Jan Abrahamsson verrichtet Wartungsarbeiten in der Stockholmer U-Bahn, ist Mitglied des Stockholmer LS und sitzt seit 2009 im siebenköpfigen Arbeitsausschuss der SAC. Gabriel Kuhn hat sich mit ihm für die DA über die gegenwärtige Lage und die zukünftigen Möglichkeiten der SAC unterhalten.
Der Kongress 2002 hat einige entscheidende Änderungen für die SAC gebracht. Kannst du die wichtigsten zusammenfassen?
Die Mehrheit der Abgeordneten beim Kongress hat sich für eine Rückkehr zu den Wurzeln der SAC ausgesprochen, das heißt, man wollte das Hauptaugenmerk wieder auf Gewerkschaftsarbeit richten und nicht als breite linke Ideenorganisation fungieren. Gewerkschaftsarbeit sollte dabei als Teil des Klassenkampfes begriffen werden und nicht als Serviceleistung. Schließlich gab es auch eine Reihe organisatorischer Änderungen: die Zahl der Angestellten, vor allem der für die Distrikte zuständigen Ombudsleute, wurde stark reduziert, was auch zu einer Entbürokratisierung führte.
Waren die Veränderungen aus deiner Sicht positiv?
Auf jeden Fall. Bis Anfang der 2000er Jahre machten 24 Ombudsleute 80% der Arbeit in der SAC, während die meisten Mitglieder passiv waren. Seit dem Kongress 2002 ist viel Leben in die Organisation gekommen, die Mitglieder sind um vieles aktiver geworden, es gibt bedeutend mehr Betriebsgruppen und es sind zahlreiche neue Initiativen und Kampagnen entstanden. Das bedeutet auch, dass die SAC wieder als gewerkschaftliche Kraft wahrgenommen wird. Die Berichterstattung über die SAC in den bürgerlichen Medien heute kann mit der vor zehn Jahren nicht verglichen werden. Einige Fälle haben besonderes Aufsehen erregt, etwa jener der „Malmö 26“, die 2006 nach einer Blockade wegen Gebrauchsanmaßung und Widerstands gegen die Staatsgewalt angeklagt und 2008 verurteilt wurden. Über die Berns-Blockaden wurde ununterbrochen berichtet. Aber auch weniger medienwirksame Aktionen hatten große Bedeutung: Als Anfang 2011 SAC-Mitglieder in einer Schule in Göteborg einen Lehrerstreik organisierten, war dies das erste Mal seit Jahrzehnten, dass in Schweden ein Streik im Öffentlichen Dienst organisiert wurde. All das verleiht der SAC gegenwärtig ein starkes gewerkschaftliches Profil.
Vor allem von kleineren Lokalgruppen ist jedoch auch Kritik formuliert worden. LS in Kleinstädten oder auf dem Land scheinen die Unterstützung der Ombudsleute zu vermissen. Die von dir angesprochenen Fortschritte sind vor allem in Stockholm, Göteborg und Malmö zu beobachten.
Das ist ein komplexes Problem. Dass sich die Veränderungen in der SAC für die LS der Großstädte am positivsten ausgewirkt haben, stimmt. Zu einem großen Teil hat das jedoch mit allgemeinen gesellschaftlichen Bedingungen zu tun. In Schweden gibt es eine sehr starke Urbanisierung. Die meisten der politisch interessierten jungen Menschen ziehen in eine der Großstädte und wenn sie sich in der SAC engagieren wollen, dann schließen sie sich den dortigen Lokalgruppen an. Daher profitieren diese auch am meisten von der gegenwärtigen Aktivität der Basis. In kleineren Städten und auf dem Land ist das in den meisten Fällen leider anders. Die Mitglieder sind älter und sie haben sich jahrzehntelang auf die Ombudsleute verlassen. Diese fehlen ihnen jetzt. Ich kann nicht verleugnen, dass das eine schwierige Situation ist. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass die Zukunft der SAC von dem Engagement an der Basis abhängt, und wir müssen versuchen, diese zu stärken, auch außerhalb der Großstädte. Dazu bedarf es eines Strategieplans, der hoffentlich bald ausgearbeitet sein wird.
Wie kann ein solcher aussehen?
Im Zentrum müssen bessere Kommunikation und Ausbildung stehen. Außerdem muss der Wert der Selbstorganisation deutlicher vermittelt werden.
Welchen anderen Herausforderungen sieht sich die SAC gegenüber?
Wir müssen die interne Organisationsstruktur weiter verbessern, so dass wir noch effektivere Arbeit leisten können. Die Kommunikation zwischen den Lokalgruppen muss allgemein besser werden, das schließt auch gegenseitige Hilfe und Unterstützung ein. Mitglieder müssen wissen, wie sie in Konfliktfällen reagieren und anderen zur Seite stehen können, und zwar schnell. Außerdem müssen die internationalen Kontakte wieder intensiviert werden, nicht zuletzt im Zeitalter des Neoliberalismus.
Wie kann es in diesen Bereichen zu Verbesserungen kommen?
Auch hier ist Ausbildung zentral. Zusätzlich muss es regelmäßige Treffen und damit Möglichkeiten des Austausches und der Diskussion geben. Aber auch die Öffentlichkeitsarbeit muss verstärkt werden, um die SAC in breiten Gesellschaftskreisen attraktiver zu machen. Es ist wichtig, wie wir uns in der Öffentlichkeit präsentieren. Radikale Slogans sind gut, aber sie müssen von entsprechender Arbeit untermauert werden. Die SAC hatte lange eine harte Schale und einen weichen Kern. Ich denke, es muss genau umgekehrt sein: die Schale muss weich, aber der Kern hart sein.
Der schwedische Gewerkschaftsverband LO ist gesamtgesellschaftlich sehr stark verankert. Wie können schwedische ArbeiterInnen davon überzeugt werden, dass es besser für sie ist, sich in der SAC zu organisieren?
Zunächst gibt es einige grundsätzliche Vorteile: die SAC ist basisdemokratisch, föderalistisch und politisch unabhängig – all das gilt für LO in dieser Form nicht. Zudem gewährt die SAC ihren Mitgliedern bedeutend mehr Freiraum in der Wahl ihrer Mittel und Ziele. Schließlich bekennt sich die SAC deutlich zum Prinzip der direkten Aktion, was bei der LO völlig fehlt.
Klar, wer eine Gewerkschaft primär als Serviceeinrichtung betrachtet, mag die LO praktischer finden. Dort reicht es schließlich den Mitgliedsbeitrag zu bezahlen, dann erledigen die Funktionäre den Rest. Aber ArbeiterInnen, die aktiv in den Kampf um ihre Arbeitsrechte involviert sein wollen, sind in der SAC auf jeden Fall besser aufgehoben.
Was sind deine Erwartungen für den Kongress 2012?
Ich denke, dass es ein ruhiger, sachlicher Kongress werden wird, der uns wieder ein paar Schritte weiter bringt. Allgemein gibt es für den im Moment eingeschlagenen Weg starke Unterstützung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es hier zu großen Diskussionen kommt. Die wichtigste Sachfrage ist vielleicht die Zukunft der Zeitschrift Arbetaren. Um diese gab es in den letzten Jahren einigen Streit und sie ist gerade dabei, ein neues Profil zu entwickeln. Arbetaren wird bei den Kongressen immer lebhaft diskutiert, das wird dieses Mal nicht anders sein.
Worum ging es bei dem Streit in den letzten Jahren?
Der Kernpunkt war Uneinigkeit darüber, wer den Inhalt der Zeitung bestimmen darf: die SAC-Mitglieder oder die Redaktion.
In den 1980er Jahren begannen die RedakteurInnen von Arbetaren die Zeitung zu einem allgemeinen linken Diskussionsblatt zu machen. Der inhaltliche Bezug zur SAC wurde immer undeutlicher und die Organisation fungierte letztlich nur noch als Geldgeberin. Dies führte bei vielen Mitgliedern zu großer Unzufriedenheit – schließlich wird Arbetaren zu einem wesentlichen Teil von ihren Mitgliedsbeiträgen finanziert. Bei den Kongressen kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Redaktion und Basis. Beim Kongress 2009 wurden dann endlich wirkungsvolle Maßnahmen beschlossen: es wurde ein Chefredakteur mit dem Auftrag gewählt, der Zeitung wieder eine deutlich syndikalistische Prägung zu verleihen, während der Passus in den SAC-Statuten, der Arbetaren als „unabhängige Pressestimme“ bezeichnete, gestrichen wurde. Dies führte zu Aufruhr bei den alten RedakteurInnen, die sich ihrer journalistischen Freiheit beraubt sahen und das Schreckensbild einer syndikalistischen Prawda an die Wand malten. Der Konflikt wurde zum Teil sehr bitter geführt und die alte Garde schreckte nicht davor zurück, ihrer Frustration auch in bürgerlichen Medien Ausdruck zu verleihen. Irgendwann gab der neue Chefredakteur auf, wurde von jemand anderem ersetzt usw. Da jedoch die Gewerkschaftsbasis, ebenso wie der Arbeitsausschuss und das Zentralkomitee den neuen Kurs entschlossen verteidigten, konnte sich dieser letzten Endes trotz aller Hindernisse durchsetzen. Mittlerweile ist Ruhe eingekehrt und die neuen Redaktionsmitglieder können ungestört arbeiten.
Letztlich handelte es sich hier um den letzten großen Konflikt, was die Veränderungen der SAC in den 2000er Jahren betrifft. Die Rückkehr zu den syndikalistischen Wurzeln, zur Gewerkschaftsarbeit und zum Arbeitsplatzkampf scheint nun abgeschlossen. Was Arbetaren betrifft, bleiben allerdings trotzdem einige Fragen offen. Etwa, ob es überhaupt Sinn macht, die Zeitung weiterzuführen. Schließlich verschlingt sie jedes Jahr einen sehr großen Teil des Budgets der SAC. Und wenn sie weitergeführt wird, dann in welcher Form? Diese Fragen werden sicher beim Kongress debattiert werden. Hoffentlich ohne größeren Dramen.
Welche Hoffnungen hast du für die Zukunft der SAC?
Die entscheidende Frage für mich ist, wie stark sich die Organisation am Arbeitsplatz etablieren kann. Wir haben viele Fortschritte gemacht in den letzten Jahren, aber wir müssen noch um einiges weiter kommen, um unsere Marginalisierung wirklich zu überwinden. Ich bin jedoch zuversichtlich. Wenn die momentane Entwicklung anhält und wir die bestehenden Schwächen in den Griff kriegen, dann halte ich es für möglich, dass wir bis zum Jahr 2020 fünfhundert Betriebsgruppen aufbauen und die Mitgliedszahl auf 15.000 erhöhen können.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Siehe auch den Hintergrundartikel zur SAC unter „Auf ins nächste Jahrhundert“
Ein Kommentar zu «„Weiche Schale, harter Kern“»