Innerhalb eines Berichtes von Genoss*Innen der FAU wird die Kurzdoku “The Day Voices Raised” erwähnt, die 2017 entstanden ist. Diese zeigt die Arbeitsbedingungen von Frauen in der Textilindustrie. Um den sexistischen Bedingungen zu begegnen, hat sich 2009 die Inter-Factory Workers‘ Federation (Federasi Buruh Lintas Pabrik – FBLP) gegründet. Der Schwerpunkt der Gründung lag auf der Entfristung von geschlechtsspezifischen Verträgen und der sofortigen Beendigung der Gewalt und der Diskriminierung gegen Arbeiter*Innen und LGBTQI*-Personen.
Die FBLP arbeitet daran, durch eine Research and Development Section wissenschaftliche Daten zu generieren, die in diesem Kampf eine wichtige Rolle spielen. Dies ist eine bedeutende Strategie, die global in der basisgewerkschaftlichen Organisation eine größere Rolle spielen muss. So können Ungleichheiten sichtbar gemacht werden, Herrschaftswissen unterwandert und Tatsachen belegbar aufgezeigt werden. Auch die Selbstermächtigung wird durch Schulungen, z.B. die seit 2016 stattfindende Female Workers School, sowie Workshops und das eigene Radio Marsinah vorangetrieben.
Aus dem Bericht geht hervor, dass Frauen auch strukturell benachteiligt werden. Unter anderem werden ihre Gehälter höher besteuert als die der Männer. Gleichzeitig sind ihre Gehälter aber auch niedriger, da davon ausgegangen wird, dass ihr Gehalt “nur” einen “Zusatzverdienst für die Familie” darstellt. Außerdem zeichnet sich in Indonesien eine immer einflussreicher werdende Identitätspolitik, unter zunehmenden Einfluss des Militärs, ab. Hierbei werden die sich ohnehin im Aufbau befindenden demokratischen und emanzipatorischen Strukturen in der Region angegriffen. Im April 2019 stehen die nächsten Parlamentswahlen an.
Strukturen der Unterdrückung können nur gemeinsam bekämpft werden
J: Wie ist die allgemeine Struktur der gewerkschaftlichen Organisation in Jakarta?
Dian: Die allgemeine Struktur der Gewerkschaften in Jakarta oder in Indonesien folgt der Arbeitsverordnung (UU Nr. 21/2000). Eine Gewerkschaft auf Fabrikebene kann von mindestens 10 Arbeiter*Innen errichtet und bei der Personalabteilung (Arbeitsabteilung) in der Nähe registriert werden. Die Strukturen bestehen mindestens aus 3 Elementen, einem Vorsitz, dem Sekretariat und einer Schatzmeister*In. 3 Gewerkschaften der Fabriken (also 3 verschiedener Fabriken) können einen Verband bilden, und 5 Verbände können einen Bund bilden. Diese Anforderungen beim Aufbau von Gewerkschaften machen es den Arbeiter*Innen leichter, Gewerkschaften zu gründen. Aber die Situation der Arbeitnehmer*Innen, die der Gewerkschaft beitreten, wie die Abhängigkeit in Bezug auf die Verträge oder Einschüchterungen machen dies immer noch nicht einfach. Es gibt also immer noch ein Problem der freiheitlichen Vereinigung.
Das Gesetz über die Freiheit der Vereinigung bei der Gründung einer Gewerkschaft wurde nach dem Sturz Suhartos geschaffen. Davor existierte lediglich eine Gewerkschaft. Der Raum, den die Demokratie schuf, führte zu einer neuen Kultur der Entwicklung der Gewerkschaft, indem die Mitglieder eingebunden wurden. Die Gewerkschaften sind daran interessiert, die Bildung auf Fabrikebene aktiver voranzubringen und den Glauben an Massenaktionen, nationale Streiks für ihre Forderungen und direkte Aktionen usw. zu stärken.
Im Jahr 2017 gibt es an die 7.000 Gewerkschaften in Indonesien. Im Vergleich zu 14.000 Gewerkschaften im Jahr 2007 (vor ungefähr einem Jahrzehnt) ist diese Zahl aber gesunken. 2017 gab es zudem 2,7 Millionen Gewerkschaftsmitglieder, im Vergleich zu 3,4 Millionen Mitgliedern im Jahr 2007. Die meisten dieser Gewerkschaften konzentrieren sich in Jakarta, weil alle Gewerkschaften ein nationales Ausmaß haben.
In Bezug auf die Arbeitnehmer*Innen sind die Beteiligungen tatsächlich von den Gewerkschaft auf der Fabrikebene abhängig. Wenn eine Gewerkschaft auf Fabrikebene als Gewerkschaft tätig ist (Bildung, tägliche Interessenvertretung, usw. betreibt), dann werden auch die Mitglieder aktiv.
In Gewerkschaften, in denen die Mitglieder zum größten Teil aus der Bekleidungsbranche, der Lebensmittelbranche oder aus der Industrie kommen, in welchen größtenteils Frauen angestellt werden, besteht die Gewerkschaftsführung meistens jedoch immer noch vorwiegend aus Männern. Auch LGBTQI*Personen sind mittlerweile unter den Gewerkschaftsmitgliedern, aber meistens outen sie sich nicht und die Gewerkschaften sehen sie nicht als LGBTQI* an, oder erkennen ihr Recht als LGBTQI* nicht an.
J: Wie hoch ist der Frauenanteil bei der FBLP?
Dian: 90 Prozent der Mitglieder in der FBLP sind Frauen.
J: Steht ihr mit Gewerkschaften anderer Branchen in Kontakt? Sind die Verhältnisse dort ähnlich?
Dian: Ja, wir sind in Kontakt mit anderen Branchen, da die Arbeitsbedingungen der Arbeiter*Innen in allen Gewerkschaften ähnlich sind. Nur die Politik der Gewerkschaften in Bezug auf einige Themen wie LGBTQI*, Frauenperspektive, Pluralismus unterscheiden sich. In anderen Gewerkschaften, insbesondere in der Bekleidungsindustrie, sind die meisten Mitglieder Frauen, aber die Positionen, wie die der Gewerkschaftsfunktionäre, sind immer noch von Männern dominiert.
J: Aus dem Bericht geht hervor, dass die FBLP vor allem aus der Notwendigkeit der Entfristung geschlechtsspezifischer Verträge entstanden ist. Hat sich in dieser Richtung schon etwas geändert? Wie ist das Verhältnis von befristeten und unbefristeten Verträgen? Haben nur Frauen befristete Verträge?
Dian: Wir hatten noch keinen Erfolg. Wir und andere Gewerkschaften haben in Bezug auf Befristungen drei Generalstreiks durchgeführt, aber es ist uns immer noch nicht komplett gelungen. In einigen Fällen gelang es Leiharbeiter*Innen, durch direkte Maßnahmen zu Festangestellten zu werden (Tausende von Arbeiter*Innen besetzten eine Fabrik, bis der Eigentümer entschied, dass alle Arbeiter*Innen festangestellt werden sollen. Nach diesem Erfolg zogen wir weiter in andere Fabriken. 2014 geschah dies auch massiv in Bekasi, wurde aber dann von der Armee unterdrückt und die direkten Aktionen gestoppt, nachdem die Führer der größten Gewerkschaften eine Vereinbarung mit der Armee unterzeichnet hatten, um die direkte Aktion zu stoppen).
Der Vertragsstatus gilt für alle Mitarbeiter*Innen, unabhängig vom Geschlecht. Meistens sind die Arbeiter*Innen jetzt aber vertraglich gebunden.
J: Mit welchen Herausforderungen wurdet ihr bei der Gründung als unabhängige Gewerkschaft konfrontiert?
Dian: Ja, die meisten Schwierigkeiten hatten wir in der Rekrutierung neuer Mitglieder und damit Kader aus diesen Mitgliedern zu generieren, eben wegen des Vertragssystems, der Einschüchterung und der massiven Entlassungen.
J: Spielt die gewerkschaftliche Praxis allgemein eine große Rolle in Jakarta? Gibt es anarcho-syndikalistische Ansätze oder Theorien in eurer Bewegung?
Dian: Ja, die Aktivitäten der Gewerkschaften spielen in Jakarta eine wichtige Rolle, insbesondere in Bezug auf Lohnfragen. Aber nach der Demonstration durch islamische Fundamentalisten haben die meisten Gewerkschaften es versäumt, eine Bewegung in der Arbeitnehmer*Innenfrage aufzubauen, einschließlich der Lohnfrage. Die Fragmentierung der Gewerkschaften passierte, nachdem sich einige große Gewerkschaften in den politischen Wettbewerb der politischen Elite eingeschaltet hatten, auch bei der Organisation islamisch–fundamentalistischer Demonstrationen.
In Jakarta sind anarcho-syndikalistische Ansätze noch nicht Teil der Bewegung. Vielleicht gibt es einige Einzelne, aber ich habe sie noch nicht gefunden.
J: Im Bericht ist von der Arbeiterin und Aktivistin Marsinah die Rede, nach welcher ihr auch euer Radio benannt habt, die als tragische Heldin in die indonesische Geschichte eingeht. Hat der Mord an ihr einen Einfluss auf heutige Bewegungen?
Dian: Ja, er hat einen Einfluss auf die heutige Bewegung. Nach dem Mord an Marsinah waren die Spannungen in der Bewegung höher, die dazu aufriefen, Suharto zu stürzen. So hatte Marsinah einen großen Einfluss auf uns und lehrt uns, was es heißt, einen Raum der Demokratie zu haben. Weil sie für Lohnsteigerungen kämpfte, ist sie bis heute eine Inspiration für die Arbeiterbewegung.
J: Im Jahr 2011 gab es sehr erfolgreich spontane Streiks in den Nähfabriken. Diese Form der direkten Aktion wurde jedoch mit Unterstützung von Gewerkschaftsfunktionären illegalisiert. Welche Gewerkschaften waren das? Welche gesetzlichen Änderungen gab es? Wie begegnet ihr dieser Einschüchterung?
Dian: Das war 2010 (im November und Dezember) im KBN Cakung Industriepark. Die Gewerkschaften, die zu den Streiks aufriefen waren die SPN, die FSBI, die SBSI 92 und wir die FBLP. Wir einigten uns auf zwei Streiks (am 25. November 2010 und am 3. Dezember 2010). Nach dem ersten Streik kontaktierte der Gouverneur des DKI alle Gewerkschaften, außer uns, und versprach, die Forderungen zu erfüllen. Deshalb haben plötzlich 3 Gewerkschaften den Streik abgesagt, aber die FBLP versuchte immer noch einen Streik durchzuführen und das gelang auch. So gab es einen lokalen Streik der KBN Cakung. Danach haben uns diese Gewerkschaften bis 2013 in jeder Hinsicht und in allen Allianzen verboten.
J: Von welchen Veränderungen, die ihr in eurem Berufsleben erlebt habt, könnt ihr berichten?
Dian: 2015 legalisierte die Regierung das Gesetz zur sozialen Sicherheit, dafür hat auch die Arbeiterbewegung gekämpft. Obwohl meine Gewerkschaft nicht wirklich mit dem Konzept der Badan Penyelenggara Jaminan Sosial (Social Insurance Administration Organization) – BPJS einverstanden ist, ist es in Wirklichkeit das Ergebnis des Kampfes der Arbeiterbewegung.
J: Wie erlebt ihr die Auswirkungen der Globalisierung unter kapitalistischen Bedingungen? Wie wichtig ist die Standortpolitik in Jakarta?
Dian: Die Auswirkungen der Globalisierung, die ich erlebt habe, liegen vor allem im Vertragssystem. Die Verträge werden immer kürzer. Wir können 20-Tage-Verträge unterzeichnen, die wir vorher nicht unterzeichnen konnten. Als das kapitalistische System flexibler wurde, wurde auch das Arbeitsverhältnis flexibler. Es gibt aber einige Produktionen, die in den Häusern der Arbeiter*Innen gemacht werden, wie in West-Java. Und auch die Fabriken zogen meist in kleine Städte um (Relocation), da sich die Großstadt stärker auf die digitale Industrie konzentrieren wird.
J: Für welche Produzent*Innen nähen die Arbeiter*Innen die Kleider? Steht ihr in Kontakt mit Gruppen an den Standorten, an welchen die Produkte verkauft werden?
Dian: Meistens werden die Textilien für die Märkte in den USA und Europa produziert. Das ist in den Fabriken bekannt, aber wir stehen noch nicht mit Gruppen in Kontakt, in denen die Produkte verkauft werden.
J: Wie kann eine Strategie der Solidarität zwischen global vernetzten Gruppen aussehen? Welche Hilfe können Arbeiter*Innen in anderen Ländern euch bieten?
Dian: Vielleicht könnte die Solidarität so aussehen, dass es eine Art Boycott gäbe, solche Produkte nicht mehr gekauft würden und es dazu eine Kampagne über die sozialen Medien gibt.
J: Wie schafft ihr es, die ganze Kraft aufzubringen, um nicht nur die schlechten Arbeitsbedingungen in den Fabriken zu bekämpfen, sondern auch gegen das sexistische Klima des ‚Angetatscht-werdens‘ zu kämpfen?
Dian: Die meisten der Frauen, die in unseren Kampf eingebunden sind, sind auch Opfer dieser Art von Gewalt, die sie in ihrem Leben erleben. Wir unterstützen uns gegenseitig, damit wir nicht mehr Opfer werden, sondern damit wir zu Überlebenden werden. Manchmal unterstützt die Familie das anfangs nicht, aber langsam erhalten wir auch die Unterstützung der Familien.
Ich danke dir Dian und allen anderen mutigen Frauen sowie Mitstreitenden für eure Mühen und wünsche euch viel Kraft im Kampf für Gerechtigkeit und gegen jegliche Ausbeutung und möchte schließen mit der Stelle im Kurzfilm ganz am Ende, wenn gezeigt wird, was den Kampf der Bewegung ausmacht, wenn sich Frauen einklatschend gegenüberstehen und zueinander sagen:
Fight back, okay!? Resist, okay!?
Der Beitrag wurde mit Unterstützung von fauhh12 (zuständig für Asien im Internationalen Komitee der FAU) erstellt.
[edit1: Click here for the english version of the interview]
3 Kommentare zu «Patriarchale Textilindustrie in Jakarta»