„Ab nächster Woche brauchst du nicht mehr zu kommen!“ Das erfährt die Kellnerin eines chinesischen Restaurants in Leipzig an einem Vormittag im Januar. Fast ein Jahr hat sie dort gearbeitet. Häufig in geringer Besetzung und bei großem Kundenandrang. Jetzt wird sie gekündigt, von einem Tag auf den anderen. Eigentlich gibt es Fristen. Eigentlich besteht Kündigungsschutz. Aber die Betroffene war als Minijobberin angestellt und hatte keinen schriftlichen Arbeitsvertrag. Darum, so scheint es, erlaubt sich die Geschäftsführung auch, die arbeitsrechtlichen Mindeststandards unter den Tisch fallen zu lassen. Bezahlten Urlaub gab es nicht, genauso wenig wie Krankengeld.
Dass das kein Einzelfall ist, zeigen nicht nur die Erfahrungen der FAU, sondern seit neuestem auch eine Studie des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Die Untersuchung, die im März diesen Jahres viel Aufmerksamkeit erfuhr, erfasst zwar nur Minijobs in Nordrhein-Westfalen, die Erkenntnisse lassen sich jedoch auch auf andere Regionen übertragen. Von den befragten MinijobberInnen konnten nur 28,9% Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Anspruch nehmen. Nur 23,5% bekamen Feiertage bezahlt. Über 55% nahmen keinen bezahlten Urlaub. Die Erhebung fördert außerdem zu Tage, dass ein Fünftel der geringfügig Beschäftigten keinen schriftlichen Arbeitsvertrag erhielt, was die Unsicherheit über die eigenen Rechte noch bestärkt. Erschreckend ist noch eine andere Erkenntnis: über 12% erhielten illegalerweise nicht einmal den Mindestlohn von 8,50€.
Viele Minijobs, besonders in der Gastro-Branche, bedeuten auch häufig Arbeit auf Abruf. Man bekommt nur dann Gelegenheit, Geld zu verdienen, wenn der Boss einen braucht. Die geforderte Flexibilität ist spürbar größer und der Monatsverdienst bleibt ungewiss. Doch auch hier gilt eigentlich ein Anspruch auf Beschäftigung, um wenigstens ein bisschen Einkommenssicherheit zu haben. Daran gehalten wird sich selten.
Dass die Arbeitgeber selbst gesetzliche Ansprüche nicht gewähren, ist Teil einer Strategie zur Senkung der Lohnkosten. Dass ein großer Teil der Beschäftigten immer noch nicht über seine Rechte Bescheid weiß, kommt den Chefs dabei entgegen. Ein anderer Grund ist die hohe Fluktuation im Minijobbereich. „Bedienung wechselt gefühlt monatlich“, kritisiert ein Nutzer auf der Facebookseite des Leipziger Chinarestaurants. Ob der Boss hier kalkuliert durchmischt oder die KollegInnen die Arbeitsbedingungen einfach nicht lange ertragen wollen – ständig wechselnde MitarbeiterInnen erschweren den Aufbau von Vertrauen und damit die Organisierung. Nachhaltige Verbesserungen zu erkämpfen, wird so erschwert.
Individuelle Konfliktführung als erster Schritt Feuerwehrpolitik, die die gesetzlichen Leistungen erst nach der Kündigung einfordert, um wenigstens noch ein paar Hundert Euro aus dem Ausbeutungsverhältnis herauszuholen, werden die Betriebspolitik nicht ändern. Dennoch stellt diese individuelle Konfliktführung zumindest einen Anfang dar. Man erarbeitet sich eine kleine Basis an Wissen und Selbstvertrauen, aus dem man schöpfen kann, um im nächsten Minijob (jede/r Zweite sucht sich einen neuen) die KollegInnen zu mobilisieren und die Probleme gemeinsam in Angriff zu nehmen.
Dabei darf man aber nicht darüber hinwegsehen, dass die geringfügig Beschäftigten laut der Studie mehrheitlich zufrieden mit ihrer Erwerbssituation sind, trotz der vielen Rechtsbrüche. Die Anzahl derjenigen, die den Minijob nur haben, weil sie nichts anderen finden konnten, ist bei Menschen mit Migrationshintergrund mit 21% am höchsten. Bei Frauen ist er jedoch mit 15,5% fast doppelt so hoch wie bei Männern (8,6%). Ob Solidarität bei dem großen Anteil der geringfügig Beschäftigten zu holen ist, denen der Minijob nur ein zweites Standbein ist, ist fraglich. Der DGB hat das Organisieren aufgegeben und richtet seine Forderungen an die Politik. Minijobs sollen in die Sozialversicherungspflicht eingebunden werden. Ob das etwas ändert, steht in den Sternen. Solange die Politik nichts garantieren kann, bleiben Selbstorganisation und Widerstand alternativlos.