Wer zahlt für die Krise?

Die Corona-Krise hält seit über einem Jahr die Welt in Atem. Auch Deutschland befindet sich in einem Ausnahmezustand und trifft Entscheidungen, die es in dieser Form noch nicht gab. Die Politik, die stets an der Ideologie der „Schwarzen Null“ festhielt und Neuverschuldungen als gefährlichen Leichtsinn einstufte, musste einsehen, dass die Probleme keine andere Lösung bieten als jede Menge Geld in die Hand zu nehmen. Die Schuldenberge, die seitdem wachsen, sind gigantisch. Und immer mehr drängt sich die Frage auf: Wer zahlt eigentlich für die Krise? Vor allem wird diese Grundsatzdiskussion (Krisen sind im Kapitalismus schließlich nicht neu) aktuell nochmals brisanter, betont man, wie krass die Schere zwischen Arm und Reich in der Pandemie auseinanderging. Es ist Fakt, dass die Armen ärmer werden und die Reichen reicher – die Pandemie dient hierbei sogar als Beschleuniger. Eigentlich sollte es doch klar sein, dass Krisengewinner*innen und Leute mit viel Geld in diesen Zeiten verstärkt zur Kasse gebeten werden sollten. Eigentlich.

In Jena gab die Corona-Krise dem Haushalt den Rest. Unter dem FDP-Bürgermeister Thomas Nitzsche wurde schon zuvor eine riskante Haushaltsstrategie gefahren. Man setzte auf immer mehr Wirtschaftswachstum und verspekulierte sich deutlich. Nun geriet die Stadt in eine Haushaltsnotlage und es sind Kürzungen im sozialen, ökologischen und kulturellen Bereich von etwa 30 Millionen Euro für die nächsten Jahre eingeplant. Eine sehr zynische Prioritätensetzung: Während man in Kauf nimmt, dass etwa Kita-Gebühren erhöht werden, sozial Schwächeren das Sozialticket gestrichen wird und verschiedenen Vereinen wichtige Fördergelder wegfallen, hält die Stadt an sinnlosen Bauprojekten fest wie neuen Parkhäusern, neuen Straßen, neuem Campus und neuem Gewerbe. Wenn also etwas auch in dieser Krise geschont werden muss, dann ist es nach städtischer Ansicht die Wirtschaft – auf Kosten der restlichen Bevölkerung.

Demo durchs Upperclass-Viertel

Schnell gründete sich aus verschiedenen politischen und kulturellen Kontexten ein Bündnis gegen die Kürzungen, in dem auch die FAU Jena mitwirkt. Verschiedene Aktionstage und Proteste wurden bisher durchgeführt. Besonders umstritten – auch bündnisintern – war hierbei eine Kundgebung am 23.01. in einem Viertel, das neben Mittelstandshäusern auch durchaus recht protzige Villen beinhaltet. Unter dem Titel „Wer hat, der gibt!“ versammelten sich knapp 100 Teilnehmende, um sich für Umverteilung und eine finanzielle Belastung der reicheren Vermögensschichten einzusetzen. Ganz bewusst hatte man sich für eines der reicheren Viertel Jenas als Kundgebungsort entschieden. Man wollte vor den Haustüren von potenziell Vermögenden (Jena hat 15 Millionäre) über das Thema Umverteilung reden und nicht irgendwo in der Innenstadt, quasi isoliert von denen, die es betreffen soll. Selbstverständlich wurde in den Redebeiträgen auf die Systematik der kapitalistischen Ungleichheit eingegangen, die Anwohner*innen also nicht persönlich für die Ungleichheit verantwortlich gemacht. Jedoch wurde auch festgestellt, wie leicht der finanzielle Druck auf die Stadt wegfallen würde, gebe es Ansätze einer Umverteilung. So wurden in der Nachbarschaft Flyer in Briefkästen geworfen, auf denen sinngemäß steht: Wenn Sie reich sind, dann geben Sie doch bitte freiwillig einen Teil Ihres Reichtums ab, um die Sozialkürzungen zu verhindern! Dass diese Aufforderung zur Freiwilligkeit nicht die Umverteilung auf politischer Ebene ersetzt, war den Teilnehmenden der Kundgebung natürlich bewusst und wurde auch so artikuliert.

Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Auf Facebook entbrannte ein Shitstorm gegen diese Aktion und auch einige Gruppen innerhalb des Bündnisses protestierten lautstark dagegen, obwohl die Aktion im Vorfeld transparent gemacht und kollektiv beschlossen wurde. Einige wenige Gruppen verließen sogar das Bündnis, weil diese Kundgebung und die Briefkastenflyer ihrer Meinung nach erpresserisch wirkten und die harmlose Nachbarschaft terrorisierten. Ohne dass diese Gruppen es beabsichtigten, schadeten sie dadurch aber insgesamt dem Bündnis. So sprangen CDU und FDP natürlich schnell auf diesen Zug auf und konnten in der Presse gegen diese Aktion und damit auch indirekt gegen das Bündnis hetzen. Ein CDU-Stadtrat behauptete ungeniert in der Zeitung, diese Briefkastenflyer gesellten sich zur „linken Gewalt“ in Jena. In den sozialen Medien fanden sich einige Vergleiche zu Querdenkern, die vor den Privathäusern von Politiker*innen demonstrierten. Die Diffamierungswelle nahm abstruse Ausmaße an und das eigentliche Thema trat in den Hintergrund, nämlich die Frage: Wer zahlt für die Krise? Die Armen oder die Reichen?

Natürlich leben in besagtem Viertel in Jena nicht nur Superreiche. Natürlich mag es provokant wirken, in einem eher wohlhabenderen Viertel über die Verantwortung der eher Wohlhabenderen zu sprechen. Aber macht das den Protest automatisch illegitim? Die Antwort muss lauten: Nein! Wenn Kundgebungen zur Armut in sozialen Brennpunkten stattfinden können, müssen auch Kundgebungen zur Umverteilung in wohlhabenden Vierteln stattfinden dürfen. Wir leben in einem System, in dem das eine das andere bedingt, in dem das Vermögen einer oberen Mittel- und Oberschicht auf dem Rücken einer breiten Masse aufgebaut wird. Nimmt die soziale Kluft zwischen Arm und Reich weiter zu und davon ist leider auszugehen, dann muss auch das Thema öffentlicher, offensiver, provokanter werden. Es muss den Leuten klar gemacht werden, dass allein durch die Vermögenssteuer, die also nicht einmal die obere Mittelschicht, sondern wirklich nur sehr Reiche treffen würde, die Sozialkürzungen in Jena vom Tisch wären. Möchte man also die Wohlhabenden vor Geldabgaben und sogar dem Anblick von Protest schützen, dann setzt man sich indirekt für die Sozialkürzungen ein, denn von irgendwoher muss das Geld ja stammen. Nochmal die Frage: Wer zahlt für die Krise? Arm oder Reich?

Auch wenn die Kundgebung kontrovers war und sich vor allem CDU und FDP, also die Hauptverantwortlichen der geplanten Sozialkürzungen, dagegen echauffierten, so hatte sie doch den Vorteil, dass hierdurch überhaupt einmal das Thema der Umverteilung in den Medienmittelpunkt geraten ist. Ein Thema, welches gerade jetzt dringender denn je erscheint, welches heute die Lösung von sozialen Existenzängsten und gigantischen Schuldenbergen sein muss. Gerade jetzt im zweiten Jahr der Pandemie – was zudem noch für die Bundesrepublik und Thüringen ein Wahljahr ist – müssen wir uns für Umverteilung einsetzen! Von einmaligen Krisenzahlungen über eine Vermögenssteuer (wieso gibt es die im rot-rot-grünen Bundesland Thüringen eigentlich nicht schon längst?) bis hin zu Enteignungen stehen uns viele Optionen zur Verfügung. Nutzen wir sie! Denn: Wir zahlen nicht für eure Krise!

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