Danke für die Einladung zu diesem Panel [1]Dieser Text wurde aus dem Englischen übersetzt. Er basiert auf der überarbeiteten Mitschrift eines Vortrags auf der 11. Global Labour University Conference: »The Just Transition and the Role of Labour: Our Ecological, Social, and Economic Future«, 28.-30. September 2016, Johannesburg, Südafrika., zusammen mit der Genossin Hilary Wainwright, einer Schlüsselfigur der britischen feministischen und sozialistischen Bewegung und Redakteurin von Red Pepper, dem Genossen Ozzi Warwick von der Oilfields Workers‘ Trade Union in Trinidad und Tobago und dem Genossen Martin Egbanubi vom Michael Imoudu National Institute for Labour Studies in Nigeria. Es gibt eine erfreulich große Schnittmenge zwischen den unterschiedlichen Beiträgen, insbesondere durch den Fokus auf die Selbsttätigkeit und auf das immense schöpferische Potenzial der Arbeiterklasse und der armen Leute, als Organizer, als Rebellen und als Schöpfer neuer Modelle und Ideen.
In diesem Beitrag möchte ich über die Rolle der Selbsttätigkeit einfacher Arbeiter sprechen, als ein Mittel zur Neugestaltung der Gesellschaft und als ein Mittel, die Gesellschaft in eine andere Richtung zu lenken, als wir uns derzeit bewegen. Ich möchte einen Diskurs über die Rolle und das Potenzial der Gewerkschaften als Motor für einen fortschreitenden Wandel und über die Möglichkeiten dieses Wandels eröffnen. Ich möchte nicht darüber streiten, welche Traditionen der Linken und der Arbeiterbewegung richtig und welche falsch sind, sondern vielmehr versuchen, die Grenzen dessen, was Gewerkschaften unserer Meinung nach erreichen können, zu erweitern. Und ich möchte dies tun, indem ich mich mit den Kernthesen der radikalsten, aber vielleicht am meisten missverstandenen der großen linken Traditionen beschäftige: dem Syndikalismus.
Es ist ziemlich offensichtlich, dass die Welt in einem riesigen Chaos steckt. Es ist auch ziemlich offensichtlich, dass das gegenwärtige politische System die normale Bevölkerung kaum noch erreicht. Gleichzeitig ist es ein Fakt, dass ein großer Teil der Frustration der einfachen Leute und ein großer Teil des Leidens und der Unsicherheit, die das heutige Leben kennzeichnen, von rechtsgerichteten, fremdenfeindlichen und nationalistischen, ethnischen und religiösen fundamentalistischen Kräften instrumentalisiert wird.
Das ist der Kontext, in dem wir innerhalb der Linken einen Dialog eröffnen müssen und in dem wir uns mit der Werkzeugkiste aus linken Ideen und linker Geschichte befassen müssen, mit dem kollektiven Erfahrungsschatz der Vergangenheit, den schmerzhaft erlernten Lektionen und den erfolgreichen Ansätzen, um neu zu überdenken, wie wir unsere Kämpfe kreativ vorantreiben können. Ja, wir müssen Dogmen vermeiden, um nicht vorgefertigte Denkmuster zu forcieren, ohne sie in den entsprechenden Kontext zu setzen. Dennoch brauchen wir die Bilanz vergangener Erfahrungen. Wir müssen eine konsequente Diskussion führen, aber obwohl wir alten Wein nicht einfach in neue Schläuche füllen sollten, sollten wir genauso vermeiden, die Werkzeugkiste wegzuwerfen, indem wir Ansichten, die wir nicht mögen, als »dogmatisch« oder veraltet bezeichnen.
Der Kern des Syndikalismus
Herzstück des Syndikalismus ist die Annahme, dass basisdemokratische – von Staat und Parteien unabhängige – Gewerkschaften im Hier und Jetzt die Forderungen von Arbeitern verteidigen und vorantreiben sollen und sie gleichzeitig dabei unterstützen sollen, die technischen, organisatorischen und ideologischen Fähigkeiten zu entwickeln, die es der gesamten Arbeiterklasse durch ihre Selbsttätigkeit ermöglicht, ihre Macht, ihre Forderungen und ihre Rechte im kapitalistischen Rahmen zu verteidigen und voranzutreiben – aber auch durch die Gewerkschaften den Kern einer neuen sozialen Ordnung zu bilden. Eine neue Gesellschaftsordnung, die auf der Selbstverwaltung der Arbeiter basiert, auf einer demokratischen Wirtschaftsplanung und auf der Macht des Volkes und der Kontrolle durch die Arbeiter.
Dieser als Embryo-These bezeichnete Ansatz beinhaltet, dass die Gewerkschaftsstrukturen selbst die Grundlage, den Kern dieser neuen Gesellschaftsordnung bilden können, um die schon oft vorgefundene Situation zu vermeiden, dass die Arbeiterbewegung lediglich anderen politischen Kräften zur Staatsmacht verhilft.
Bei diesem Ansatz ist die Selbsttätigkeit der Arbeiterklasse sowohl das Mittel zum Zweck als auch das Ziel des Kampfes für die Arbeitermacht. Der Kampf für Arbeitermacht und Emanzipation wird nicht nur kurzzeitig geführt und dann an andere Kräfte, wie politische Parteien und den Staat, ausgelagert, sondern wird alltäglich durch Selbsttätigkeit entwickelt; der Kampf selbst ist dabei der Kern der neuen Gesellschaftsordnung.
Nun zu einigen allgemeinen Punkten, die ich ansprechen möchte, bevor ich mich mit einigen anderen Gewerkschaftstraditionen beschäftige.
Der Mythos von der Arbeiterklasse im Niedergang
Erstens, Gewerkschaften sind wichtig. Über Ländergrenzen hinweg ist die Ansicht weit verbreitet, dass die Gewerkschaftsbewegung im Niedergang begriffen sei, dass sie eine Minderheit darstelle, dass sie, wenn überhaupt, etwas sei, das zu einer vergangenen Geschichtsperiode gehöre. Diese Ansicht, die nicht nur von der Rechten, sondern auch von einem überraschend großen Teil der Linken vertreten wird, ist falsch. Wenn wir uns einige der verfügbaren Zahlen ansehen, ist die Zahl der in Gewerkschaften organisierten Personen im weltweiten Vergleich sogar gestiegen.
Dem liegt ein größerer Prozess auf der ganzen Welt mit massiver Proletarisierung zugrunde. Wir haben keine klare Vorstellung davon, wie groß die Arbeiterklasse im Moment ist — ich meine dabei die Klasse, die von Löhnen abhängig ist, aber keine Kontrolle über die Arbeit hat, also schließe ich Angestellte, Dienstleistungsjobs, Arbeitslose und die Familien von Angestellten und Arbeitslosen ein — aber wir wissen, dass es zum Beispiel in Afrika, Asien und Lateinamerika in den letzten 50 Jahren einen demographisch viel größeren Prozess der Proletarisierung gegeben hat als in der gesamten Geschichte des Westens in den letzten 300 Jahren.
Wir wissen auch, dass laut dem Global Wage Report der ILO [2]International Labour Organization Löhne die größte Haupteinkommensquelle für Haushalte auf der ganzen Welt darstellen. Wir wissen, dass etwa die Hälfte der globalen Erwerbsbevölkerung in Lohn- oder Gehaltsarbeit beschäftigt ist. Wir wissen, dass die industrielle Arbeiterklasse in den westlichen Industrieländern von 2000 bis 2013 um 5 Millionen geschrumpft ist, während sie allein in den Ländern mit mittlerem Einkommen um 195 Millionen gewachsen ist. Wir wissen, dass 2006 die Mehrheit der Weltbevölkerung in Städten lebte. Und wir wissen, dass, während die landwirtschaftliche Bevölkerung insgesamt abnimmt, innerhalb dieser Bevölkerung die Bauernschaft ein schrumpfender Teil ist, da die landwirtschaftliche Lohnarbeit zunimmt.
Die Arbeiterklasse ist also größer, die Gewerkschaften werden größer und das Potenzial für Gewerkschaften wächst massiv.
Konstruktiver Dialog innerhalb der Linken
Zweitens müssen wir die verschiedenen linken Traditionen als eine Ideenfamilie betrachten, die aus einer gemeinsamen Menge von Kämpfen und Anliegen hervorgegangen ist. Die bedeutenden Traditionen wie der Marxismus, die Sozialdemokratie und der Anarchismus (einschließlich dem Syndikalismus) entstanden als Reaktion auf den Kapitalismus und den Staat. Wie Daniel Guérin bemerkte, schöpften der Anarchismus und der Marxismus beide »aus derselben proletarischen Quelle«. Die verschiedenen Traditionen mögen Probleme unterschiedlich angehen und man kann nicht behaupten, dass die Familie immer glücklich war, aber ich denke, dass ein Dialog zwischen den verschiedenen Traditionen sehr produktiv und fruchtbar sein kann.
Ein konstruktiver Dialog ermöglicht es uns, verschiedene historische Erfahrungen, Ideenwege, unterschiedliche Erkenntnisse zu untersuchen und uns an einem Prozess des kollektiven Lernens zu beteiligen. Wir können dadurch sowohl die gemeinsamen Anliegen und die gemeinsamen Wurzeln der Arbeiterklasse bekräftigen, als auch Fragen klären, Annahmen aufgreifen und wichtige Herausforderungen, Debatten und Momente erneut behandeln.
Ich glaube nicht, dass wir momentan versuchen sollten Unterschiede in der Linken zu beseitigen; ich denke nicht, dass wir Angst vor Unterschieden in der Linken haben müssen. Ich glaube nicht, dass die alten Meinungsverschiedenheiten bedeutungslos sind, und ich glaube nicht, dass wir uns in einer neuen Ära befinden, in der die bestehenden Traditionen bedeutungslos sind. Wir haben das 19. Jahrhundert nicht verlassen: der klassische Kapitalismus ist zurück, aber mächtiger.
Aus der Vergangenheit lernen
Ich denke, wir sind uns alle völlig einig darüber, dass wir die dogmatische Methodik, ältere Traditionen als Antworten auf alles zu betrachten, ablehnen! Aber das bedeutet nicht, dass wir diese Traditionen aufgeben müssen. Wir müssen die linken Traditionen als eine Ressource verstehen, die kollektiv und international generiert wurde und wird. Weder Marx noch Mikhail Bakunin, Piotr Kropotkin oder zum Beispiel C.L.R. James entwickelten diese Traditionen aus einem Elfenbeinturm heraus. Sie waren vielmehr Teil eines kollektiven Prozesses der Wissensproduktion, der in den letzten 150 Jahren von Millionen und Abermillionen von Menschen auf der ganzen Welt getragen, ausgearbeitet und angewendet wurde. Wenn wir diesen Wissensschatz, diese Werkzeugkiste, unvoreingenommen betrachten, können wir einerseits viele gute und nützliche Ideen finden und entwickeln; und andererseits müssen wir ebenfalls unvoreingenommen die Lehren aus den bisherigen Erfahrungen ziehen.
Kritische historische Reflexion ist wichtig. Wir müssen sehr vorsichtig sein, dass wir nicht alte Fehler wiederholen und alte Illusionen säen, und gleichzeitig müssen wir auch erkennen, dass vieles, was heute als »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« bezeichnet wird, nicht neu ist und nicht unbedingt ins 21. Jahrhundert passt. Viele der Ideen, die diesem Label zugeordnet werden, kursieren innerhalb der Linken in diversen Formen seit mindestens den 1820er Jahren! Viele wurden ausprobiert, nur wenige waren wirklich erfolgreich. Man kann heute leicht sagen, dass die russische Revolution gescheitert ist, und man kann daraus schnell den Schluss ziehen, dass die revolutionäre Diktatur gescheitert ist.
Aber wir brauchen auch eine ehrliche Bilanz für andere Vorschläge. Die Idee, dass wir eine Entwicklung vom Kapitalismus weg durch eine massive Ausweitung des Genossenschaftssektors, eines so genannten »sozialen« oder »nicht-kapitalistischen« Sektors, erreichen können, war beispielsweise die Position von P.J. Proudhon bereits in den 1830er Jahren; die Idee, dass diese vom Staat gefördert werden sollten, wurde etwa zur gleichen Zeit von Louis Blanc vertreten. Dieser Ansatz führte trotz einer Massenbasis und Massenunterstützung nirgendwo hin. Dieser große Misserfolg – oder eher diese Reihe von großen Misserfolgen – ist genau der Grund, warum Menschen wie Bakunin zu einem viel konfrontativeren Ansatz übergegangen sind, der vorsah gemeinsam die Produktionsmittel zu ergreifen, anstatt alternative Produktionsmittel am Rande der Gesellschaft zu schaffen.
Ein Dialog innerhalb der Linken, mit unserer eigenen Geschichte und eine konstruktive Debatte und Reflexion können uns also helfen, das Rad nicht neu zu erfinden, Fehler zu vermeiden, die wir vermeiden können – und es gab große Fehler auf allen Seiten, das müssen wir ganz klar sagen – aber auch zu sehen, wie frühere Generationen Herausforderungen angegangen sind, die wir für ein Phänomen der Neuzeit halten, die aber alles andere als neu sind: Masseneinwanderung, aggressiv agierende Staaten, globales Kapital, das Zunehmen prekärer Arbeitsverhältnisse – und eine globale Arbeitsteilung, die die Arbeitnehmer gegeneinander ausspielt.
Globale, nicht westliche Traditionen
Drittens und letztens möchte ich betonen, dass, so wie die Arbeiterklasse eine universelle und globale Klasse ist, ihre großen linken politischen Traditionen – Marxismus, Sozialdemokratie, Anarchismus/Syndikalismus und andere – auch globale Ideen und Traditionen sind. Ich gehe von der Prämisse aus, dass wir die Welt der Ideen und der Politik und der Klassenbildung nicht in Form von abgeschotteten zivilisatorischen Silos, afrikanischen, europäischen, asiatischen usw. betrachten können: wir sprechen hier vielmehr von klassenbasierten Traditionen, die eine globale Klasse repräsentieren und Traditionen, die global entwickelt wurden. So hat beispielsweise der Marxismus in Deutschland begonnen, wurde aber auch von den britischen Wirtschaftswissenschaften und dem französischen Sozialismus beeinflusst; er wurde durch Erfahrungen beispielsweise in China, Kuba, Indien, Mosambik und Russland grundlegend geprägt und umgeformt. Eine solche Idee als »eurozentrisch« zu präsentieren ist also ungenau und irreführend. Es gibt keinen einfachen Wegfluss vom »Westen zum Rest«, sondern etwas ganz anderes passiert hier, als Teil einer globalen Geschichte der Arbeiterbewegung.
Der Syndikalismus geht aus einer breiten anarchistischen Tradition hervor: Ich möchte hier ganz klar sagen, dass ich mit »Anarchismus« eine politische Tradition der Arbeiterklasse meine, die in den 1860er Jahren in der Ersten Internationale entstanden ist, eine Tradition, die unauslöschlich mit Persönlichkeiten wie Bakunin und Kropotkin verbunden ist, eine rationalistische revolutionäre Form des libertären Sozialismus, die sich gegen die soziale und wirtschaftliche Hierarchie und Ungleichheit wendet und die für eine radikal-demokratische, globale Föderation von Arbeiter- und Gemeinderäten kämpft, die auf Versammlungen, mandatierten Delegierten und Gemeineigentum basiert. Er zielt darauf ab, die Mittel der Verwaltung, zur Durchsetzung des öffentlichen Rechts und der Produktion unter die Kontrolle des Volkes zu bringen, um Selbstverwaltung, demokratische Planung von unten und Produktion für den Bedarf und nicht für Profit oder Macht zu ermöglichen.
Freiheit erfordert Solidarität
Kernprämisse ist die Beharrlichkeit auf den Wert der individuellen Freiheit, aber auch die damit verbundene Aussage, dass individuelle Freiheit nur durch kooperative, egalitäre und demokratische soziale Beziehungen möglich ist. In der von Bakunin befürworteten echten kommunistischen Gesellschaft sind die Menschen tatsächlich frei, da sie sowohl gemeinsamen, gleichberechtigten Zugang zu wichtigen gesellschaftlichen Ressourcen, keine Diskriminierung aufgrund von Klasse, Geschlecht, Rasse usw. als auch die reale, grundlegende Möglichkeit haben, direkte, sinnvolle Entscheidungen in einem breiten Spektrum von Lebensbereichen zu treffen. Tatsache ist, dass man in einer Verfassung alle Rechte haben kann, die man nur möchte, aber wenn man obdachlos ist und unter einer Eisenbahnbrücke schläft, ist man kaum in der gleichen Position wie der Besitzer der Eisenbahn.
Diese Sichtweise – individuelle Freiheit durch wirtschaftliche und soziale Gleichheit, in einer auf politischem Pluralismus basierenden Gesellschaft – führt direkt zu einer Kritik am Kapitalismus, am Grundbesitz und am Staat selbst, denn alle werden als Mittel zur Zentralisierung von Reichtum und Macht in den Händen kleiner Herrschaftsklassen gesehen. Aber es geht auch um eine Kritik, zum Beispiel an autoritären Familienbeziehungen, an vielfältigen Formen der sozialen Unterdrückung durch Geschlecht, Imperialismus, Nation, Rasse und Hierarchie zwischen Menschen im Allgemeinen.
Die individuelle Freiheit erfordert also eine revolutionäre Rekonstruktion der sozialen Beziehungen, in der allen Menschen eine Lebensgrundlage garantiert ist, in der es eine größere und immer größere Freiheit für den Einzelnen und die Abschaffung künstlicher und aufgezwungener Ungleichheiten gibt. Dies erfordert unter anderem die Abschaffung von Strukturen wie Kapitalismus, Grundbesitz und Staat, die in volksfeindlichen Logiken gefangen sind, gerade weil sie auf Klassenungleichheiten von Macht und Reichtum aufbauen und diese zum Ausdruck bringen. Sie ermöglichen und erfordern die Unterwerfung und Ausbeutung der unteren Klassen.
Der Staat, der immer zentralisiert ist, ist so gesehen keine neutrale, technische Lösung zur Steuerung komplexer Gesellschaften. Er ist in erster Linie ein Mittel, um die administrative Macht und die Zwangsbefugnis in die Hände einiger Weniger zu legen, damit sie diese Ressourcen in einer Befehlskette von oben nach unten und auf Kosten der unteren Klassen verwalten können.
Schriftsteller wie Max Weber, die sich der negativen Folgen der modernen Staatsmacht bewusst waren und wussten wie leer die Behauptung war, es würde tatsächlich das Volk regieren, verstanden dies falsch und sahen die Staatsmacht daher als notwendiges Übel. Aber für Bakunin und Kropotkin war der Staat weder effizient noch notwendig, sondern eine Form der Klassenherrschaft. Unter Berücksichtigung der Klassengesellschaft folgt daraus nicht, dass jeder, der Teil des Staatsapparats ist, der Feind ist, denn Staatsbürokratien als solche sind keine Interessengruppen, die sich mit den Klassen überschneiden; vielmehr sind Staatsbürokratien ein organisierter Apparat der Klassenherrschaft, ausgeübt durch eine kleine politische Elite, die eng mit einer kleinen Anzahl privater Eigentümer zusammenarbeitet, wobei gleichzeitig die meisten Menschen in diesen Systemen gewöhnliche Arbeiter sind. Gegen den Kapitalismus zu sein bedeutet, Kapitalisten zu bekämpfen, nicht die Arbeiter, die sie beschäftigen, oder nützliche Produkte, die sie anbieten oder verkaufen; genauso bedeutet gegen den Staat zu sein, sich gegen staatliche Eliten zu stellen, nicht die Arbeiter, die sie beschäftigen oder nützliche Produkte, die sie anbieten oder verkaufen.
Für den Syndikalismus und Anarchismus ist die Annahme, dass die unteren Klassen die staatliche oder politische Elite gegen die privatkapitalistische oder wirtschaftliche Elite ausspielen können, oder dass wir die bestehende staatliche Elite durch eine neue ersetzen oder sie durch massive Verstaatlichung mit der privatkapitalistischen Elite fusionieren lassen sollten unzureichend, denn sie übersieht die Tatsache, dass die staatliche Elite Teil des Problems ist, dass sie Teil der herrschenden Klasse ist und von einer volksfeindlichen Logik angetrieben wird, die keineswegs anders ist und keineswegs als Mittel zum Zweck dienen kann oder veränderlicher ist als die volksfeindliche Logik der Privatunternehmen.
Das bedeutet, dass Menschen, die den Staat führen, – unabhängig von Absichten, Ideologie, persönlicher Geschichte oder sozialer Herkunft – Teil einer unterdrückenden herrschenden Klasse sind. Es ist nicht so, dass gute Menschen vom Staat kooptiert werden, weil sie korrumpiert sind oder die Problematik nicht verstehen; es ist die Logik ihrer Position an der Spitze des Staates, die sie zwingt, auf eine Weise zu handeln, die gegen das Volk gerichtet ist.
Südafrika ist ein Beispiel dafür: Schaut Euch die einst bedeutende Bewegung von Nelson Rolihlahla Mandela 22 Jahre später an und seht, was daraus geworden ist. Es ist nicht das erste Beispiel, und es wird auch nicht das letzte sein, und es kann nicht auf ein paar schwarze Schafe wie Jacob Zuma [3]Jacob Zuma war von 2009 bis zu seinem Rücktritt 2018 der Präsident von Südafrika. Bereits vor seiner Amtszeit war Zuma mit zahlreichen Vorwürfen konfrontiert, unter Anderem wegen Korruption und Geldwäsche. zurückgeführt werden. Es ist ein vollkommen typischer Fall; an dem, was aus dem ANC [4]African National Congressgeworden ist, ist nichts besonders, denn die Geschichte spielt sich mit allen politischen Parteien, die staatliche Macht innehaben, gleich ab, unabhängig davon, ob sie links oder rechts sind.
Nicht Wahlen, sondern Gegenmacht
Nun muss sich die Frage stellen: Wie löst man dieses Problem? Eine weitere Partei an die Macht zu bringen und zu hoffen, dass dieses mal magischerweise das Ergebnis anders sein wird, ist nicht sinnvoll.
Die anarchistische Tradition ist vielfältig, mit vielen internen Debatten, aber der Hauptstrang, der Anarchismus von Bakunin, Kropotkin und anderen, ist das, was ich »Massenanarchismus« nenne. Er sieht vor, dass wir uns von unten für eine alternative Gesellschaft organisieren müssen, durch eine präfigurative Politik der klassenkämpferischen Massenorganisation.
Das bedeutet zum einen den Aufbau alternativer Massenorganisationen im Kampf gegen die herrschende Klasse. Organisationen, die die Basis des Widerstands, die Hebel der sozialen Revolution sowie den Kern einer neuen, selbstverwalteten, egalitären Ordnung bilden. Dies ist ein Ansatz, der als Aufbau einer klassenbasierten Gegenmacht von unten beschrieben werden kann.
Dabei geht es um basisdemokratische Massenorganisationen, die sich der herrschenden Klasse widersetzen, sie dann besiegen und sie schließlich überwinden können: Das Ziel ist im Wesentlichen die Ausbreitung eines demokratischen egalitären Projekts der unteren Klassen, das das genaue Gegenteil der zentralisierten, elitären und hierarchischen Institutionen des Staates und der Unternehmen ist. Um dieses Projekt innerhalb der Gesellschaft auszuweiten, müssen wir über reinen Widerstand oder kleine Experimente hinausgehen, hin zum gemeinsamen Besitz und zur demokratischen Kontrolle aller wichtigen gesellschaftlichen Ressourcen.
Ich stimme der Genossin Hilary zu, dass der Autonomist John Holloway falsch liegt, wenn er denkt, dass der Kapitalismus durch die Ausweitung von experimentellen Lebensweisen und Aussteigern »brechen« wird. Dafür ist er viel zu mächtig; wir müssen die Menschen warnen, wie gefährlich das System ist. Wir brauchen eine Richtung, eine Politik, einen Plan, wohin wir gehen.
Wie meine Genossinnen und Genossen auf dem Podium gezeigt haben, Ideen sind wichtig: Es gibt keinen Automatismus, der von einer massenhaften, demokratischen Organisation von unten nach oben zu einer Transformation der Gesellschaft führt. Im Gegenteil, das typische Muster ist, dass demokratische Massenorganisationen und Kämpfe der unten Klassen – trotz der Fortschritte, die sie erreichen und mit denen sie die soziale Ordnung prägen können – vereinnahmt werden; sie werden von kleinen Eliten Vehikel benutzt, um an die Staatsmacht zu gelangen, wo dieselben kleinen Eliten – ehemalige Gewerkschaftsführer, Helden der nationalen Befreiung, ehemalige Aktivisten von der Basis, wer auch immer – dann Teil des Systems werden und zur Wiederherstellung der Macht der herrschenden Klasse beitragen.
Für Bakunin sind die unten Klassen ohne eine revolutionäre Theorie dazu verdammt, einen endlosen Zyklus zu wiederholen, den Zyklus aus Herrschern, die Herrscher ersetzen und Ausbeutern, die Ausbeuter ersetzen, in dem Aufstände gegen Unterdrückung neue Unterdrücker hervorbringen. Daher ist es notwendig, den demokratischen Raum innerhalb der Massenorganisationen zu nutzen, um für eine Alternative zu werben, für eine Kritik an der Gegenwart, eine Vision der Zukunft und eine Strategie, um sie zu erreichen. Eine neue »Sozialphilosophie« (Bakunin), und die reale Möglichkeit einer neuen Ordnung und eines Glaubens an die Fähigkeit der einfachen Menschen, sie zu erschaffen.
Dieses Projekt der Gegenmacht erfordert als Zwillingsprojekt ein revolutionäres Projekt, um die Gegenkultur von unten – den Kampf gegen die herrschende Ordnung – aufzubauen, so dass man idealerweise eine Situation hat, in der es nicht nur demokratische, klassenkämpferische Massenbewegungen gibt, sondern diese demokratischen Massenbewegungen im Mittelpunkt des Aufbaus einer alternativen Weltanschauung von unten stehen.
Ideen, Debatten, Pluralismus
Deshalb brauchen wir spezifische anarchistische oder syndikalistische politische Organisationen – nicht als Ersatz für die Selbsttätigkeit der Massen, sondern als eine Kraft, um sie zu fördern; nicht als eine Partei, die auf staatliche Macht abzielt, sondern als eine Kraft, die hilft, die Massenorganisationen selbst und damit die unteren Klassen dazu zu bringen, die Macht direkt zu übernehmen.
Was Bakunin zum Beispiel in der Ersten Internationale wollte, war keine anarchistische Internationale, ebenso wenig wie er eine marxistische Internationale wollte. Er wollte, dass die Erste Internationale ein Organ ist, das die größtmögliche klassenbasierte Einheit schafft und in diesem Rahmen die demokratische Diskussion, Ausarbeitung und Erprobung verschiedener Perspektiven ermöglicht.
Dazu kam es nicht, da die Erste Internationale sich zwischen den Anarchisten und den Marxisten im Jahr 1872 spaltete, aber es ist bekannt, dass der anarchistische Flügel viele Nichtanarchisten umfasste und dass die Bakuninisten in den nächsten fünf Jahren konsequent versucht haben, eine Versöhnung zu organisieren. Dies lag nicht daran, dass die Differenzen keine Rolle spielten, sondern daran, dass die Einheit der Arbeiterklasse und der Bauernschaft von größter Bedeutung war, dass die Revolution demokratische Massenorganisationen und keine kleinen politischen Sekten erforderte und dass sie der Überzeugung waren, dass Probleme demokratisch gelöst werden konnten. Dies war der Kern ihres Projekts.
Wo passen die Gewerkschaften hier rein? Für die meisten Massenanarchisten – einschließlich Bakunin und Kropotkin – sind Gewerkschaften ein wesentlicher Bestandteil beim Aufbau von Gegenmacht. Als Massenorganisationen, die am Arbeitsplatz angesiedelt sind, sind sie das wichtigste und unersetzliche Mittel, um Produktionsmittel unter die Kontrolle des Volkes zu bringen; als extrem widerstandsfähige Massenorganisationen, die sich bestens dafür eignen, Spaltungen unter den Arbeitnehmern zu überwinden und gemeinsame Forderungen – zum Beispiel um Löhne – und spezifischere Forderungen – zum Beispiel um Gleichstellung der Geschlechter oder Einwanderungsrechte – zu stellen, können sie mächtige Hebel der Revolution sein; als Gruppierungen, die am Produktionsort angesiedelt sind, verfügen sie über enorme strukturelle Macht, da sie in der Lage sind, Kapitalakkumulation und staatliche Funktionen zu unterbrechen.
Offensichtlich wird hier die Annahme, dass Gewerkschaften grundsätzlich in den Status quo integriert werden können, komplett abgelehnt. Selbstverständlich können Gewerkschaftsführer korrumpiert und in die herrschende Ordnung integriert werden. Wie jeder weiß entwickeln viele Gewerkschaften eine Bürokratie – hauptamtliche Funktionäre und gewerkschaftliche Führungskräfte, die als Bremse für Kämpfe dient und den Samen des Verrats in sich trägt. Aber die Gewerkschaften selbst können nicht kooptiert werden. Sie stehen für einen grundlegenden Widerspruch innerhalb der Gesellschaft. Sie sind nicht käuflich, genauso wenig sind die Arbeiter käuflich. Die bloße Tatsache der Existenz von Gewerkschaften folgt aus der Unfähigkeit dieser Gesellschaft, die Bedürfnisse der unteren Klassen in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zu befriedigen.
Reformen, nicht Reformismus
Für den Syndikalismus gilt, dass Reformen – progressive Veränderungen innerhalb des bestehenden Systems – durch demokratische, klassenbasierte Massenbewegungen, einschließlich Gewerkschaften, gewonnen werden können und sollten, aber entscheidend ist, wie wir Reformen gewinnen. Für den Syndikalismus und den Massenanarchismus im Allgemeinen sollten Reformen von unten gewonnen werden. Dies macht sie zu einem Mittel zur Aktivierung von gewöhnlichen Menschen, zur Entwicklung von Vertrauen, zum Aufbau von Organisation und Bewusstsein, zu einem ein Mittel zur Schaffung weiterer Impulse für weiterführende, stärkere Forderungen – und zu einem Mittel zur Verbesserung des Lebens der Menschen.
Aber, wie jemand vorhin sagte, nachdem ein Widerspruch gelöst ist, entsteht ein anderer. Der Massenanarchismus besteht darauf, dass ein einzelner Sieg für Reformen das Gesamtproblem nicht löst. Reformen sind nützlich, aber sie reichen nicht aus.
Der Punkt des Syndikalismus ist eine Anwendung der Gegenmacht/Gegenkulturstrategie am Arbeitsplatz. Aber die Zielsetzung und der Tätigkeitsbereich des Syndikalismus beinhalten auch, eine Gewerkschaftsbewegung aufzubauen, die nicht nur ökonomistisch ist und sich dabei nur auf Löhne und Arbeitsbedingungen konzentriert, oder reformistisch ist und die Revolution aufgibt, oder nur arbeitsplatzbezogen ist. Es handelt sich um eine Gewerkschaftsbewegung, die sich zu einem breiten Spektrum von Themen organisiert, am Arbeitsplatz und über die Arbeit hinaus, in wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hinsicht. Sie betont direkte Aktionen, ist offen für Allianzen mit einer Reihe von Kräften der unteren Klassen, und sie ist zutiefst politisch, aber unabhängig von politischen Parteien. Sie ist massenbasiert, radikal und politisch, aber auch tolerant gegenüber Vielfalt. Es ist eine transformative Gewerkschaftsbewegung, die in sich selbst den Samen einer neuen Ordnung in der Hülle der alten Gesellschaft bildet.
Ich möchte hier ganz klar sagen, dass aus Sicht des Syndikalismus und des Massenanarchismus, aus dem er hervorgegangen ist, Gewerkschaften politisch sein werden, aber sie werden keine »politischen Gewerkschaften« in dem Sinne sein, wie wir es normalerweise meinen – Gewerkschaften, die mit Parteien verbunden sind. Im Gegenteil, die Gewerkschaften werden sich gleichzeitig sowohl an wirtschaftlichen als auch an politischen Aktivitäten beteiligen und in der Praxis jeglichen Versuch zur Schaffung einer Arbeitsteilung, bei der die Gewerkschaften sich um wirtschaftliche Fragen kümmern und die Parteien die Politik »machen«, abwehren. Ziel ist es, die Kluft in der Arbeiterklasse zwischen wirtschaftlichen und politischen Kämpfen zu überwinden und so die Sackgasse des Strebens nach staatlicher Macht zu blockieren, der die Parteien tendenziell folgen.
Gewerkschaften und andere Formen der Gegenmacht, die die gleiche Linie verfolgen, würden somit in vielerlei Hinsicht die Parteien ersetzen und das wiederkehrende Muster vermeiden, sich mit politischen Parteien zum Verrat zu verbünden. Innerhalb der Gegenmacht sollen tausend politische Strömungen blühen und wirken. Aber, dass demokratische Massenorganisationen durch Parteien und den ersetzt werden ist ebenso wie der Weg zur Staatsmacht abzulehnen – denn die staatliche Bühne ist ein »riesiger Friedhof«, auf dem das »wirkliche Streben« und die »lebendigen Kräfte« der Massen »getötet und begraben« werden (Bakunin).
Abschied von den Parteien
Bakunin argumentierte, ein bürgerlich-demokratischer Staat sei »tausendmal« besser als eine »aufgeklärte« Diktatur, aber Wahlen seien eine »große Illusion« in einem kapitalistischen System: »Nach den Wahlen kehrt jedermann sogleich zu seinen gewohnten Beschäftigungen zurück: das Volk zu seiner Schufterei und die Bourgeoisie zu ihren profitablen Geschäften und politischen Intrigen.«
Wir tun innerhalb der Arbeiter- und der linken Bewegung größtenteils weiterhin so, als ob der Staat etwas anderes wäre als der Kapitalismus – als ob, während der Kapitalismus eine bestimmende Natur hat, bei der der Ort der Macht immer vom Kapital besetzt ist, bei der die Dynamiken des Kapitalismus eiserne Gesetze der Geschichte sind – trotz all unserer Erfahrungen, als ob der Staat keine bestimmenden Merkmale hätte, keine Fusion mit Eliten oder eiserne Gesetze. Wir hatten reformistische und revolutionäre Parteien an der Macht, wir hatten linke Sozialdemokraten, rechte Sozialdemokraten, wir hatten radikale Nationalisten und Marxisten-Leninisten; in direkter Nachbarschaft zu Südafrika hatten wir eine Revolution unter der marxistisch-leninistischen Partei FRELIMO[5]Frente de Libertação de Moçambique (deutsch: Mosambikanische Befreiungsfront) in den 1960er und 1970er Jahren in Mosambik.
Aber jedes dieser staatlichen Projekte endete ausnahmslos darin, dass sich die Parteien den alten Eliten anschlossen oder neue Eliten bildeten. Es gibt eine grundlegende Inkompatibilität zwischen der Logik der Massenorganisation für die unteren Klassen und der Selbstverwaltung und Demokratie von unten und der Logik der Herrschaft von Staat und Konzernen. Die Einrichtung einer weiteren Partei oder der Versuch, bestehende Parteien zu »reparieren«, ist eine Sackgasse. Der ganze Ansatz ist falsch.
»Movement Unionism« nicht genug
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass der Syndikalismus nicht gleichzusetzen ist mit dem Konzept des »social movement unionism« (»Gewerkschaft als soziale Bewegung«), das sich auf demokratische Gewerkschaften bezieht, die Bündnisse mit anderen Kräften bilden und für demokratische Reformen kämpfen [6]Ein Beispiel für diesen Ansatz ist die Verbindung zwischen der Südafrikanischen Gewerkschaftsföderation COSATU und dem breiteren Anti-Apartheidskampf durch die Vereinigte Demokratische Front in Südafrika in den 1980er Jahren.. Denn obwohl er diese Elemente teilt, lehnt der Syndikalismus Bündnisse mit politischen Parteien ab, die auf Staatsmacht abzielen, etwas, das die wichtigsten »social movement unions« – in Brasilien, Korea und Südafrika – alle akzeptiert haben.
Während der »social movement unionism« ein vages, oft schwer fassbares Ziel hat, hat der Syndikalismus ein klares revolutionäres Projekt, da er ganz explizit auf ein Projekt der Selbstverwaltung durch die Gewerkschaften und andere Organe der Gegenmacht abzielt; dies ist ein Kampf, der – das ist völlig klar – nicht auf dem fremden Terrain des Staates geführt werden kann, sondern nur organisiert von außen und gegen den Staat. Er wird die Organisation von Angestellten des Staates beinhalten, aber er lehnt den Einsatz von Gerichten, Parlamenten, offizieller Politik und korporatistischer Mechanismen sowie das Streben nach staatlicher Macht ab.
Er zielt auf die organisatorische Selbstversorgung und die Autonomie der Arbeiterklasse ab, auch finanziell. Ich schlage nicht vor, dass wir jegliche externe Finanzierung, beispielsweise durch andere Gewerkschaften, ja sogar Parteien, vollständig ablehnen, aber das darf niemals ein Ersatz für eine weitgehende Selbstfinanzierung sein – und es muss alles getan werden, um die demokratische Kontrolle der Mittel zu gewährleisten und die gesamte Finanzierung den bestehenden Zielen unterzuordnen, anstatt die Ziele zu ändern, um Geldmittel zu erhalten. Es müssen allergrößte Anstrengungen unternommen werden, um die Zahl der Vollzeitstellen in den Gewerkschaften begrenzt zu halten, ihnen einen Durchschnittslohn zu zahlen und sie der strengsten Rechenschaftspflicht unterwerfen; die Geldmittel müssen sich auf Weiterbildung und Organizing konzentrieren und nicht auf Investitionen. Und jede Bestrebung, Geldmittel für den Aufbau von Klientelsystemen zu verwenden, muss strikt abgelehnt werden.
Die anarcho-syndikalistische CNT in Spanien in den 1930er Jahren hatte zwei Millionen Mitglieder, keine staatliche Finanzierung, keine reichen Geldgeber und sehr wenige bezahlte Stellen. Gleichzeitig leitete sie Tausende von Arbeiter- und Nachbarschaftszentren, Dutzende von Zeitungen, darunter die größte Tageszeitung des Landes, einen Radiosender und kämpfte gegen eine brutale herrschende Klasse. Es ist absurd, dass es in Südafrika linke Gewerkschaften mit einer Milliarde Rand [7]Südafrikanische Währunggibt, die an Investmentfirmen gebunden sind, während sie kein vernünftiges Medien- oder Bildungsprogramm finanzieren können und auf ausländische Spenden angewiesen sind, um weiterzumachen. Diese Milliarden sollten in die Organisation und Bildung der Massen fließen. Selbstversorgung ist eine Voraussetzung für Autonomie und ein Schutz vor inkonsequentem Organizing und einer Gewerkschaftsbürokratie, die das Geld durch zentralisierte Konten, Kontakte zu Geldgebern und Einfluss in gewerkschaftlichen Investmentgesellschaften kontrolliert.
Pläne für die Selbstverwaltung der Arbeitnehmer, die Hilary erwähnte, wie die Vorschläge der Vickers-Arbeiter im Vereinigten Königreich in den 1970er und 1980er Jahren, sind absolut inspirierend; ich denke, wir alle sind uns einig, dass wir von den kreativen Fähigkeiten der Arbeiterklasse beeindruckt sind, und wir alle erkennen die Notwendigkeit an, eine echte demokratische Kontrolle über die Produktion auszuweiten und die Kontrolle der Geschäftsführung zurückzudrängen. Aber wie Vickers zeigte, war der Glaube an den Staat fehl am Platz; trotz der Unterstützung durch Parteilinke der Labour Party, wie Tony Benn, kam keine wirkliche Unterstützung vom Staat – und unabhängig davon favorisierte Benn eine starke Rolle des Staates bei der Verwaltung der Industrie, was das Gegenteil einer echten demokratischen Kontrolle der Produktion ist. Der Kampf gegen den Kapitalismus ist auch der Kampf gegen den Staat; der Kampf gegen die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit in der Gesellschaft ist auch der Aufbau einer demokratischen, klassenkämpferischen Massenbewegung.
Gewerkschaften können den Spurwechsel ermöglichen
Schließlich lehnt der Syndikalismus Vorstellungen ab, dass sich Gewerkschaften automatisch auf die eine oder andere Weise entwickeln. Er lehnt die pessimistische Sichtweise von Robert Michels ab – der übrigens dem Syndikalismus sehr nahe stand, bevor er sich nach rechts bewegte -, dass alle Gewerkschaften, wie andere Massenformationen, zwangsläufig undemokratisch enden; er lehnt Richard Lesters Vorstellung ab, dass Gewerkschaften zwangsläufig zu bürokratischen, konservativen Körperschaften »reifen«. Er weist auch die Ansichten zurück, dass Gewerkschaften automatisch oder unvermeidlich revolutionär sind. Sie sind es nicht, und in den meisten Fällen sind sie weit davon entfernt.
Wenn ich von der Notwendigkeit spreche, dass die Arbeiterklasse die Macht der Gewerkschaften ausweiten muss, dann behaupte ich nicht, dass jede einzelne Gewerkschaft dies kann; viele sind völlig unfähig, dies zu tun; und genau deshalb müssen wir die Gewerkschaften reformieren und erneuern, und zwar durch Instrumente wie Basisbewegungen. Wir brauchen sowohl eine ideologische als auch organisatorische Erneuerung.
In Südafrika gab es eine ganzheitliche Spaltung der Gewerkschaften, durch die die South African Federation of Trade Unions (SAFTU) [8]Südafrikanischer Gewerkschaftsbund aus dem Congress of South African Trade Unions (COSATU) [9]Kongress der Südafrikanischen Gewerkschaften hervorgegangen ist, aber dies ist bisher im Wesentlichen eine Spaltung zwischen Gewerkschaften, die trotzdem weitgehend denselben politischen Traditionen folgen; für viele Beteiligte ist es kein tiefgreifender politischer Bruch mit den Traditionen der Communist Party of South Africa (SACP) und der Kongressbewegung des African National Congress (ANC) [10]1994 ging der COSATU eine »Dreiparteien-Allianz« mit der ANC und der SACP ein. Unter anderem beinhaltet diese Allianz gemeinsame Kandidatenlisten sowie personelle Überschneidungen. Aufgrund der marktfreundlichen Politik der ANC entstehen innerhalb dieser Verbindung immer wieder Konflikte zwischen Gewerkschaften und Parteien. , sondern ein Versuch, diese Traditionen aus der SACP und dem ANC heraus zu retten – dies beinhaltet eine Rückkehr zum »national-demokratischen« Revolutionsprojekt, zur Parteiform, zu den Ideen von Chris Hani, Joe Slovo und anderen.
Aus der massenanarchistischen und syndikalistischen Perspektive gibt es keinen Automatismus, der demokratische Massenbewegungen revolutionär werden lässt. Es gibt auch keine vorgegebene Flugbahn in der Geschichte, die uns unweigerlich zum Sozialismus führt, es gibt keine Etappen der Geschichte, die uns irgendwohin führen, oder gar dahin dass der Kapitalismus selbst unweigerlich zusammenbrechen wird, sei es, dass wir diesem einen 19. Jahrhundert »Dreh« geben und auf die Wirtschaftskrise setzen, oder einen »Dreh« des 20. Jahrhunderts, indem wir auf imperialistische Kriege setzen oder einen »Dreh« des 21. Jahrhunderts, in dem wir auf das ökologische Desaster setzen.
Der grundlegende Faktor ist die Selbsttätigkeit der gewöhnlichen Menschen, die die Geschichte auf eine neue Spur bringen kann, aber im Grunde genommen werden die Menschen durch die Veränderung der Ideen die Spur wechseln. Ideen sind hier die treibende Kraft. Das ist keine idealistische Vorstellung: Ideen schlagen nur dann Wurzeln, wenn sie sich mit sozialen Formationen und Klasseninteressen überschneiden; aber am Ende steht die Erkenntnis, dass es diese Ideen sind, die die Welt verändern werden, und dass dies die einzige Sicherheit ist, die wir über die Zukunft haben können.
Wir danken Lucien Van der Walt für die Genehmigung dieser Übersetzung!
Aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit wurde das Generische Maskulinum verwendet. So sind selbstverständlich nicht nur männliche Arbeiter gemeint, wenn von Arbeitern geschrieben wird …
Englisches Original – Übersetzung: Katrin
Im Kern ein guter Artikel. Der Endsatz mit dem generischen Maskulinum ist.. traurig. Das muss halt wirklich nicht sein. Ein * bringt niemanden um 😉
Solidarische Grüße.