im Internet kursierender Geschichten einen kurzen Überblick über die wissenschaftliche, als auch die staatliche Beschäftigung mit dem Darknet. Unter anderem wird auf Studien verwiesen, die sich vor allem mit der Erkundung des Darknets beschäftigt haben. Und auch das etwas widersprüchlich erscheinende Phänomen des blauen Riesen –Facebook– im Darknet findet Erwähnung. Wir erfahren zudem, wie die beiden Seiten des Darknets –sowohl die als illegal geltende, als auch die legale– aufgebaut sind und was innerhalb der Netzwerke passiert. Neben einer umfangreichen Abhandlung des Tor-Browsers, finden auch Alternativen Erwähnung, wie die Software GlobaLeaks, die zusätzlich zu einer Internetpräsenz automatisch eine Darknet-Präsenz einrichtet. Auch stellt Mey die Frage in den Raum, was für ein Internet wir uns wünschen, bzw. was für eines wir brauchen.

Dass das Darknet momentan keine Alternative zu sein scheint, könnte daran liegen, dass die immer weiter ausgebaute Überwachung nicht als Bedrohung wahrgenommen wird. Dies kann sich aber schnell ändern, wie die Menschen in Ägypten oder der Türkei erfahren mussten oder wie es die Menschen in China seit jeher erleben. Auch könnte es daran liegen, dass das Darknet heute wie eine Zeitreise in das Internet der 90er Jahre erscheint: langsame Verbindung, kaum Inhalte und der Zugang zu Internetseiten ist meist nur über Portale erreichbar oder über noch nicht sehr effiziente Suchmaschinen. Für die “normale” Nutzer*in präsentiert sich das Darkweb dadurch als eine merkwürdige Community.

Im Gegensatz dazu ist der Zugang zu Informationen über Standardsuchmaschinen einfach und schnell und befriedigt offensichtlich die Bedürfnisse von User*innen. Da sich das Internet seit den 90er Jahren zu einem ultra-komplexen Gebilde von Strukturen und Anwendungen gewandelt hat, in dem viele Informationen über uns gesammelt und gespeichert werden, ist es dennoch wichtig über weitere Möglichkeiten und andere Plattformen nachzudenken. Auch wenn viele schon für das Problem sensibilisiert sind und durch Browser-Add-ons und VPN-Tunnel den schlimmsten Auswüchsen der Überwachung im Internet entgegentreten, sollten wir die grundlegende Struktur unserer Kommunikation überdenken. Statt Suchbegriffe in monopolistische Suchmaschinen einzugeben, bei denen Tracking selbstverständlich ist und sich mit Ghostery, DoNotTrack oder PrivacyBadger zufrieden zu geben, sollte ein Verständnis für all diese Anwendungen erlernt werden. Nur so kann es gelingen, sich der Notwendigkeit einer freien und unkontrollierten Kommunikation bewusst zu werden, die Voraussetzung einer globalen und emanzipatorischen Zivilgesellschaft ist, um dann für diese zu kämpfen oder sie ganz einfach mit zu bauen.

Das Darknet – eine ungenutzte Chance

In eines der Darknets leitet unter anderem die Tor-Software über mehrere Knotenpunkte. Damit ist es dem Internetserviceprovider, z.B. der Telekom, nicht möglich zu wissen, welche Internetseite angesteuert wird und anders herum ist es der Website nicht möglich, die IP-Adresse zurück zu verfolgen, von der die Anfrage ausgeht. In thematisch geordneten Indexen finden sich die entsprechend verlinkten Seiten. Solch ein Index muss aber erst einmal gefunden werden. Über gewöhnliche Suchmaschinen sind Darknet-Adressen, wie .onion, nicht auffindbar. Mit der Unkontrollierbarkeit, der Anonymität und der Unzensierbarkeit hebelt es sonst geltende Regeln des Netzes aus und hat vielleicht sogar das Potenzial, Machtverhältnisse der Gesellschaft als Ganzes in Frage zu stellen. Dies ist aber erst einmal eine Utopie, die mit Leben gefüllt werden will. So ist es heute möglich, sich weitestgehend vor der digitalen Überwachung durch Staaten und deren Geheimdienste zu schützen, dennoch sind die Schnittstellen zur analogen Welt oft auch diejenigen, an denen die Überwachungsapparaturen ansetzen. Prinzipiell bietet das Darknet aber einen unzensierbaren Raum, den es zu verteidigen gilt. Denn dieser ist umso bedrohter, je höher die aufgewendeten Ressourcen von Staaten gegenüber Zensurmöglichkeiten sind. In China beispielsweise ist die Nutzung von Tor-Browsern schon von vornherein erschwert bzw. kaum möglich, da Torknotenpunkte staatlich blockiert werden.

Es kommt darauf an, was wir mit diesen Orten anstellen und welche Inhalte wir in ihnen verwirklichen. Eine pluralistische Infrastruktur des Darknets ist dabei sowohl technisch als auch inhaltlich von größter Bedeutung für dessen Zukunft. So war auch Marx einst „von der revolutionären Überzeugung durchdrungen, dass es in der Zukunft eine neue, eine bessere Welt geben wird. Er hat trotz der Verelendung des englischen Proletariats nie die Vergangenheit glorifiziert, hat sich nie der Nostalgie an ein Goldenes Zeitalter hingegeben. Gleiches gilt für die Arbeiter[*innen]bewegung, gleich, ob revolutionärer oder reformistischer Flügel, auch sie wurde von einem Fortschrittsoptimismus getrieben, von der Vorstellung einer lebenswerteren Welt, die erst noch erschaffen werden muss.“[2] Salonkolumnisten. Stand: 08.09.17
Diese Welt steht schon bereit, wir müssen sie nur beziehen, weil wir uns einen Ort wünschen, an dem es egal ist, woher wir kommen oder wohin wir gehen, wie wir aussehen oder welches Geschlecht uns zugeschrieben wird. Das Buch von Stefan Mey könnte dazu ein kleiner Anfang sein.

Stefan Mey. Darknet. Waffen, Drogen, Whistleblower. Wie die digitale Unterwelt funktioniert. C.H.Beck Verlag. 2017.
Zum Interview mit Stefan Mey und Radio Corax zum Thema Darknet und Tor geht‘s hier.

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