Die Illustration von Klasse

Seine Augen liegen schräg, Seitenscheitel, Anzug, den Finger hält er wissend nach oben. „Family Values“ ist unter ihm eingeblendet. So erklärt der im Fernsehen gezeigte Politiker: „Eltern müssen für ihre Entscheidung, Kinder zu kriegen, Verantwortung übernehmen. Wenn sie es sich nicht leisten können, in einer teuren Gegend zu wohnen, müssen sie umziehen.“ Eine resigniert wirkende Frau sitzt mit ihren drei Kindern auf der Couch vor dem Fernseher. Sie kommentiert: „Das Zwei-Kinder-Limit beim Kindergeld und die Kürzungen vom Wohngeld haben dazu geführt, dass ich kaum die Miete bezahlen kann. Wir könnten unsere Wohnung verlieren.“

Zwischen bissiger Illustration und wissenschaftlichen Theorien

So bringt eine Illustrationen treffend das Abstraktum „Neoliberalismus“ auf den Punkt. Die Zeichnungen stammen von Danny Noble, die für „Was It … Too Much For You?“ mit dem Comedy Woman in Print Award ausgezeichnet wurde. Kurze, wissenschaftliche Zusammenfassungen in dem bunten Theorieband stammen von den beiden Brightoner Soziologinnen Laura Harvey und Sarah Leaney.

Klasse begegnet uns überall: auf der Arbeit, in ländlicher Aufteilung, in Kultur und Alltag. So gliedert sich auch das Handbuch und beleuchtet anhand theoretischer Begriffe (z. B. Gentrifizierung, Dominanz der Mittelklasse, Gig Economy) mit kurzem Erläuterungstext plus Bebilderung die verschiedenen Felder.

Das Highlight ist der Anfang des Buches: Die ersten beiden Kapitel fassen eine Vielzahl verschiedener Theorien zusammen von Du Bois bis Beverly Skeggs und machen das Werk zu einem nützlichen Kurznachschlagewerk. Vor allem der historische Abriss des Klassebegriffs ist lesenswert und gibt einen guten Abriss über die Entstehung des Begriffs und oft vernachlässigte, problematische Verwendungen des Begriffs im Kontext seiner Entstehung: der Ausbreitung der Industrialisierung sowie des Imperialismusʼ und dem daraus entstehendem Begründungsbestreben westlich-bürgerlicher Hierarchien.

Aufgrund der Kürze gehen die Texte dabei nicht in die Tiefe und dienen somit als kurzer Wissensinput oder Inspiration, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen. Bemerkenswert ist die extreme Fülle an Illustrationen mit rund 170 bebilderten Seiten und häufig wiederauftauchenden Charakteren. Die bissige Schärfte und gelungener Zynismus bringen die Theorien gut auf den Punkt und versetzen die Diskussion in einen greifbaren Rahmen.

Zum Ende hin bewegt sich das Buch in eine konkret-utopische Richtung, bespricht verschiedene Formen des Widerstands (z. B. Gewerkschaften, private Kämpfe in den öffentlichen Raum tragen) und nennt verschiedene Theoretiker:innen, die sich mit diesen Aktionsformen beschäftigt haben. Aufgrund der Kürze ist es jedoch schwer, sich in die verschiedenen Themenfelder einzufinden, vieles wird kurz benannt und wenig mit Beispielen aus dem Leben außerhalb theoretischer Abhandlungen begründet. Mit seiner Stärke in der Einführung theoretischer Diskurse ist das Handbuch somit eine hilfreiche Einführung für Menschen, die Lust haben sich mit gesellschaftlichen Theorien zu beschäftigen.

„Klasse – ein illustriertes Handbuch“ erschien im April 2023 im Unrast Verlag und kann hier erworben werden: https://unrast-verlag.de/produkt/klasse

 

Bildnachweis: Copyright des Buchcovers bei Icon Books, Bildzusammenstellung von der DA

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