Showdown im Tarifduell

showdown_verdi_fau_babylon.gifNach der zuletzt überraschenden Wendung im Konflikt um einen Haustarifvertrag im Berliner Kino Babylon Mitte, haben sich die Ereignisse regelrecht überschlagen. Ein Abriss davon würde Erfolge wie Rückschläge enthalten – und jede Menge Erfahrungen, die die FAU in ihrem Gewerkschaftsverständnis bestätigen.

Jetzt wollen alle mitmischen

Zuletzt berichtete die Direkte Aktion, dass ver.di sich im September in den Konflikt einschaltete. Die FAU Berlin misstraute dieser Initiative und gab zu verstehen, dass sie dahinter Unsauberes vermute. Derweil ist Licht ins Dunkel gekommen: Durch den FAU-Arbeitskampf wurde klar, dass die Geschäftsführung um Lohnerhöhungen und Tarifregelungen nicht herumkommt. Zudem zeigte der öffentliche Druck auf Senat und Linkspartei seine Wirkung: Beide sahen sich gezwungen, zu einer Lösung beizutragen. Wie sich herausstellte, steht die ver.di-Intervention im direkten Zusammenhang damit. So erklärte die Linkspartei, dass die Verhandlungen ver.di’s mit dem Babylon aufgrund ihrer Vermittlung zustande gekommen seien. Zeitgleich sickerte die Information durch, dass der Senat weitere 30.000 Euro Subventionen für das Kino bereitstelle, um Lohnerhöhungen zu ermöglichen – ein erster Achtungserfolg im Arbeitskampf.

Weniger hinnehmbar war das Vorgehen des verhandelnden ver.di-Bezirksvizes Andreas Köhn. Dieser leitete Verhandlungen ein, ohne mit Belegschaft und FAU auch nur geredet zu haben. Die Chefs zeigten sich begeistert und führten ver.di als Argument an, um den laufenden Arbeitskampf zu delegitimieren. Nur durch Druck von FAU, Betriebsrat, den wenigen ver.di-Mitgliedern und den Beschäftigten generell gelang es, ver.di in Rechtfertigungsnot zu bringen. Ein einstimmiger Beschluss auf einer Betriebsversammlung forderte bspw., dass es keinen Alleingang geben dürfe. Damit war klar, dass ver.di nicht so einfach an der FAU vorbeikommen würde. Trotz heftiger Kritik an ver.di, versuchte nun die FAU aus Respekt vor der Belegschaft, eine Tarifgemeinschaft auf den Weg zu bringen. Wie zu erwarten, blieb es seitens ver.di bei bloßen Lippenbekenntnissen – man wartete ab.

Berliner Gericht verbietet Boykott

Denn was folgte, war ein juristischer Schlag gegen die FAU Berlin, deren Druck weiter anhielt. Ver.di fehlten gute Argumente, um an der FAU vorbei zu verhandeln, denn regelmäßige Aktionen im und vor dem Babylon sorgten für Schlagzeilen und der Boykott zeigte seine Wirkung (z.B. legten Medienpartner wie Radio Eins ihre Kooperation aufs Eis). In einem Eilverfahren wurde der Boykott dann per einstweiliger Verfügung untersagt. (Näheres, siehe Infobox unten)

Das Urteil ist selbstverständlich absurd und skandalös. Es widerspricht selbst den kümmerlichen Gewerkschaftsrechten in der BRD, folgt doch die Tariffähigkeitsfrage eigentlich der Intention, unternehmerfreundliche Gefälligkeitstarifverträge zu unterbinden. Gefälligkeit und mangelnde Durchsetzungsfähigkeit sind hier eher ver.di zu attestieren. Auch betrachtet es die FAU – unabhängig von der Rechtssprechung – als legitimes Recht, sich gewerkschaftlich selbst zu organisieren und Kollektivverträge zu erwirken. Gerade dies aber verbietet das Urteil den Beschäftigten und zwingt sie so unter die Knute einer ihnen fremden Gewerkschaft. Nicht zuletzt wollte sich der Arbeitgeber mittels des Gerichts den unvermeidbaren Verhandlungen mit einer unbequemen Gewerkschaft entziehen. Es ist geradezu ironisch, dass die Maßnahmen, durch die ja die Verhandlungen ver.di’s erst möglich wurden, für illegal erklärt werden. Die FAU Berlin prüft nun die Möglichkeiten der Berufung. In ihrer Gewerkschaftsarbeit will sie sich aber nicht beirren lassen.

Die Masken sind gefallen …

Mit dem Urteil sah sich ver.di nun befreit und legte tarifpolitisch los – als ob man nur auf das Urteil gewartet hätte. So gab es eine erste Verhandlungsrunde, allerdings ohne die Bildung einer Tarifkommission, ohne den Einbezug der Beschäftigten und ohne die Absicht, diese irgendwie darüber entscheiden zu lassen. Erwartungsgemäß zeichnet sich ein billiges Ergebnis ab: Der Vertrag wird im Wesentlichen eine Übernahme des ver.di-Flächentarifs sein. Die Löhne bewegen sich so auf einer Höhe, unter die ver.di gar nicht gehen darf. Die betriebsspezifischen Probleme, die wesentliche Ursache für den Konflikt waren, finden kaum Berücksichtigung (siehe z.B. die Praktika-Regelung der FAU).

Die FAU Berlin zieht trotz der Schattenseiten eine positive Bilanz: Mit dem ver.di-Tarifvertrag, der ein Resultat des Arbeitskampfes ist, wird es Lohnerhöhungen und diverse tarifliche Absicherungen geben. Die FAU-Betriebsgruppe ist stattlich, agil und widerstandsfähig, die Belegschaft weitgehend kritisch. Es herrscht die Gewissheit, dass die FAU das erkämpft hat und dafür einsteht, dass die Betroffenen selbst entscheiden; während ver.di sich als autokratisches Kartell präsentiert hat. Die FAU war in der Lage, kontinuierlich Druck auf ihren Gegner auszuüben, und konnte nur mit rechtlichen Knüppelschlägen ausgebremst werden. Auch die Solidarität funktionierte vorbildlich. Für eine kleine Basisgewerkschaft, die erst am Anfang ihrer Entwicklung steht, ist das schon eine Menge.

Die Nicht-Anerkennung einer legitimen Interessenvertretung mag ein mundvoll Wermut sein, es bedeutet aber auch, auf dem richtigen Weg zu sein. Selten hat ein Konflikt in einem kleinen Betrieb für so viel Furore gesorgt. Warum? Weil sich hier etwas Neues zeigt, das verschiedene Kräfte nicht einfach zulassen können. Die FAU wird sich daran gewöhnen müssen, dass gerade ihr in Arbeitskämpfen ein ungewohnt heftiger Wind entgegenschlägt. Die Bosse werden sich bei ihr stets hartnäckiger zeigen, während die etablierten Gewerkschaften ihr Monopol werden sichern wollen und sich dabei auf eine repressive Rechtssprechung stützen. Aber wenn die FAU diesen Weg weiterverfolgt, dann wird sie mehr als nur Motor des Tarifgeschehens sein.

… die Würfel sind es nicht

Im Babylon hat sich in Miniatur all das in Reinform gezeigt, was die FAU so abstoßend an den Zentralgewerkschaften findet. Wenn ver.di nicht einmal in einem Kleinbetrieb in der Lage und willens ist, Partizipation zuzulassen, ist das ein Offenbarungseid in Sachen gewerkschaftlicher Demokratie. Dass hier selbstermächtigte Funktionäre verhandeln, die branchenfremd sind und die Probleme und Bedürfnisse der Beschäftigten im Betrieb nicht im Geringsten kennen, ist schlichtweg widerlich.

Das letzte Wort aber ist noch nicht gesprochen. Denn auf welches Echo der ver.di-Vertrag stoßen wird, steht noch aus. Gleichzeitig sind die Probleme im Haus nicht einfach durch mehr Geld und den Tarif gelöst. Der willkürliche Führungsstil, die rigorose Kündigungspolitik, die fragwürdige Geschäftspolitik und die Misswirtschaft, deren Schäden auf die Beschäftigten abgewälzt werden, erfordern eine kämpferische Gewerkschaft im Betrieb. Auch die schon jetzt feststellbaren Angriffe auf aktive Beschäftigte, die im Windschatten der ver.di-Intervention erfolgen, werden zeigen, wer die Rechte der Beschäftigten letztlich verteidigt: nämlich sie selbst im Schulterschluss mit der FAU Berlin.

Zur Tariffähigkeit von Gewerkschaften

Wer Tarifverträge abschließen kann, ist im Tarifvertragsgesetz (TVG) geregelt. „Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern“. Was aber Gewerkschaften sind, steht in keinem Gesetz. Im Grundgesetz, Artikel 9 Absatz 3 ist lediglich festgelegt: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.“

Es gab in der Vergangenheit mehrfach Anträge, einer Gewerkschaft die „Tariffähigkeit“ aberkennen zu lassen, womit eine erhebliche Einschränkung ihrer Rechte verbunden ist. Die Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu diesem Thema hatten meistens den Hintergrund, dass Organisationen landes- oder bundesweite Tarifzuständigkeiten für bestimmte Berufsgruppen oder Branchen beansprucht hatten, ohne dort eine größere Zahl von Mitgliedern zu haben und ohne sich jemals in einem Arbeitskampf befunden zu haben.

Im Fall des Kino Babylon befand sich das Allgemeine Syndikat der FAU Berlin seit Monaten in einem Arbeitskampf und der Druck auf die Bosse war inzwischen so groß, dass es nur noch die Möglichkeit gab, einen Tarifvertrag zu verhandeln. Um diesen Druck zu beseitigen, stellten die Babylon-Bosse Antrag auf eine einstweilige Verfügung beim Arbeitsgericht. Der FAU Berlin sollte untersagt werden, weiterhin zum Boykott des Kinos aufzurufen.

Die Argumentation war, die Boykottaufrufe seien keine durch GG Art. 9 Abs. 3 geschützten Arbeitskampfmaßnahmen, da das Allgemeine Syndikat keine Gewerkschaft im Sinne des TVG und aus diesem Grund nicht tariffähig sei.

Das Gericht folgte der Argumentation und erklärte, die FAU Berlin verfüge nicht über die für die Tariffähigkeit erforderliche Durchsetzungsfähigkeit und Mächtigkeit, da ihr Organisationsbereich, der das Stadtgebiet Berlin umfasst, es ihr nicht erlaubt, auf die Arbeitgeberseite genügend Druck auszuüben, um diese zu nicht gewollten ernsthaften Verhandlungen über Arbeitsbedingungen oder Tarifverträge zu veranlassen. Daher dürfe das Syndikat keine Arbeitskampfmaßnahmen einleiten.

Angesichts der Realität im Babylon-Kampf ist dieses Urteil absurd. Zudem steht es im Widerspruch zu sämtlichen internationalen Abkommen. Es wird uns aber nicht davon abhalten, weiter für unsere Interessen einzutreten.

KC (FAU Frankfurt/M.)

 

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