Die Spuren weitergeben

Mit „Spuren der Solidarität“ erschien von Mitgliedern der IWW ein Buch, das sich sympathisch und tiefgehend mit den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte der basisdemokratischen Gewerkschaft IWW beschäftigt.

Von „Spuren der Arbeit“ zu weiteren Reflexionen

Schon mit „Spuren der Arbeit“ erschien 2021 von Mitgliedern der IWW[1]Industrial Workers of the World, weltweite basisdemokratische Gewerkschaft, anteilmäßig am meisten in den USA und Kanada vertreten ein Sammelband, der sich mit dem Thema Organizing auseinandersetzt in Form von persönlichen Geschichten von Arbeiter:innen. Dies hört sich nett an und das Ergebnis übertrifft die Erwartung. Über einen Ratgeber oder einen politischen Essay hinausgehend wirken die Geschichten berührend und motivierend. Gesammelt wurden sie durch den mittlerweile inaktiven Blog „Recomposition“, eine Auswahl an Geschichten wurde 2013 in einem Sammelband veröffentlicht und dieser 2021 von deutschen IWW-Mitgliedern (oder der IWW nahe Stehenden) übersetzt und veröffentlicht.[2]Hier geht es zu unserer Rezension des Sammelbands.

Nach dem erfolgreichen Erscheinen des Werks haben sich die gleichen Macher:innen dazu entschieden, einen zweiten Band zu veröffentlichen. Dieser geht über das Sammeln von Arbeiter:innen-Geschichten hinaus und hat sich um einen großen essayistischen Teil erweitert. Im Gegensatz zu anderen Theoriewälzern bleibt jedoch der Kern des Projekts die Geschichten aus dem wahren Leben. So finden sich zu Beginn des Werks persönliche Berichte von Arbeiter:innen unter anderem aus der Fast-Food-, Liefer- und Sex-Work-Branche. Schon beim Lesen dieser Beiträge fällt auf, dass über die Erzählung der Geschehnisse hinausgehend ein weiterer großer Raum der Reflexion gegeben wird.

Geschichten und Analysen von Arbeitskämpfen der IWW

So berichtet Erik Forman über einen Arbeitskampf bei der Fast-Food-Kette Jimmy John’s, die 2010 sogar fast eine NLRB-Wahl gewonnen hätte.[3]Damit in den USA eine Gewerkschaft gesetzlich anerkannt wird, muss sie eine Mehrheit im Betrieb vorweisen. Diese wird in Form einer zu beantragen Wahl unter der Aufsicht der Behörde „National Labor Relations Board“ festgestellt. Als Arbeiter war bei der Organazing-Kampagne mit dabei und im höheren Maße engagiert ein junger Mann von der Universität, der gezielt zum Organisieren bei Jimmy John’s angefangen hatte. Er wollte laut Erzählung die Welt verändern und hatte das Salzen dafür als seine Methode gewählt. (Salzen bedeutet, bei einem Betrieb zu arbeiten, um in diesem gezielt Organizing zu initiieren oder zu unterstützen.) Entgegen aller Ratschläge in der IWW setzte er sich bei Diskussionen mit den sich mit-organisierenden Arbeiter:innen bei Jimmy John’s durch und die Gruppe entschied sich dafür, dass sie die IWW als Gewerkschaft offiziell anerkennen lassen wollten durch eine NLRB-Wahl. Nach der offiziellen Wahlanmeldung griff die Unternehmensleitung von Jimmy John’s zu drastischeren Mitteln und engagierte erstmals eine professionelle gewerkschaftsfeindliche Beraterin. Die Niederlage der Wahl war nur knapp.

Doch die Erzählung wird um einen längeren Reflexionsteil erweitert. Auch wenn man die Geschichte aufmerksam durchliest und die offensichtliche Kritik an dem engagierten Salzer wahrnimmt, kann sich die:der geneigte Leser:in weiterhin fragen, ob das Ergebnis nicht großartig gewesen wäre, wenn die IWW nur drei Stimmen mehr bekommen und die NLRB-Wahl damit gewonnen hätte.

Doch genau hier geht „Spuren der Solidarität“ im Vergleich zu „Spuren der Arbeit“ weiter mit seinen analytischen Blöcken, die jahrzehntelange Erfahrungswerte der IWW ausformuliert und miteinander vergleicht. Zwar erlangte das Organiszing bei Jimmy John’s eine gewisse Bekanntheit und auch eine nur fast gewonnene NLRB-Wahl ist für eine vergleichsweise sehr kleine Gewerkschaft ein beeindruckender Erfolg, doch Erik Forman resümiert zum Ende seiner Erzählung: „Nach der Wahl standen wir wieder an dem Punkt, wo wir zwei Monate zuvor gewesen waren, allerdings mit einer Fülle neuer Erfahrungen. Das Komitee beschloss, den Kampf für unsere Forderungen fortzusetzen, und kehrte zu dem Weg der Organisierung allein im Rahmen Direkter Aktionen zurück, den wir mit der NLRB-Wahl verlassen hatten.“[4]Spuren der Solidarität, S. 66.

Auch in den weiteren Analyse-Teilen wird immer wieder auf Themen wie das Salzen oder die „Ein-Mann-Organizing-Show“ eingegangen. Erfahrungswerte über zwei Jahrzehnte werden ausgebreitet und Teil drei widmet sich vermehrt Tipps für ein nachhaltiges Organizing. Diese sind bemerkenswert, da sie in anderen Ratgebern selten vorkommen (wie dem Warnen vor einem Hot-Shop und überstürzten Handeln bevor eine Basis im Betrieb aufgebaut wurde).

Gewerkschaftliche Strategiebesprechungen

Doch in der IWW war 2010 bereits bekannt, welche Risiken mit einer NLRB-Wahl einhergehen und der Salzer[5]Natürlich soll das Salzen nicht per se verteufelt werden. Einen spannender, ausführlicher Beitrag ist von MK Lees in „Spuren der Solidarität“ zu finden (S. 265–273), welcher ebenfalls als Übersetzung in der DA erschien. Ein weiterer Erfahrungsbericht übers Salzen findet sich hier. wurde auf sie hingewiesen. Doch wie können diese Erfahrungen am besten weitergegeben werden? Wie kann sich eine Gewerkschaft mit recht schnell wechselnder Mitgliederschaft weiterentwickeln und aus alten Fehlern lernen? Die Antwort könnte ein Sammelband oder auch Blog sein, der eine gesamtgewerkschaftliche Strategie vorschlägt und liegt nun vor. So widmet sich der zweite Teil des Buches einer Nachzeichnung der Entwicklung der IWW in den letzten Jahrzehnten (wobei ein bedeutender Teil den Veränderungen seit dem Fokussieren auf dem Organizing-Training einnimmt); bespricht Schwierigkeiten wie dem Herauslösen aus einer Linken-Szene-Gemeinschaft; schlägt vor, wie es gelingen kann nachhaltig eine (nicht nur zwanzig-jährige) Mitgliederbasis aufzubauen; analysiert ehrlich die Vor- und Nachteile der basisdemokratischen Form und gibt Impulse zur Zersplitterungsgefahr bei politischen Diskussionen. Vor allem diese Analysen aus hart erarbeiteten Erfahrungen macht „Spuren der Solidarität“ zu einem Wissensschatz für basisdemokratische Gewerkschaften und dürfte für alle gewerkschaftlich interessierten Menschen eine Bereicherung darstellen.

Das Buch ist dabei international ausgerichtet und vereint Erfahrungsberichte sowie Essays aus verschiedenen Regionen, die die deutschen Herausgeber:innen übersetzten. Es endet mit zwei Interviews von Labournet.tv mit selbstorganisierten Arbeiter:innen in Campi Bisenzio bei Florenz und den Hafenarbeiter:innen in Genua, die 2019 die Verladung von Waffen auf Schiffe nach Saudi-Arabien verhinderten (CALP).

Neben dem Sammelband haben die Macher:innen den gleichnamigen Blog ins Leben gerufen mit Texten aus dem Sammelband und weiteren Beiträgen und Tipps rund um das Thema Organizing.

 

Literaturnachweis: Ada Amhang, Levke Asyr, Montel Nickleberry und Mark Richter (Hg.): Spuren der Solidarität. Betriebliche Organisierung am Beispiel der Industrial Workers of the World (IWW), Die Buchmacherei, 2024.
Das Werk kann bei der Buchmacherei für 18 Euro erworben werden.

Wer an „Spuren der Arbeit“ interessiert ist, kommt hier zum Buch und hier zum Podcast.

 

Bildnachweis: Cover von Monica Kostas (Collagenbearbeitung durch die DA)

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Ein Kommentar zu «Die Spuren weitergeben»

  1. Liebe Leute,

    danke für eure Arbeit!

    Ich lese grade den Artikel von O’Reilly…und ärgere mich…dieser Text ist wirklich nicht gut über setzt, teilweise sogar falsch, teilweise versteht man schlicht den Sinn nicht.

    Es gibt fast keine Rezeption solcher wichtiger IWW Debatten auf deutsch. Mit solchen Quellen wird es, so fürchte ich, leider auch so bleiben.

    Bitte das nächste Mal deepl benutzen, mache ich auch!;-)

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