Lückenbüßer

Ein Kommentar von Ludwig Unruh (Zeichnung: Findus)

Das amtlich bestellte Orakel, bekannt unter dem bescheidenen Kürzel „Rat der Wirtschaftsweisen“, hat sich pünktlich zum Sommerloch wieder gemeldet: Die Deutschen leben zu lang und arbeiten zu wenig. Dass sie immer älter werden, könnte man ja noch verknusen – wenn sie nur die deutschen Tugenden pflegen würden. Statt von der Wiege bis zur Bahre die Stellung an der Arbeitsfront zu verteidigen, räkeln sie sich aber in der sozialen Hängematte. Und mit ihren „lückenhaften Erwerbsbiografien“ erzeugen sie zahlreiche weitere Lücken: von der sattsam bekannten „Versorgungslücke“ über die „Finanzierungslücke“ und die „Rentenlücke“ bis zur „Tragfähigkeitslücke der öffentlichen Haushalte“. Da können wir von Glück reden, dass die „ausländische Nachfrage“ wenigstens die „Output-Lücke“ der deutschen Industrie geschlossen hat. Also: Renteneintrittsalter rauf, schlaue und fleißige Ausländer rein!

Sie wollen uns damit wohl vergessen lassen, dass wir trotz nachlassender Tugenden immer noch so fleißig sind, dass die Produktivität der deutschen Wirtschaft beinahe jedes Jahr schneller steigt als die „demografische Lücke“ aufklaffen kann. Zudem könnten wir, wären wir genauso forsch wie unsere Weisen, selbst ein wenig orakeln. Dann kämen wir vermutlich recht bald zu der Annahme, dass wir bei weiter ansteigendem Arbeitsstress immer seltener jenes biblische Alter erreichen werden, welches uns seitens der auch ohne entsprechendes Alter weise gewordenen Wirtschaftsweisen prophezeit wird. Auch würde sehr schnell klar werden, dass es einzig und allein darum geht, den Druck auf dem Arbeitsmarkt so zu erhöhen, dass den „Arbeitsplatzbesitzern“ die deutschen Tugenden nicht abhandenkommen.

Dabei bauen die Weisen ganz sicher auf die Gedächtnislücken des gemeinen Deutschen, der – ebenso wie seine Kollegin – das Einmaleins des Klassenkampfes verlernt hat: Nur durch ökonomischen Druck von unten sind die Bosse dazu zu bewegen, unsere Finanzierungslücken zu schließen.

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