In der letzten Ausgabe der Direkten Aktion berichteten wir unter dem Titel „Ping Pong auf dem Arbeitsmarkt“ über das Thema Leiharbeit und eine geplante bundesweite Aktionswoche für deren Abschaffung.
Der Hintergrund
Seit Jahren verändert sich der Arbeitsmarkt in Europa. In immer größeren Bereichen wurde von ehemals fest Angestellten auf Leiharbeit oder „Minijobs“ umgestellt. Allein in Spanien sind heute mehr als ein Drittel aller offiziellen Arbeitsverhältnisse in der Leiharbeit zu finden.
Für die sozialdemokratischen Gewerkschaften bedeuteten diese Veränderungen einen erheblichen Mitgliederverlust. Sie sind in diesen prekären Sektoren weder präsent, noch wollen sie aktiv werden. Die Betreuung von kleinen Betrieben mit wenigen Gewerkschaftsmitgliedern oder gar von einzelnen Aktiven rechnet sich für sie betriebswirtschaftlich nicht.
Seit Beginn dieser Entwicklung zeichnet sich ab, dass LeiharbeiterInnen, z.B. in der Metall- und Elektroindustrie sowohl von Arbeitgebern als auch von Gewerkschaften und Betriebsräten als Puffer für die organisierten (noch) Festangestellten gesehen werden. Bei wirtschaftlichen Problemen oder Betriebsstilllegungen sind die LeiharbeiterInnen die ersten, die gehen müssen.
Diese Situation führte zu einer zunehmenden Entsolidarisierung unter den KollegInnen. Werden in einer Firma Entlassungen geplant, ist es durchaus möglich, Widerstand zu organisieren. Wenn aber ein Vertrag mit einer Leihfirma nicht verlängert wird und deswegen die KollegInnen von Kündigungen bedroht sind, entwickelt sich kaum Solidarität. Gespeist von der Hoffnung, selbst der Arbeitslosigkeit zu entgehen, entwickeln Kernbelegschaften bisher kaum Interesse an der Situation ihrer leiharbeitenden KollegInnen.
Nach den LeiharbeiterInnen die Kernbelegschaften?
Nach wie vor gehen wir davon aus, dass in den nächsten Monaten die Hemmungen fallen werden, auch die Stammbelegschaften in großer Zahl zu entlassen. Das künstliche Niedrighalten der Arbeitslosenstatistik vor den Wahlen, etwa durch die massive Ausweitung von Kurzarbeit, ist dann politisch nicht mehr nötig und finanziell untragbar. Sollte sich diese Krise abschwächen und der Bedarf an Arbeitskräften wieder zunehmen, werden diese wohl nicht mehr fest angestellt, sondern als LeiharbeiterInnen angeheuert. Damit hätte das Lohndumping in der Leihbranche endgültig zu schlechteren Löhnen für alle geführt.
Abschaffung der Leiharbeit!
In den letzten Jahren ist auch die Zahl der FAU-Mitglieder und SympathisantInnen in prekären Arbeitsverhältnissen erheblich gestiegen. Wir führen deshalb regelmäßig Auseinandersetzungen mit Leiharbeitsfirmen. Die FAU arbeitet daran, genügend Mitglieder in der einen oder anderen Leiharbeitsfirma zu organisieren, um dort die DGB- und CGB-Dumpingtarifverträge beispielhaft außer Kraft zu setzen und eine Gleichbehandlung mit den Entleihbetrieben zu erzwingen. Das wäre ein wichtiges Signal in einem Bereich, der bisher der Willkür staatlicher Arbeitslosenverwaltung und der Menschenhändler ausgeliefert ist.
Die Vereinzelung der Beschäftigten stellt dabei ein wichtiges Problem dar. In kleineren Leihbuden kennen sich die KollegInnen oft nicht. Sie treffen sich höchstens, wenn sie zufällig an den gleichen „Kunden“ vermietet werden oder bei der Abgabe der wöchentlichen Stundenzettel am Freitagnachmittag.
Wegen der schlechten Bedingungen in der Leiharbeit, aber auch wegen ihrer prekarisierenden Wirkung auf weite Teile der Arbeitswelt, ist es an der Zeit, eine breitere Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Es muss eine gesellschaftliche Stimmung geschaffen werden, in der das Vermieten von Menschen nicht mehr akzeptiert wird. Dafür sind Vernetzungsmöglichkeiten der LeiharbeiterInnen selbst, aber auch direkter Druck auf die einzelnen Menschenhändler notwendig. Um den Kampf gegen die Leiharbeit sichtbar zu machen, riefen FAU-Syndikate im September zu einer bundesweiten Aktionswoche zur Abschaffung der Leiharbeit auf.
Die Bandbreite der Aktionen war vielfältig. Die Anzahl der Aktivitäten, ursprünglich geplant in mindestens 30 Städten, ist im Verlauf der Kampagnenwoche erfreulicherweise deutlich gestiegen. In Ermangelung von Berichten aller Aktionen hier ein Überblick in Auszügen …
Die Aktionswoche
Freitag, 18. September: Kampagnenstart mit Stadtrundgängen zu Leiharbeitsfirmen, Kundgebungen und Infoständen in Dortmund, Darmstadt, Frankfurt/M und Saarbrücken. Viele PassantInnen waren durch den Wahlkampf eher genervt als erfreut über weitere Informationsflyer. Fielen jedoch die Worte „gegen Leiharbeit“ und „Leiharbeit abschaffen“, stieg das Interesse deutlich.
Samstag: Weiter ging es mit Aktionen u.a. in Bielefeld, Braunschweig, Aachen, Schwerin und Leipzig. Informationsveranstaltungen, Infostände und Kundgebungen wurden durchgeführt. Aus Braunschweig erreichten uns Berichte über durchwachsene Reaktionen. Diejenigen, die die Flyer annahmen, waren von unserer Forderung meistens bereits überzeugt.
Montag: Wir freuten uns über die Beteiligung mehrerer unabhängiger Gruppen an der Kampagne. In Hamburg fand zum Schichtwechsel bei Airbus eine Flyeraktion statt. In Dortmund wurde die ARGE besucht und die „KundInnen“ mit Flugblättern versorgt. Die Reaktionen waren größtenteils positiv. In einer Reihe von Betrieben, in denen Mitglieder der FAU oder SympathisantInnen arbeiten, wurde während der ganzen Woche Info-Material verteilt.
Dienstag: Wieder Flugblattaktionen in vielen Städten. In Münster gab es eine Kundgebung mit Infostand bei der Leihfirma ZAG. Das Feedback: überwältigend positiv! In Braunschweig wurde das Arbeitsamt besucht. Dort wollten einige Leute zunächst kein Info-Material annehmen. Sie dachten, es handele sich um Parteiwerbung. Das führte allerdings auch dazu, dass Menschen sich umdrehten, zurückkamen und den Flyer sehr gerne annahmen, nachdem hinterhergerufen wurde, die FAU sei keine Partei, sondern eine Gewerkschaft und engagiere sich gegen Leiharbeit. Es kam – wie so oft bei Aktionen am Arbeitsamt – zu Gesprächen mit ehemaligen LeiharbeiterInnen, die allesamt von der bundesweiten Aktionswoche begeistert waren.
Mittwoch: Aktionen in mehreren Städten. In Münster wurde die Leiharbeitskette Tuja, der Sponsor des örtlichen Fußballvereins Preußen Münster, mit Aufklebern „Tu ja nix für den Sponsor“ bedacht.
Donnerstag: Fortführung der Kampagne in einem Dutzend Orten. In der Hälfte davon wurde die Agentur für Arbeit beehrt. Aus Hannover hieß es, der Zuspruch sei enorm gewesen. Viele Erwerbslose gerieten sofort in Diskussionen, denn die meisten verfügten selbst über jahrelange Erfahrungen mit Leiharbeit. Klar war allen, dass Leiharbeit nicht in Festbeschäftigung und reguläre Arbeitsverhältnisse führt, sondern immer wieder in die Erwerbslosigkeit. Diese wird allenfalls abgelöst durch neuerliche Phasen der Beschäftigung bei Leiharbeitsfirmen. In Freiburg wurde ein Stadtrundgang mit Auftaktveranstaltung vor der Agentur für Arbeit und anschließendem Besuch bei verschiedenen Menschenhändlern abgehalten. Gruppen in Leipzig, Frankfurt/M, Braunschweig und anderen Orten führten Flugblattaktionen vor Leihfirmen bzw. bei Wahlkampfauftritten durch.
Freitag: Mit dem Besuch der Arbeitsämter u.a. in Hannover und Recklinghausen, Flyeraktionen in Ruhrgebietsstädten wie Herne und mehreren Veranstaltungen endete die Woche.
Nach der Aktionswoche ist vor der Aktionswoche!
Die Aktionswoche gegen die Leiharbeit stellt den Auftakt für eine lang angelegte Kampagne dar. Es gab bereits weitere Aktionen und diese werden fortgesetzt, genauso wie die Aktivitäten zur Selbstorganisation von LeiharbeiterInnen.
Allerdings bestätigte sich unsere Erfahrung: Das Thema „Abschaffung der Leiharbeit“ spricht zwar viele Leute an, aber unter den betrieblichen Bedingungen, insbesondere vor dem Hintergrund drohender Massenarbeitslosigkeit und aufgrund der mangelnden Erfahrung in Sachen Selbstorganisation ist es nicht einfach, in dieser Branche erfolgreichen Widerstand zu organisieren.
Eine massive und koordinierte, europaweite Kampagne gegen die Leiharbeit wäre die richtige Antwort, um diese Form des Menschenhandels in Frage zu stellen und vielleicht in dem einen oder anderen Land abzuschaffen.
Erste konkrete Gespräche, die inzwischen in Griechenland mit der anarchosyndikalistischen ESE und der ak (antiautoritäre Bewegung) Thessaloniki geführt wurden, verliefen sehr positiv. Die Idee, Leiharbeit europaweit zu thematisieren, stieß auf Begeisterung und es wird diskutiert, eventuell gemeinsam mit einem breiteren Bündnis aus Basisgewerkschaften und sozialpolitischen Gruppen zu intervenieren.
Vorgeschlagen wurde eine internationale Konferenz, um die gemeinsame Marschroute mit allen Interessierten abzustimmen. ESE und ak wünschen einen kurz gehaltenen, zentralen Aufruf für alle Länder, wenn möglich bald. Ihre Hoffnung ist, dass dieser von der FAU ausgearbeitet und vorgeschlagen wird. In diesem Sinn: Es hat erst angefangen!