Prekär beschäftigt im Rheinland

Seit einigen Jahren melden sich vermehrt Menschen aus dem Süden Europas beim Allgemeinen Syndikat der FAU Bonn. Die jeweils Betroffenen wurden in unterschiedlichen nordrhein-westfälischen und rheinland-pfälzischen Betrieben ausgebeutet. Das folgende Interview wurde im Nachgang eines Falles der FAU Bonn mit dem Betroffenen geführt. In einem Café in der Bonner Südstadt arbeitete er vom ersten Tag an bis zur Kündigung unter prekären Bedingungen, während alle anderen Beschäftigten dort nach geltendem Recht behandelt wurden.

Hallo Dimitrios, vielen Dank, dass du dir die Zeit für ein Interview nimmst. Beginnen wir doch mit ein paar Worten über dich: Wie alt bist du und seit wann lebst du in Deutschland? Aus welchen Verhältnissen kommst du?

Ich bin 36 Jahre alt. In Deutschland lebe ich jetzt seit fünfeinhalb Jahren. Ich komme aus bescheidenen Verhältnissen. Als ich hierhergekommen bin, konnte ich kein deutsch sprechen. Ich bin Autodidakt, habe die Sprache gelernt und habe an der Uni studiert.

Kannst du etwas über deinen Konflikt in der Bonner Gastronomie erzählen?

Es ging um ein Bonner Cafe. Da habe ich gearbeitet, ich musste kellnern, backen und sauber machen. Also die Aufgaben waren schon ein bisschen mehr als Kellnern, sagen wir es so. Ich habe 7€ pro Stunde bekommen. Ich befand mich in einem ziemlich schlechten finanziellen Zustand und ich war auch ziemlich neu in Deutschland. Ich wusste nicht, wie die rechtliche Lage hier ist, wie sich der Mindestlohn bemisst, wie hoch die Sozialversicherungsbeiträge sein müssen und all diese Sachen. Der Arbeitgeber hat mir gesagt: „Das ist, was ich mir im Moment leisten kann. Bist du einverstanden?“ und ich habe „Ja“ gesagt, weil ich das Geld brauchte. Er hat dann gesagt: „Ich weiß nicht, wie das in Zukunft aussehen wird, aber wenn es ein bisschen besser läuft, gebe ich dir mehr Geld“ und das war auch wahr, denn er hatte damals das Café vom ehemaligen Chef übernommen.

Gab es einen Vertrag?

Es gab schon eine Vereinbarung, so einen Minijob-Vertag. Das war der übliche Minijob-Vertrag, wenn man so will. Aber ich habe direkt deutlich mehr, also doppelt so viel, gearbeitet.

Wie bist du an das Café gekommen und wie würdest du die Atmosphäre, also das Klima zwischen dem Chef, dir und den anderen Mitarbeiter*innen dort beschreiben?

Ich bin vorbei gelaufen, ich fand es nett und habe ihn direkt angesprochen. Also es gab keine gemeinsamen Freunde oder Bekannten oder sowas. Ich habe meistens im Café gearbeitet, also mehr als der Chef. Ich war sechsmal pro Woche da. Die Beziehung zum Chef war immer professionell, gut. Er ist zwar ein netter Mann, aber ich glaube, er hat viele persönliche Probleme. Wir hatten keine enge Beziehung oder so.

Wie lange hast du letztendlich dort gearbeitet?

Zweieinhalb Jahre.

Was gab es für Probleme?

Das Problem war, dass er irgendwann meine Arbeitszeiten und damit mein Geld kürzen wollte. Es hieß ja: „Ich gebe dir das, was ich mir im Moment leisten kann“. Nach einem Jahr habe ich dann nachgefragt und er meinte, es sei gleich geblieben, er könne mir nicht mehr geben. So ist es dann geblieben. Am Ende hat er mir zwar doch noch eine Lohnerhöhung angeboten, aber dafür wollte er meine Arbeitsstunden so reduzieren, dass ich monatlich noch weniger verdient hätte. Er hat Tricks erfunden, um mir eine tatsächliche Erhöhung vorzuenthalten. Das war sehr unangenehm. Das war die Zeit, in der ich auch einen Briefumschlag der TK im Café entdeckt habe, der an eine andere Mitarbeiterin adressiert war. Ich habe sie angesprochen und gefragt, was das ist. Und sie meinte: „Ja, das Café bzw. der Chef bezahlt meine Krankenversicherung. Deswegen ist der Brief hier gelandet.“ Ich habe ihr dann gesagt: „Der zahlt für mich nichts“ und dann habe ich sie gefragt, wie bei ihr im Allgemeinen die Arbeitsbedingungen aussehen bzw. was sie für einen Stundenlohn bekommt. Wir haben dann entdeckt, dass sie sich beim Mindestlohn befand, obwohl ich deutlich drunter war damals. Ich habe diese Probleme dann angesprochen, habe gefragt: „Wieso kriegt sie denn eine Krankenversicherung und mehr Geld, obwohl sie weniger arbeitet, also die Hälfte meiner Zeit im Prinzip, und ich nicht?“. Er meinte: „Das kann ich mir nicht leisten. Wenn du das schlecht findest, kannst du das Café verlassen.“

Hatte diese Mitarbeiterin die gleichen Aufgaben wie du?

Ja. Sie hatte die gleichen Aufgaben; Backen, Spülen… was man so üblicherweise in so einem Café machen muss.

Dann war da auch noch das Thema Urlaub, richtig?

Ja, das kam dann später. Wie gesagt: Die rechtliche Lage kannte ich nicht und dann haben wir in einem späteren Gespräch zwischen dieser Mitarbeiterin und mir festgestellt, dass Urlaub auch ein Thema ist. Sie hat ganz normal ihr Urlaubsgeld bekommen, ich nicht. Normalerweise sollte er als Arbeitgeber automatisch pro Jahr gewisse Beträge bezahlen. Das hat er nicht getan, er argumentierte: „Danach hättest du fragen müssen.“ Bis heute habe ich dieses Geld nicht bekommen. Darauf habe ich jetzt keinen Anspruch mehr, das ist verjährt.

Wie ging es weiter?

Ich habe zunächst die ethische Dimension der Geschichte vorangestellt und habe gesagt, dass das grundsätzlich nicht in Ordnung ist und dass das unserer professionellen Beziehung schadet, dass ich das so nicht hinnehmen kann. Es ging um meine Arbeit, ich verbrachte schließlich mehr Zeit in diesem Café als woanders. Das war wirklich so; es gab Phasen, in denen ich sieben Tage pro Woche arbeiten musste, weil er seine eigenen Probleme hatte. Naja, wir haben uns getroffen. Ich hatte vorgeschlagen, dass wir uns zu dritt treffen, gemeinsam mit der Kollegin.

Gab es weitere Mitarbeiter*innen?

Irgendwann hat er diesen Trick mit den Praktikant*innen gefunden und teilweise Kinder aus der Schule als Praktikant*innen bekommen, die interessanterweise auch einen höheren Stundenlohn bekamen als ich. Bei denen war im Prinzip rechtlich alles ganz, ganz korrekt. Das fand ich auch irgendwie sehr merkwürdig als Haltung, egal… Diesen gemeinsamen Termin mit der Kollegin hat er abgelehnt. Er wollte sich mit mir treffen. Wir haben uns einmal im Café getroffen und ich habe einfach gesagt, dass ich zumindest das Geld zurückbekommen möchte, das er leisten muss. Er hat das dann wieder abgelehnt und meinte, er könne sich das wirklich nicht leisten, es tue ihm leid. Er wollte auch keine Kompromisse eingehen. Dann habe ich erwidert: „Du lässt mir wirklich keine andere Wahl. Das ist für mich wirklich essentiell, es geht um die Finanzierung meines Lebens hier in einem fremden Land. Dann muss ich mir jetzt einen Juristen und professionelle Beratung suchen.“ Dann hat er reagiert: „Wenn du das machst, bist du am nächsten Tag direkt raus“.

Wann warst du „draußen“?

Ganz schnell. Ich glaube, eine Woche nach diesem Gespräch kam er rein, mit einem Freund von ihm, und hat angekündigt: „Dimitrios, ich möchte, dass du ab jetzt nicht mehr ins Café kommst!“

Hattest du da schon juristische Unterstützung?

Nein. Wie das üblicherweise ist, muss ein Jurist auch bezahlt werden. Das konnte ich mir nicht leisten. Ich hatte überhaupt kein Geld für eine professionelle Unterstützung.

Also hat er dich rausgeschmissen, noch bevor du zu einem Anwalt gegangen bist. Warum hast du dich an die FAU gewandt?

Ich kannte die FAU zwar von Kundgebungen und ihrer Präsenz in größeren Städten als Bonn, aber die Bonner FAU kannte ich noch nicht, es war dann im Prinzip der Tipp eines Freundes. Er erzählte, dass die FAU in diesem Bereich Unterstützung bietet, auf welche Weise auch immer. Damals wusste ich ja nichts. Er meinte, ich solle mal mit denen reden, die hätten vielleicht Tipps und könnten helfen, vielleicht auch was juristische Unterstützung angeht.

Was habt ihr dann getan?

Ich war bei einem Treffen und habe von meiner Situation erzählt. Die haben mir dann so ein bisschen erklärt, wie das rechtlich gesehen in Deutschland alles sein sollte und was man dagegen machen kann. Es gab also von Anfang an Unterstützung und Tipps. Ich habe sogar einen persönlichen Ansprechpartner bekommen, der mir besonders bei meinen Problemen half. Wir haben uns nach diesem Termin mit der Ortsgruppe dann nochmal zu zweit getroffen und haben über die Möglichkeiten gesprochen, die man in solchen Fällen hat. Im weiteren Verlauf haben wir uns dann regelmäßig in der Ortsgruppe getroffen und über die weiteren Schritte diskutiert.

Was waren denn die weiteren Schritte?

Wir haben einen, der FAU nahe stehenden, Juristen getroffen, der hat dann auch nochmal erklärt, was wir machen könnten, juristisch. Wir haben uns überlegt, was die effektivste Vorgehensweise ist und haben einen Brief verfasst, adressiert an den Chef, haben ihn um einen Termin gebeten.

Wie reagierte er?

Er hat alles abgelehnt. Wir haben daraufhin mögliche Maßnahmen angekündigt usw. Er hat dennoch im Prinzip alles abgelehnt, was wir vorschlugen. Es war ja von Anfang an so, das habe ich auch der FAU deutlich gemacht, dass ich keinem Menschen schaden will. Es ging mir grundsätzlich darum, zu bekommen, wofür ich gearbeitet hatte.

Dann gab es einen Briefwechsel, im Umfeld des Cafés tauchten immer mehr FAU Sticker auf. Er schrieb zurück. Hat er auch einen Anwalt eingeschaltet? Hat er dir irgendwann etwas angeboten?

Ja, wenn ich mich nicht täusche, war die Anwältin seine Schwester. Irgendwann im Verlauf der Zeit hat er einen kleinen Betrag überwiesen. Das waren Urlaubsgelder, die noch nicht verjährt waren. Das war ziemlich interessant, denn am Anfang hatte er alle meine Ansprüche abgelehnt. Dann hat er wohl festgestellt, dass da eine Lücke war, die ihm gefährlich werden könnte und hat mir etwas überwiesen. Aber das war wirklich ein mickriger Betrag im Vergleich mit dem Gesamtvolumen meiner Forderungen, also den Beiträgen für meine Krankenversicherung usw.

Was ist unterm Strich noch herum gekommen?

Finanziell war es das schon. Parallel zu diesem Engagement der FAU hatte ich eine Juristin beauftragt. Auch sie hatte Briefwechsel mit dem Chef usw. Sie hat zwar direkt gesehen, dass einige Sachen schon verjährt waren, aber die Krankenversicherung musste trotzdem gezahlt werden. Es ging wirklich um sehr hohe Beträge. Irgendwann bekam ich meine Krankenversicherungskarte und das Signal, dass er bezahlt hat.

Hast du während der Briefwechsel, den Treffen mit der FAU, den Jurist*innen, immer daran geglaubt, dass es etwas bringt?

Ich mache Dinge nicht unbedingt nur, wenn ich sehe, dass sie etwas bringen, sondern, wenn ich sie sinnvoll finde. Es ging ja wirklich um selbstverständliche Sachen, die jeder verlangen muss.

Bist du mit dem, was erreicht wurde, zufrieden?

Das Finanzielle ist nur ein Aspekt. Es geht darum, dass hier ein Arbeitgeber einen Betrieb leitet, der dem Arbeitnehmer gegenüber nicht korrekt agiert. Ich bin froh, dass ich von Kolleg*innen Unterstützung bekommen habe und dass viele Kunden sein Verhalten nicht korrekt fanden.

Woher wussten die Kunden davon?

Wir haben uns in der Stadt zufällig gesehen, sie fragten nach.

Warst du während deiner Zeit im Café noch Student?

Ja, klar. Ich musste deswegen während meines ganzen Aufenthalts hier arbeiten. Das ist zwar selbstverständlich, aber ich meine, als Ausländer hat man zusätzliche Probleme, irgendwie in die Gesellschaft reinzukommen.

Glaubst du denn, diese Probleme im Café hatten auch etwas damit zu tun, dass du Nicht-Muttersprachler bist?

Ja, absolut. Ich glaube, das, was er ausgenutzt hat, war, dass ich Ausländer bin. Er hat über mich gedacht: „Der kann darauf nicht reagieren. Der ist allein. Der kennt keine Menschen in Bonn und er braucht das Geld.“ Ich glaube, das sind die Lagen, die er ausgenutzt hat, um so zu handeln. Wenn du jetzt danach fragst, ob ich glaube, dass sein Motiv so einen gewissen Hintergrund haben könnte, weil ich Ausländer bin… ich glaube schon. Ich war immer kompromissbereit. Ich hab während meiner Zeit dort immer daran gedacht, was gut für das Unternehmen ist. Ich habe mich selbst zurück gehalten und bin Kompromisse eingegangen, damit es dem Café irgendwann besser geht. Das war aber ein Fehler. Er hat das ausgenutzt. Alle deutschen Mitarbeiter*innen wurden hingegen immer ganz korrekt behandelt.

Warum kann sowas in Deutschland passieren?

Ein strukturelles Problem ist, dass man als Student für gewöhnlich zwar arbeiten muss, aber in diesen Minijob-Verträgen nicht mehr Stunden erlaubt sind, denn sonst müsste man ja Steuern zahlen. Damit sich das dann irgendwie lohnt, müsste man schon Vollzeit arbeiten, was aber kein Student kann, denn man muss ja auch noch was für die Uni machen. Dies sehe ich als strukturelle Schwäche des Systems. Deswegen sind viele Leute, wie ich, gezwungen, in der Gastronomie unter fragwürdigen Umständen zu arbeiten. Die Gastronomiebranche hier ist eine Katastrophe. Was da so abläuft, ist unglaublich, nicht nur für deutsche Verhältnisse.

Würdest du nochmal in der Gastronomie arbeiten?

Nein. Ich glaube, das sollte auch kein Mensch machen, der irgendwelche anderen Qualifikationen hat. Ich bin dort jetzt raus, aber ich werde aktiv bleiben für diejenigen, die immer noch so arbeiten müssen. Und es gibt leider Menschen, die das ihr ganzes Leben lang machen. Das Feld der Gastronomie ist sehr problematisch, auch hier in Deutschland.

Was willst du anderen Menschen mitgeben, die in solche Situationen kommen, die im Job um ihre Rechte betrogen werden?

Dass es kein Einzelfall ist, dass es bei fast allen Gastronomiebetrieben unter der Oberfläche solche Probleme gibt. Dass dir das in jedem Geschäft passieren kann. Ich glaube, solche Probleme kann man nur mit Solidarität lösen. Dies ist letztendlich das, was in meinem Fall geholfen hat: Dass es Menschen gab, die das nicht als Problem eines Fremden oder Unbekannten angesehen haben, sondern als ein soziales Problem. Ich denke, dass Solidarität der beste Begriff dafür ist.

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