Editorial

Krise, Krise und nochmals Krise. Es würde einem zum Hals raushängen, müsste man ob der Ernsthaftigkeit der Entwicklungen nicht dauernd schlucken. Eine definitive Nervenbelastung stellen aber allemal die reflexhaften Prophezeiungsriten zahlreicher „Antikapitalisten“ dar, die anscheinend in der Krise ein heiliges Fest sehen und das Portrait ihres gottgleich verehrten Karls einem überall auf die Nase binden müssen. Der Marxsche Rauschebart grüßt von den Plakaten aller Wände, gepaart mit den ständigen Kehrreimen zum „Ende des Kapitalismus“ und der „Revolution“. Zumindest in Berlin bekommt man heutzutage einen leichten Vorgeschmack, wie sich VietnamesInnen unter dem ständigen Blick eines Ho Chi Minh fühlen.

Als Freund der Revolution möchte ich allerdings nicht gleich so übermütig werden. Zwar warnt gar Josef Ackermann vor sozialen Unruhen, sollten seine Manager-Freunde nicht „ein Signal setzen“ und sich nicht in etwas Verzicht üben („Das ist im Interesse des sozialen Friedens und damit auch in unserem eigenen Interesse“), doch überschätzt er damit womöglich die Kratzbürstigkeit in Deutschland. Ende März ließ sich in der eigentlich für allerlei Unsinn bekannten Welt Onlineein Beitrag finden, der von der Angst der Manager vor sozialen Kämpfen wie in Frankreich handelt (näheres zu Frankreich auf S. 9). Es lohnt sich, hieraus ein paar Stellen zu zitieren:

»Hierzulande … wird der Konflikt … nicht, anders als in Frankreich oder Großbritannien, von den Gewerkschaften im Betrieb geschürt. Der soziale Frieden ist nach dem Krieg in Deutschland zum Standortvorteil geworden … Konflikte werden traditionell nicht vor Ort, sondern zentral von den Großverbänden ausgefochten. Anders sei das in Frankreich, wo die „direkte Aktion“ der Gewerkschaften im Betrieb eine wichtige Rolle spiele…«

Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen. Bevor in Deutschland keine andere Arbeitskampfkultur mit kämpferischen Basisgewerkschaften in ihrer Mitte entsteht (siehe dazu auch den Leitartikel), brauchen wir von revolutionären Veränderungen gar nicht erst zu träumen. Darin besteht die Hauptaufgabe der Gegenwart.

Das Brennende im Griff, das Ganze im Blick – das war schon immer die Strategie des Syndikalismus, auch in Deutschland. Allerdings hatten die deutschen SyndikalistInnen oft mit ganz anderen Widrigkeiten als andernorts zu kämpfen. (Da uns in dieser Ausgabe leider ein Beitrag der Marke „Zeitlupe“ fehlt, seien hier diese historisierenden Zeilen gestattet.) Im Ersten Weltkrieg als erste Kriegsopposition verboten, im Dritten Reich von Anfang an im Widerstand und auch in der DDR für oppositionelles Eintreten verfolgt, hat der Syndikalismus wie keine andere Bewegung in Deutschland eine Tradition im Kampf für die Freiheit.

Dennoch erdreisteten sich zuletzt u.a. lokale CDU-PolitikerInnen in Bad Segeberg – deren Tradition aus besonders fleißigem Kuschen und Anpassen in all diesen tragischen Phasen besteht – eine Hexenjagd gegen eine kleine Gruppe FAU-Jugendlicher vom Zaun zu brechen (siehe letzte DA). Hier hat jemand offensichtlich seine Hausaufgaben nicht gemacht. Denn mit solchen Methoden hat die Bad Segeberger CDU mehr mit den paranoiden Anwandlungen der DDR-Staatssicherheit zu tun als die FAU mit dem nebulösen Schlagwort des „Linksextremismus“, das eine Kleinstadt in helle Aufregung versetzte.

Aber man sieht, es bedarf anscheinend nicht viel, um den „Mächtigen“ Angst zu machen – nur ein paar SyndikalistInnen. Wie Ackermann wohl auf die reagieren würde?

Holger Marcks (Redaktion „Hintergrund“)

 

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