Streik als Mittel der politischen Auseinandersetzung wird in Folge der feministischen Streiks in Spanien 2018 und der sogenannten globalen Klimastreiks der Schüler*innen von Fridays for Future immer öfter diskutiert.
Ob diese Streiks das Ziel haben Geschlechterungleichheit zu beenden, schnelleres Handeln in der Klimapolitik zu erzwingen oder eine möglicherweise in Aussicht stehende AfD-Regierung wieder zu Fall zu bringen – das Konzept bleibt das gleiche: Massenstreiks sollen entweder direkten Druck auf Unternehmen ausüben und deren Einfluss in der Politik nutzen, um politische Veränderungen zu erzwingen oder die Infrastruktur lahmlegen und die ganze Maschine erst wieder in Gang setzen, wenn sie sich im Einklang mit den Interessen der Arbeiter*innen bewegt.
Dass politische Streiks als illegal gelten, geht auf ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Freiburg aus dem Jahr 1952 zurück. Arbeiter*innen von Zeitungsbetrieben streikten, um das Betriebsverfassungsgesetz auszuweiten. Der Streik wurde zwar für illegal erklärt, aber das Gericht wollte diese Entscheidung nicht als prinzipielles Verbot aller politischen Streiks verstanden wissen:
“Sollte durch vorübergehende Arbeitsniederlegung für die Freilassung von Kriegsgefangenen oder gegen hohe Besatzungskosten oder gegen hohe Preise demonstriert werden, dann könnte dieser politische Streik wohl kaum als verfassungswidrig angesehen werden.”
Das eigentliche Problem liegt nicht in der staatlichen Repression von Streiks. Es liegt im Tarifvertragsgesetz. Streiks müssen von Gewerkschaften ausgerufen werden. Neben der Auflage, dass ein Streik nicht während einer vereinbarten Friedenspflicht stattfinden darf, muss der Streik dem Zweck dienen, Verhandlungen zu erzwingen, um das Ziel in einem Tarifvertrag festzuschreiben. Das heißt die Unternehmen müssen auch fähig sein zu liefern, was die Streikenden bestellen. Trifft davon ein Punkt nicht zu, drohen der Gewerkschaft empfindliche Schadensersatzforderungen. Die Gewerkschaft setzt mit Aufrufen zu politischen Streiks ihr Vermögen und damit ihre Handlungsfähigkeit aufs Spiel. Streiken Arbeiter*innen ohne gewerkschaftlichen Aufruf, gilt das lediglich als Arbeitsverweigerung – das ist keine Straftat, sondern schlimmstenfalls Kündigungsgrund.
Eine politische Streikpraxis ist möglich
Trotzdem gibt es historische Beispiele für politische Streiks in Deutschland. Im März 1920 streikten Hunderttausende, um den faschistischen Kapp-Putsch zu stoppen. 1968 legten Arbeiter*innen in einigen Betrieben die Arbeit nieder, um die neuen Notstandsgesetze zu verhindern und 1996 zwangen politische Streiks die Kohl-Regierung zur Rücknahme eines Gesetzes, das Lohnfortzahlung im Krankheitsfall kürzte. Nicht die Gerichte schützten die Streikenden vor Repressionen, sondern gesellschaftlicher Konsens und eine breite Beteiligung.
Ziel muss es sein eine politische Streikpraxis zu etablieren, um konsequente Maßnahmen zum Klimaschutz und Geschlechtergleichheit notfalls erzwingen zu können. Dafür ist es nötig den eigenen Betrieb als politischen Raum zu begreifen, in dem wir neben betrieblichen Problemen auch gesellschaftliche Fragen auf die ToDo-Liste setzen.
Für die Zeit bis politische Streiks auch in Deutschland Normalität geworden sind, hat die FAU Dresden Vorschläge ausgearbeitet, um die Lohnarbeit an Aktions- und Streiktagen – wie dem internationalen Frauenkampftag – kollektiv zu verzögern oder zu unterbrechen. Zum Beispiel ist der Betriebsrat nach § 43 Absatz 3 des Betriebsverfassungsgesetzes verpflichtet, auf Wunsch eines Viertels der wahlberechtigten Arbeitnehmer*innen eine Betriebsversammlung einzuberufen. Warum also nicht mit den Kolleg*innen ins Gespräch kommen und ungleiche Bezahlung der Geschlechter oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz diskutieren? Mit einiger Vorarbeit und einer aktiven Betriebsgruppe steht dann am 8. März 2021 eine ganztägige Betriebsversammlung zum Thema an. Niemand arbeitet und trotzdem werden alle bezahlt.
Weitere Ideen und mehr findet ihr in der Broschüre der FAU Dresden, die ihr hier downloaden könnt.
Der Artikel stammt aus der Verteilzeitung zum 1. Mai 2020. Diese ist sowohl hier als auch im Syndikat eures Vertrauens in gedruckter Form zu haben.