Drei Jahre Pegida, drei Jahre Belagerungszustand – Teil2

Der 3. Pegida-“Geburtstag” war rein quantitativ eine Schlappe. Nur 2500-2800 Teilnehmende kamen auf das rechtsradikale Event. Mutmaßlich war dafür das Wetter verantwortlich und das Gefühl vieler Pegidist*innen der Kampf werde nun erstmal im Parlament weitergeführt. Manch bürgerliches Medium indes nahm den Fakt zum Anlass, um zu frohlocken und Pegida einen Abstieg zu attestieren. Eine Blauäugigkeit, bzw. eine Beruhigungspille, die weit verbreitet ist. Spannend war aber weniger, wie viele Menschen bei Pegida waren, sondern welche Stimmung jeweils bei den Fremdenfeind*innen und auf den Gegenveranstaltungen herrschte.

„Das Volk erhebt sich!“

Vor zwei Jahren kam es beim Pegida-Geburtstag zu Blockade-Versuchen und einer Reihe von Auseinandersetzungen mit militanten Rechten. Im Getümmel tauchten dabei immer wieder größere Verbände mit syndikalistischen Fahnen auf. Vor einem Jahr gab es eine linksradikale Großdemonstration und anschließend wurde das traditionell als links geltende Stadtviertel Neustadt vor Übergriffen geschützt. Solcherlei dynamische Arbeitsaufträge waren diesmal nicht zu erkennen. Den Nazis bei der Anreise im Weg stehen und als FAU ansprechbar für Interessierte sein, das erschien als der maximale politische Output für uns.

Am nächsten Tag fahren wir vergleichsweise unmotiviert los. Die Innenstadt ist schon voll von Pegidist*innen und Polizei. Wir steigen am Postplatz aus, wo regelmäßig Protestkonzerte gegen Pegida stattfinden. Als wir ankommen spielt gerade flotter Folk, es wird zum Tanz aufgerufen. Nach tanzen ist uns wahrlich nicht. Nach einer Odyssee landen wir an der Kundgebung, die Pegida am nächsten steht. Da diese durch räumliche Begrenzung und Hamburger Gitter ein einziger potentieller Kessel ist, melden wir schnell eine weitere Kundgebung daneben an. Überraschenderweise klappt das heute sogar. Normalerweise scheißt die sächsische Polizei auf solche Versuche, sein Grundrecht zu nutzen. Doch heute ist das (noch) regierende Bürgertum auf der Straße und nicht wie sonst nur ein paar prekarisierte Antifaschist*innen.

An der Kundgebung so nah an Pegida finden sich nur wenige ein. Zu besten Zeiten vielleicht 100- 150 Leute. Der Rest der ca. 3000 Gegendemonstrant*innen findet sich auf den freundlichen, teils sehr staatsnahen Veranstaltungen ein gutes Stück entfernt. Und hier wird auch ein guter Teil des Problems der Gegenbewegung zu Pegida deutlich. Die meisten gehen einmal im Jahr auf die Straße, wenn größere Politiker*innen dazu aufrufen. Dann sind sie relativ viele – weit entfernt vom eigentlichen Geschehen. Danach gehen sie nach Hause, lassen sich von der bürgerlichen Presse bestätigen, dass sie ungefähr gleich viele waren, wie auf Pegida-Seite (hört, hört!) und geben sich damit zufrieden, bis sie im nächsten Jahr wieder über das Fahrgast-TV der Dresdner Verkehrsbetriebe dazu aufgefordert werden, ihre Staatstreue zu beweisen. Das Verhalten des linken, liberalen und gemäßigt konservativen Teils der Dresdner ist nicht neu.

Schon in den Auseinandersetzungen um den 13. Februar erlebten wir mit Phänomenen wie dem Bündnis „Geh denken!“ und der Menschenkette ganz ähnlichen „Antifaschismus light“ von oben. Was die Gegendemonstrant*innen vor ihrer geliebten Frauenkirche, mehrere hundert Meter und einige Straßen entfernt nicht sehen und hören können: Pegida denkt nicht daran den Tag als Niederlage zu sehen, sondern ist guten Mutes. Verkündet wird und das leider zu Recht: „Dresden ist seit drei Jahren fest in der Hand von Pegida!“ Denn seit drei Jahren bekommt Pegida mit ein paar Facebookseiten wöchtentlich fast das auf die Straße, was die Stadt nun nach intensiver Werbekampagne einmal im Jahr dagegen setzt. Pegida verhalf der AfD, die sich an diesem Tag mit reichlich Prominenz bedankt, zu ihrem Wahlergebnis in Sachsen und brach – fast aus dem Stand – die 27-jährige Vorherrschaft der CDU. Auf der Bühne wird an diesem Abend so oft in bester NS-Rethorik vor tausenden fanatisch Jubelnden gehetzt, die Rasse und das Blut beschworen, vor Invasoren gewarnt und die baldige Übernahme Deutschlands verkündet, dass es selbst vielen von uns sehr zynisch gewordenen, regelmäßigen Gegendemonstrant*innen die Nackenhaare aufstellt.

Einer der namhaftesten Aktivisten der Identitären Bewegung im deutschsprachigen Raum, der Österreicher Sellner, referiert über die Fortschritte der nazistischen Bewegung in Ungarn, Österreich, Tschechiens und vielen anderen Ländern. [Er hat recht. Vor einigen Tagen hatten einige Genoss*innen und ich zusammen den Abend damit verbracht Wahlergebnisse und Umfragen in ganz Europa zu sichten. Das Ergebnis war bedrückend: Einzig in Spanien, Slowenien und Irland schien sich der Einfluss rechtsradikaler Parteien halbwegs in Grenzen zu halten.] Ungefähr vier Stunden stehen wir an diesem Tag mit Fahnen und Transparenten vor den tausenden Pegidist*innen. Wie so oft können sich nur sporadisch Leute dazu motivieren, den braunen Massen die lächerlich leisen Sprechchöre entgegen zu halten. So bleibt viel Zeit, den Demagogen zuzuhören und die Gedanken kreisen zu lassen. Die Wut und der Hass, den ich empfinde, ebenso wie die Ohnmacht sind sehr kühl geworden. Zweimal schließen sich ältere, offensichtlich völlig verstörte Tourist*innen spontan unserer Kundgebung an. In ihren aufgelösten Blicken wird mir meine eigene Abgeklärtheit bewusst. Ich schäme mich. Für meine Emotionslosigkeit und dafür, Einwohner der Stadt zu sein, die vielleicht in ein paar Jahren das Unheil wieder über ganz Deutschland gebracht haben wird.
Ein weiterer Gedanke taucht immer wieder auf, während ich dem Mob zuhöre. Du schaust auf die Leute, die uns in den nächsten Jahren verfolgen und einsperren werden. Vielleicht schlimmeres, denn eigentlich warten wir nur noch darauf, dass es passiert. Weil sich nichts bewegt – oder alles zumindest zu langsam.

Alltag unter Bestien

Sachsen hat etwas mehr als 4 Millionen Einwohner*innen. Von diesen haben, sehr grob gerechnet, ca. 900 000 Menschen die AfD gewählt, weitere 900 000 Menschen eine CDU, deren Programm schon vor Jahren die meisten Punkte der sogenannten Pegida-Thesen enthielt.[1]Einen lohnenswerten Vergleich und viele weitere spannende Erkenntnise findet man bei „Tino Heim (Hrsg.) „Pegida als Spiegel und Projektions-fläche“. Eine CDU, deren Landesfraktionsvorsitzender bis 2014, Stefan Flath, fundamentalistische Antiabtreibungsdemonstrationen in Schirmherrschaft nahm und die mit Vereinen wie „Linkstrend stoppen e.V.“ eigene Sammelbecken für rechte Hardliner unterhält.

Tausende weitere wählten darüber hinaus die NPD oder sind rechtsradikal, ohne zu wählen. Diese Verhältnisse zerrütteten in den vergangenen Jahren nicht wenige Familien. Sie machen misstrauisch, gegen die alte Frau auf der Straße, gegen die Kolleg*innen im Betrieb. Sie legen einen widerlichen braunen Schleier über jedes idyllische Dörfchen, über jede Straße der Stadt. Vor die Tür gehen: Das heißt der Ekel peitscht einem ins Gesicht, egal wann. Den Blick bekommst du nicht mehr aus dem Schädel. In die Straßenbahn einsteigen, die Personen mustern… 1, 2, 3, vermutlich Nazi, 1, 2, 3…. Auf der Straße, in der Bahn, auch Abends im Zimmer ist ein wacher Blick gefragt. Neben Nazis sind auch Chrystal Meth und Alkohol, sowie davon beförderte gewalttätige und sexuelle Übergriffe allgemein ein Problem. Dazu Polizeischikanen gegen als Nichtdeutsche und prekär gelesene Milieus. Zivilcourage ist, je nach Viertel, im Monat mehrfach von Nöten.

Eine typische wenn auch fiktive Woche in Dresden

Montag, Pegida-Demo. Die Polizei greift unter Vorwänden Gegendemonstrant*innen heraus. Anzeigen, die uns in einigen Monaten oder Jahren beschäftigen werden. Das Ende der Veranstaltung verzögert sich wegen der Polizeimaßnahmen bis 22 Uhr. Adieu Feierabend! Dienstag, du sitzt mit Freund*innen zu Hause, kommt die Nachricht: Abschiebung. Es ist bereits 21 Uhr. Ihr fahrt los. Als ihr ankommt, ist alles zu spät. Es startet eine Protestdemo, die von der Polizei mehrfach angegriffen wird. Mittwoch, du nimmst dir auf deiner prekären Arbeitsstelle frei um zu einen Prozess gegen eine Genossin zu gehen. Was im Saal gesprochen wird, ist ungeheuerlich, das Urteil auch. Die Faust behältst du in der Tasche, die Laune ist bis Abends im Sack. Von deinem Gehalt gabst du mehr als du dir eigentlich leisten kannst in die Soli-Kasse. Donnerstagabend, mit Freund*innen tauscht du dich über die Entwicklung der Nazi-Strukturen in der Gegend aus. Die Nachrichten geben keinen Anlass zur Freude.

Am Wochenende bist du unentschlossen, wo du dich blicken lässt. Drei Freund*innen feiern gleichzeitig ihren Abschied aus Dresden. Sonntag, du drehst ‘ne ausgedehnte Runde, um die Sticker und Graffitis zu beseitigen, die sich die letzten Tage in deinem Kiez angesammelt haben und findest die volle Palette: AfD, Identitäre, Kammeradschaft, III. Weg, EinProzent und viele weitere. Nächste Woche wirst du dasselbe machen können. Neben all dem noch der übliche Trouble: Stress auf Arbeit, Nazis auf der Straße, Gewerkschaftsarbeit.

Wie damit umgehen? Die Antworten sind sicher sehr individuell. Verantwortung übernehmen, sich bewusst machen: Wenn die rechte Bewegung in Dresden so wichtig für die rechte Bewegung bundesweit ist, dann ist es ebenso wichtig hier durchzuhalten und sie beständig zu schwächen. Desweiteren: Gut zu sich sein, gut zu anderen sein. Sich treffen, emotionale Unterstützung als Teil der politischen Arbeit begreifen. Mit Genoss*innen wandern, klettern, baden und in den Urlaub fahren. Sich ab und an eine Stadt ansehen, in der die Stimmung weniger apokalyptisch ist. Den Wegzug vieler Freund*innen eher ignorieren. Vor allem aber, in Hinblick auf das politische, sich immer wieder bewusst machen, dass politisches Kräftemessen auch ein mentaler Kampf ist. Pegida gewinnt, weil sie daran glauben zu gewinnen. Aber auch wir werden als FAU in Sachsen größer, weil wir daran glauben, dass es geht und weil wir uns, im Großen und Ganzen, abseits eines so traurigen Artikels nicht die Stimmung vermiesen lassen.

Die andere Seite: Ihr führt ja gar nicht nur Abwehrkämpfe!

Wenn du in Dresden politisch aktiv bist, dann wirst du mitleidig angeschaut. Nicht völlig unverständlich. Und doch, wir haben hier eine kleine aber feine Bewegung. Trotz vieler Wegzüge sind wir in den letzten drei Jahren nicht weniger geworden, weder im Syndikat noch in der Gesamtheit der emanzipatorischen Bewegung in Dresden. Es entstanden neue Hausprojekte, neue Gruppen. Neben dem Syndikat Dresden, das seit einigen Jahren an sich eine Lokalföderation aus mehreren AGs ist, entstand auch eine Lokalföderation des Netzwerks „…ums Ganze!“, ein anarchistisches Netzwerk, ein weiterer anarchistischer Infoladen, viele Gruppen und mehr. Ein Zeichen dafür, dass sich die libertär denkenden Menschen in Dresden nicht paralysieren lassen.

Ebenso erfreulich ist, dass es die libertäre Bewegung in Dresden weiterhin schafft, auch in bundesdeutschen Diskursen Akzente zu setzen. So z.B. in Bezug auf feministische Konzepte von Seiten der mit der FAU befreundeten Gruppe „e*vibes“, in Bezug auf antifaschistische Taktiken durch die FAU Dresden[2] Siehe bundesweit beachtete Demoauswertung zu Heidenau und Vortrag „Antifaschismus als Sisyphos-Aufgabe“. oder die Debatte um DDR-Kritik innerhalb der Roten Hilfe.[3]Siehe u.a. Kritik des ABC Dresden und von e*vibes. Über Dresden hinaus ist indes der Syndikalismus im Kommen: In Leipzig wird mit großen Schritten auf die Gründung eines neuen, vitalen Syndikats zugegangen. In Chemnitz konnte sich die seit langem aktive FAU-Initiative weiter stabilisieren und wachsen. Am 11. November 2017 fand hier z.B. wieder eine Demonstration statt, die sich nicht der rechten Ödnis beugt, sondern eigene Akzente setzt, wie es auch der Ansatz von FAU-Demonstrationen im April und Mai in Dresden war. In weiteren Städten hat die FAU Einzelmitglieder und befreundete Zusammenhänge.

Das Dresdner Syndikat wiederum leidet in der aktuellen Situation definitiv unter einem schwachen gewerkschaftlichen Profil. Zwar sind Anwälte, Arbeitsrechtsnotstelle und erfahrene Aktive im Syndikat vorhanden. Die betriebliche Situation ist aber zumeist ein Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Stadt. So resignieren viele Mitglieder in vielen mittelständischen und den wenigen Großbetrieben vor der großen Zahl rechtsradikaler Kolleg*innen. Dort wo unsere Mitglieder das Glück haben, mit eher linken Belegschaften zusammen zu arbeiten, treffen wir oft auf sehr liberale Denkmuster („Wenn es dir hier nicht passt, such dir doch nen anderen Betrieb!“) oder eine Überforderung der Kolleg*innen, sich gleichzeitig allgemein antifaschistisch und im Betrieb zu engagieren. So verfügt das Syndikat zwar über Branchenkontakte und -sektionen zu den Bereichen Nahrung & Gastronomie, Bildung & Wissenschaft, Bau, Kunst & Kultur und Gesundheit & Soziales. Gelegenheiten für kollektive Kämpfe und Kampagnen ergaben sich in der letzten Zeit jedoch selten. Aus dieser Ausgangssituation entwickelte das Dresdner Syndikat ein lokales Konzept, welches die Parole der „Organisation in allen sozialen Bereichen“ als Leitlinie nimmt und gewerkschaftliche Strukturen ebenso wie politisch-thematische AGs gleichmäßig aufbauen und gleichberechtigt betrachten will.

Ein Beispiel für diese Bemühungen ist die AG Feminstische Kämpfe. Die AG unterstützte bis jetzt v.a. feministische Veranstaltungen und Aktionen und bemühte sich, einen explizit syndikalistischen Blickwinkel zu ergänzen. Auch gegenseitige Weiterbildung stand früh auf dem Arbeitsprogramm. Mittlerweile unterstützt die AG sehr aktiv die SexWorkersSolidarity in Dresden und hat so auch wieder einen konkreten Bezug zu betrieblichen Kämpfen. Ähnliche Erfahrungen machte das Syndikat mit seinem antifaschistischen Engagement, z.B. in der Minikampagne „Kellner*innen/ Türsteher*innen gegen Pegida“, die eine Kooperation der Antifa AG und der Branchensektion Nahrung und Gastronomie darstellte.

Akzente mit potentiell bundesweiter Bedeutung setzt das Dresdner Syndikat in Sachen syndikalistischer Landpolitik. Hier wird, v.a. durch die AG „Schwarz-Rote Bergsteiger_innen“ (SRB) versucht mit verschiedenen Angeboten wie Sport, Tourismus, Gedenkpolitik, Weiterbildungsangeboten, Hausagitation, antifaschistischer Netzwerkarbeit und Naturschutz anarcho-syndikalistische Blickwinkel in die Region Elbsandsteingebirge zu tragen und Projekte aufzubauen. Durch die AG kommen immer wieder neue Mitglieder in die FAU und die Bekanntheit der Lokalgewerkschaft in der Region konnte kontinuierlich gesteigert werden. Mit ihrer Arbeit sind die SRB aktuell eine der erfolgreichsten AGs des Dresdner Syndikats und gleichzeitig einer der wichtigsten antifaschistischen Akteure in der Region zwischen Pirna und Sebnitz, einer Hochburg der AfD und der Neo-Nazi-Szene. Logischerweise geraten wir damit aber auch immer stärker in das Blickfeld der Rechten und werden uns für die Zukunft auf größere Auseinandersetzungen einstellen können.

Ein weiteres Arbeitsfeld, mit dem die FAU Dresden vielen weiterhilft und gute Resonanz bekommt, ist die Weiterbildung. So hat sich das Syndikat in den letzten Jahren ein Pool von knapp 20 öffentlichen Vorträgen aufgebaut und Multiplikator*innen ausgebildet. Daneben stehen Mitgliedern mittlerweile monatliche Weiterbildungen zur Verfügung. Ziel ist es, anarchosyndikalistische Theorie verständlich und somit diskutierbar zu machen und Neumitglieder möglichst schnell im Syndikat auf einen umfassenden Wissensstand zu bringen und handlungsfähig zu machen. Gerade in Zeiten, in denen die linke Bewegung so in Bedrängnis ist wie heute und auch staatsnahe, linke Bildungsangebote von Förderungseinschnitten und politischer Repression bedroht sind, empfinden wir eine unabhängige und radikale Jugend- und Erwachsenenbildung als nötiger denn je.

Auch dieses Jahr erreichte die FAU Dresden bei Veranstaltungen weit über 600 Teilnehmende und einige weitere Veranstaltungen liegen noch vor dem Syndikat. Die Frage, die viele Gemüter bewegt: Werden wir ausreichend schnell groß, um Akzente zu setzen, bevor wir die repressive Wucht einer AfD-Regierung zu spüren bekommen? Damoklesschwert Landtagswahl 2019 – Final Countdown? Nach der Bundestagswahl war sie förmlich zu greifen, die Angst, der Schock. Die AfD wurde stärkste Partei Sachsens. Bei all dieser Panik war da auch Hoffnung. Es schien kurz so, als würde die schweigende Mehrheit der Menschen nun doch vielleicht zu Teilen aktiv die Stimme erheben, sich engagieren. Eine Woche später sah es da schon deutlich ruhiger aus. Einhelliger O-Ton auf den meisten Arbeitsplätzen und den Familienbesuchen: Die Zerlegen sich schon selbst! Unsägliche Unterschätzung des Gegners. Sicherlich hatte Petry mit ihrem kleinen Putsch ordentliche Wellen und v.a. manche Bresche in die ein oder andere Landtagsfraktion geschlagen. Doch wie geschichtsvergessen sind wir? Haben sich nicht sowohl Pegida als auch die AfD schon häufiger gespalten? Ist nicht insbesondere die AfD dabei immer weiter nach rechts gerückt und hat an Stärke weiter zugelegt? Hörten wir nicht dieselbe, viel zu selbstsichere Einschätzung über eine Nazi-Partei schon einmal in Deutschland?

Die bürgerlichen Parteien hingegen reagierten auf ihre Weise: Bei Grünen, SPD und Linken tönten die Stimmen wieder nach einem weiteren Rechtsmanöver, völlig unbeirrt politischer Erkenntnisse, dass das für den Machterhalt nichts bringt. In der CDU verabschiedete sich, nachdem er eine ebensolche „Rechtskorrektur“ angekündigt hatte, Ministerpräsident Tillich. „König Biedenkopf“ hatte ihm im schon erwähnten Zeit-Interview den politischen Todesstoß versetzt. Die CDU Sachsen reagierte in mittlerweile schon gewohnter, suizidal veranlagter Manier mit der Nominierung von Michael Kretschmer. Damit wird ein CDU-Mann Ministerpräsident, der in seinem Wahlkreis bereits sein Direktmandat gegen die AfD verloren und damit ein demokratisches Legitimitätsproblem hat. Dazu kommt, dass Kretschmer von nicht wenigen Wahlbeobachtern als klassisches Beispiel angeführt wurde, wie die CDU beim Versuch scheiterte, schlicht die AfD zu kopieren. Diese gescheiterte Strategie will Ketschmer aber erneut mit einer harten Hand in Sachens Asyl- und Innenpolitk und „deutschen Werten“ fortsetzen.

Damoklesschwert Landtagswahl 2019

Für eine libertäre Bewegung verspricht das schon zwei Jahre vor der Landtagswahl wenig Freude in den nächsten Monaten. Viel deutet also darauf hin, dass die CDU sich bemühen wird, in den nächsten Monaten so zu tun, als wäre die AfD bereits in der Regierung, immer noch in dem Irrglauben, dies würde jemanden davon abhalten, in zwei Jahren das Original zu wählen. Selbst wenn die AfD in zwei Jahren nur sehr starke zweite Kraft bleibt, könnte das eine Regierung OHNE die AfD unmöglich machen, da als weitere starke Partei nur die Linke zur Verfügung stehen dürfte.[4] Legt man die Bundestagswahlergebnisse zu Grunde, kämen CDU, SPD und FDP zusammen
auf 45,6% der Stimmen. Daneben stünden „Die Linke“ mit 16,1% und die AfD mit 27%. Die
Grünen hätten den Einzug allerdings „nur“ um 0,4% verpasst.
Schon jetzt werden immer wieder Stimmen in der sächsischen Union laut, dass sie eine CDU-AfD-Koalitonen für die Zukunft in Erwägung ziehen sollten. Gleichzeitig dürfte die CDU, sollten die Umfrageergebnisse für die AfD oder auch „Die Blauen“ mit Herannahen der Landtagswahl hoch bleiben, zunehmend nervöser werden, da zunehmend Parteiübertritte aus dem rechten Flügel befürchtet werden.

Warum ist das für Anarchist*innen relevant, was sich im Landtag tut? Auf Landesebene werden u.a. Polizeirichtlinien, Versammlungsgesetz, das Verbot von Vereinen, die Durchleuchtung von Mitarbeiter*innen im Öffentlichen Dienst, ein nicht geringer Teil von Kultur- und Bildungsförderung und vieles andere entschieden. Ein rechtsradikaler Landtag hat in diesem Sinne zwar nicht die Macht, unmittelbar in einen offenen Faschismus überzugehen, wohl aber die Macht, die Errungenschaften einer linken Bewegung auf Jahre zu vernichten und viele Genoss*innen in den Knast zu bringen oder diese z.B. aus Angst um Erwerb und um Familie gänzlich mundtot zu machen.

Schon jetzt stellt sich also in Hinblick auf zu gründende Häuser und Betriebe für viele die Frage: Machen wir das noch in Sachsen? Bleiben wir überhaupt hier? Die Gefahr besteht, dass dies einen Effekt auslöst, der zum Auswandern vieler Aktiver führt (was ja schon jetzt der Fall ist) und die Schwächung der linken Bewegung Sachsens (mit Ausnahme des Sonderfalls Leipzig) ein galoppierendes Tempo erreicht, während gleichzeitig Rechtsradikale aus allen Teilen Deutschlands ins gelobte Land Sachsen ziehen. Nicht nur für die Menschen, die aus Sachsen nicht weg wollen oder können, wäre eine solche NoGo-Area Sachsen ein Worst-Case: Ist erst ein ganzes Bundesland in rechtsradikaler Hegemonie, wird es auch auf Jahrzehnte eine Keimzelle rechter Diskursverschiebung sein, selbst wenn die AfD realpolitisch beizeiten scheitert.

Ein Ausblick für ganz Kaltland

In den nächsten zwei Jahren geht es deshalb nicht nur um die Zukunft der Menschen in Sachsen, sondern auch um den weiteren Verlauf der bundesdeutschen Politikentwicklung. Zwei Jahre, um es herumzureissen. Was bedeutet das für dich als Leser*in? In zwei Jahren fährt der Karren nun also gegen die Wand oder wir kommen – im besten Fall – nochmal eine Weile mit einem „blauen“ Auge davon. Dass wir, unabhängig unserer sonstigen Fasson, uns wohl in zwei Jahren die Blöße geben müssen zu wählen, das dürfte weitläufiger Konsens sein. Doch was ist sonst zu tun? Deutlich ist geworden, dass weder die frommen Appelle der in Sachsen zumeist sehr bürgerlichen (im Sinne von staatsnah und kapitalismusunkritisch) Zivilgesellschaft, noch die Versuche von SPD, Linke und Grünen wieder Vertrauen in sie zu schaffen, den aktuellen Trend stoppen konnten. Auch die Taktik vieler Politiker*innen, sich nun rechter als die AfD zu geben, wird der AfD nur weiter in die Karten spielen.

Es bleibt daher nur außerparlamentarisch und radikal eigene Themen zu setzen. Diese müssen darauf angelegt sein:

a) soziale Probleme aufzugreifen die viele kennen und

b) durch die Form ihrer Aktionen ein hohes mediales Interesse zu wecken.

Der AfD muss so mediale Aufmerksamkeit genommen und der Blickwinkel auf Themen gerichtet werden, bei denen sie ganz offensichtlich keine bessere Antwort als „Volksgemeinschaft!!!“ hat. Für uns als Syndikalist*innen heißt das konkret: Den Schlaf auf die Zeit nach der Landtagswahl verlegen. Hätten wir in normalen Zeiten mit Stabilität und Wachstumsgeschwindigkeit unserer Syndikate und Initiativen recht zufrieden sein können, so reicht das jetzt nicht mehr.

Kleine Gruppen und andere linksradikale Organisationen haben in Sachsen großteilig noch weniger Potential das Ruder herumzureissen, weil sie meist:

a) identitär zu stark an ein bestimmtes Milieu geknüpft sind

b) keine praktischen sozialen Handlungsmöglichkeiten aufbauen

c) habituell zu stark an DDR- Rethorik erinnern (Rote Fahnen, Sozialismus etc.)

d) nicht ausreichend breit und verbindlich aufgestellt sind

e) zu wenig Offenheit aufweisen um Menschen mit verschiedenem Background und Alter schnell zu integrieren.

Sollte ich mich hier irren: Um so schöner! Zunächst sollten wir als FAU-Mitglieder aber davon ausgehen, dass niemand anders für uns diese Aufgabe übernehmen wird. Es heißt präsent sein, sinnvoll an Leute herantreten, die Lust auf unsere Strukturen haben, diese Personen schnell weiterbilden und dazu befähigen, bei uns im vollen Umfang aktiv zu werden. Dafür müssen wir einerseits bereits bestehende FAU-Gewerkschaften und -Gruppen stabilisieren, andererseits brauchen wir belastbare Partner*innen in den anderen Städten. Überdies ist es unabdingbar, unsere Demonstrationen, Infostände und andere öffentliche Veranstaltungen vor Repression und Übergriffen zu schützen, da auch hier leider eine Häufung von Angriffen zu erwarten ist. Für alle, die nicht in Sachsen wohnen: Wie dargelegt, ist unsere Situation mit Verzögerung auch die eure. Spendet, fahrt auf unsere Demonstrationen nach Sachsen, haltet hier Vorträge und Weiterbildungen, macht Medienarbeit für die hier befindlichen Syndikate. Und überdies: Seid nicht wie die meisten, wenn es um einen neuen Wohnort für Job oder Studium geht. Schließt Sachsen nicht aus, zieht gerade deshalb her, weil hier jede*r zählt!

6 Kommentare zu «Drei Jahre Pegida, drei Jahre Belagerungszustand – Teil2»

    1. Hausagitation ist eine mündliche Agitationsart, die dazu dient innerhalb von lockeren Gesprächen das Leben und die Probleme der Arbeiterklasse und die Verhältnisse unter denen sie leben, besser zu verstehen, wie sie zum Beispiel die KPD-Zelle des Bauhauses in den 30er Jahren gegen die faschistische Propaganda anwendete..

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