Der Wohnungsmarkt unterliegt derzeit großen Umbrüchen. Immer mehr MieterInnen fallen unter große, unnahbare Hausverwaltungen, deren Praktiken sie meist ohnmächtig gegenüber stehen. Auf der anderen Seite versuchen immer mehr MieterInnen, sich dagegen zu wehren, insbesondere in Berlin, das große Immobilienfirmen für sich entdeckt haben. Denn hier, wo die Mieten lange vergleichsweise günstig waren, erwarten sie beste Renditeaussichten. Das Mieterecho spricht denn auch davon, dass zuletzt in der Hauptstadt die Kiez- und Mieterinitiativen „wie Pilze aus dem Boden geschossen“ seien. So erfreulich Letzteres ist, es weist auch auf ein großes Problem hin: Wenn sich viele MieterInnen organisieren und dennoch der Entwicklung kaum etwas entgegensetzen können, scheinen die vorherrschenden Organisationsformen nicht die geeigneten zu sein.
Welche Organisationsformen gibt es?
Im Wesentlichen lassen sich derzeit drei Modelle auf diesem Feld ausmachen: [1] das Engagement in Parteien, um wohnungspolitische Anliegen einzubringen; [2] die Mietervereine, gewissermaßen Schutz- und Versicherungsorganisationen; [3] Stadtteil- und Mieterinitiativen, in denen sich MieterInnen und AnwohnerInnen selbst organisieren. Zwischen diesen Formen kann es Überlappungen geben: So sind Menschen aus Initiativen auch in Parteien aktiv oder arbeiten Mietervereine mit Initiativen zusammen usw.
Theoretisch gibt es noch das Konzept einer Mietergewerkschaft, wie es etwa in den USA von der Buffalo Class Action vorgeschlagen wurde. Auch die Ansätze der FAU-Schwestergewerkschaft ZSP in Warschau gehen in diese Richtung (siehe DA Nr. 203: Gentryfikacjiund DA Nr. 205: Hausen am Abgrund). Bei der Frage nach den Perspektiven jenes Konzeptes gilt es, dieses in die bisherige Organisationslandschaft einzuordnen (Parteien werden im Folgenden allerdings ausgeklammert).
Verhältnis zu den Mietervereinen
Die Wurzeln der Gewerkschaften waren in vielen Ländern so genannte Arbeitervereine. Diese waren meist Schutzorganisationen, organisierten Versicherungen und Solidarität. Ihr funktionaler Charakter entsprach etwa dem, was wir heute von den Mietervereinen kennen, nur dass diese auf einem anderen Feld tätig sind und sich zu großen, professionalisierten (Dienstleistungs-)Strukturen entwickelt haben. In der Gewerkschaftsforschung werden jene Arbeitervereine als erste Organisationsphase der Arbeiterbewegung ausgemacht, in der auf bestimmte Verwerfungen reagiert wurde. In einer zweiten Phase wandelten sich die Arbeiterorganisationen hin zu ökonomischen Kampforganisationen, die offensiv für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen usw. eintraten. Sie entdeckten dabei das Mittel der Kollektivvereinbarungen (Tarife), mit denen sie Erkämpftes absichern wollten. Sowohl Tarifverträge als auch die Methoden zu ihrer Durchsetzung galten zunächst als anrüchig, ja z.T. als illegal. Es war also auch ein Kampf um Anerkennung.
Einen analogen Wandel, hin zu sozialen Kampforganisationen, haben die Mietervereine nicht vollzogen. Dabei haben der Kapitalismus und der Wohnmarkt Bedingungen hervorgebracht, die dies als überfällig erscheinen lassen. Denn die großen Hausverwaltungen setzen viele MieterInnen in direkte Beziehung zueinander, in ihnen findet sich eine konzentrierte Angriffsfläche. So wie sich ArbeiterInnen in Betrieben und Branchen zusammentun, könnten sich MieterInnen nach Häusern und Hausverwaltungen – lokal und überregional – organisieren und potentiell bestimmte Tarife, Wohnstandards und Mitbestimmung durchsetzen, ja sogar ein Übernahmemodell entwickeln.
Verhältnis zu den Initiativen
Könnten womöglich die sprießenden Initiativen das Potential haben, die Funktion solcher Kampforganisationen einzunehmen, zumal nach dem Prinzip der Selbstorganisation? Vieles weist darauf hin, dass dem nicht so ist. Initiativen – das unterscheidet sie von regelrechten Organisationen – arbeiten naturgemäß unverbindlich und sind sehr fragmentiert. Daran würde auch die viel beschworene „Vernetzung“ nichts ändern. Diese wäre nur die Summe ihrer Unzulänglichkeiten. Für eine organisatorische Effizienz auf dem Gebiet bedarf es gemeinsamer und verbindlicher Arbeitsstrukturen, in denen der Markt und seine Akteure analysiert werden, man sich auf Mietsetzungsprozesse und koordinierte Vorgehensweisen schnell einigt, die Mitglieder „erfasst“ und zusammengeführt werden und „Verhandlungsmacht“ hergestellt wird.
Derzeit macht jede Initiative – wenn überhaupt – ihre eigene Recherche. Im besten Falle kommt davon ein wenig bei anderen an. Hier und da finden mal Kämpfe zusammen. Doch im Großen und Ganzen machen alle „ihre Fehler selbst“, muss die Arbeit in jeder Initiative von vorne gemacht werden. Meist ist man voll und ganz damit befasst, die eigene, fragile Struktur am Laufen zu halten. Es bleibt kaum Raum, eine breitere und kontinuierlichere Organisierung voranzutreiben.
Vorschlag zur Güte
Der Ansatz, sich erst einmal mit seinem unmittelbaren Umfeld zu organisieren, ist zweifellos richtig. Doch häufig stoßen MieterInnen dabei auf Grenzen, etwa wenn das Haus schon fast leer geekelt wurde oder die NachbarInnen partout nicht mitziehen wollen – sei es aus Eingeschüchtertheit, sei es aus Borniertheit. Und ein Kampf alleine, so kampfbereit man auch sein mag, ist ein verlorener Kampf. Dabei könnte es doch die Bereitschaft dazu in anderen Häusern der Hausverwaltung geben. Eine Organisation, die da als verbindliches und effizientes Bindeglied fungiert, könnte Wunder bewirken, erst recht, wenn sie besonders viele MieterInnen einer Hausverwaltung zusammenführt. Sie könnte aber auch den solidarischen Kampf für einzelne Betroffene organisieren. Und der Erfolg solcher EinzelkämpferInnen könnte wiederum bisher passive NachbarInnen ermuntern.
Stufenweise ließen sich auf diese Weise Fortschritte erzielen, ohne vom großen Wandel in der Politik abhängig zu sein. Im Idealfall würde Hausverwaltung nach Hausverwaltung in eine Art Tarifbindung hineingekämpft werden. Und darin muss sich das Projekt gewiss nicht erschöpfen. Verwiesen sei etwa auf das Mietshäusersyndikat und auf die Genossenschaftsbewegung generell. Eine Mietergewerkschaft könnte derartige Modell integrieren bzw. als Seitenarm herausbilden. Neben den alltäglichen Kämpfen könnte so Wohnraum zunehmend den Markt entzogen werden. Gerade die Synthese von Kampf- und Transformationsorganisation ist eine der Quintessenzen des Syndikalismus.
Neuausrichtung des Fokus
Es ist auffällig, dass sich die neue Mieterbewegung sehr stark auf die Wohnungspolitik fokussiert. Die großen Akteure auf dem Wohnmarkt selbst, die Hausbesitzer und Hausverwaltungen – im Englischen gibt es dafür den treffenden Begriff der landlords –, werden i.d.R. großzügig vernachlässigt. Allenfalls werden sie mit Abwehrmaßnahmen konfrontiert – meist von einzelnen MieterInnen, seltener von Hausgemeinschaften. Weitestgehend unbehelligt können sie ihr Geschäft verrichten und halbfeudale Verhältnisse errichten.
Wer sich mit den Veröffentlichungen der landlords vertraut macht, wird schnell merken, dass sie sich äußerst sicher fühlen. Auf ihren Webpräsenzen nehmen sie kaum ein Blatt vor den Mund und machen aus ihren Geschäftspraktiken keinen großen Hehl. Es ist überfällig, den Fokus der Aktivitäten viel stärker auf sie zu richten. Dies gilt insbesondere, da sich auf diesem Feld auch vielmehr erreichen ließe als mit dem zähen und zahnlosen Versuch, einen grundlegenden Wechsel in der Wohnungspolitik herbeizuführen. Ob ein solcher Ansatz aus bisherigen Organisationsformen der Mieterbewegung erwachsen kann, ob er sich auf bestehende Gewerkschaftsstrukturen stützen sollte oder ob etwas ganz Neues her muss, wird sich zeigen, wenn er nicht mehr nur eine Idee bleiben soll.
Zum Kampf um Wohnraum siehe auch die DA-Schwerpunktausgabe zum Thema unter:
Direkte Aktion 204 – März/April 2011
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