Länder und Kommunen erkennen zunehmend die Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft“, ist auf der Webseite des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zu lesen. Nicht nur Politiker, auch Unternehmen schauen heute gebannt auf diese vermeintliche Wachstumsbranche, die sich vor allem aus Freelancern, so genannten Soloselbständigen, zusammensetzt, von Künstlerinnen über Texter bis zu Designerinnen und Fotografen. Die von ihnen abverlangte Flexibilität und Eigeninitiative wird dabei zunehmend als Leitbild einer dynamischen Wirtschaft von morgen in Stellung gebracht.
Tatsächlich hält dieses Arbeitsmodell bereits in anderen Wirtschaftsbereichen Einzug. Möglich wird dies durch die Digitalisierung der Arbeitsorganisation, mit der die Unternehmen die Flexibilisierung der Beschäftigungsformen vorantreiben können. Eine Methode, die dabei zur Anwendung kommt, ist das Crowdsourcing. Dabei handelt es sich um ein Prinzip der Arbeitsteilung, bei dem ein „Schwarm“ von Internetusern aufgerufen wird, bestimmte Aufgaben oder Probleme eines Unternehmens zu lösen– meist unentgeltlich. Bisher kennt man diese Methode vor allem im Bereich der Produktentwicklung, etwa wenn gezielt Feedbacks von Internetusern eingeholt werden, um ein Produkt zu verbessern. Doch immer häufiger findet die „Schwarmauslagerung“ auch Anwendung in der allgemeinen Arbeitsorganisation von Unternehmen.
„On Ebay“
Vorreiter dieser Entwicklung waren Plattformen, auf denen Unternehmen einfache Aufgaben (Microtasks) einstellen können, die von Internetusern ausgeführt werden, etwa kleinere Recherchen oder Übersetzungen – zu Hungerlöhnen. Mittlerweile gibt es sogar Plattformen, die sog. „Mikrojobs“ vermitteln, Aufgaben, die z.B. in „unproduktiven Zeiten“, etwa bei Zugfahrten, auf dem Smartphone erledigt werden können. Aber auch regelrechte Projekte werden auf entsprechenden Seiten ausgeschrieben. Auf diesen „Ebays für Arbeitskräfte“ konkurrieren insbesondere Software-Entwickler oder Designer weltweit um Kunden und deren Aufträge.
Mit IBM prescht nun erstmals ein großer Konzern vor, der derlei Methoden großflächig zur Anwendung bringen möchte. „Cloud Working“ nennt sich das Patentrezept, mit dem man das Cloud-Computing-Prinzip, bei dem IT-Infrastrukturen bedarfsorientiert über ein Netzwerk zur Verfügung gestellt werden, auf den Bereich der Arbeitskraft übertragen möchte. Der Softwarekonzern, der den Abbau von bis zu 8 000 seiner 20 000 Arbeitsplätze in Deutschland angekündigt hat, möchte seine Arbeitsorganisation radikal flexibilisieren: Die Kernbelegschaft soll so stark wie möglich reduziert werden; gleichzeitig sollen die restlichen Arbeitskräfte flexibel über ein virtuelles Netzwerk rekrutiert werden. Diese weltweite Crowd von freiberuflichen Spezialisten soll sich um die jeweiligen Projekte bewerben. Verbunden damit sind „globalisierte Arbeitsverträge“, die es ermöglichen, nationale Lohnregelungen zu umgehen. Zur Feststellung der Eignung eines Bewerbers soll es zudem individuelle Profile geben, in die neben einem elektronischen Lebenslauf u.a. Bewertungen durch soziale Netzwerke einfließen, um die „soziale Reputation“ zu messen.
Die digitale Wolke
Bisher hatte dieses Modell seinen Grenzen, weil man sich gerade bei „geschäftskritischen“ Aktionen nicht darauf verlassen konnte, ob die erbrachte Leistung der angeheuerten Arbeitskräfte, über die man nur eingeschränkte Kontrolle hat, auch wirklich den Qualitätsansprüchen genügt. Softwareunternehmen und Forschungsgruppen entwickeln deshalb nun die nötige Software für solche people clouds, die eine umfassende Verwaltung und Kontrolle auch der freiberuflichen Crowdworkers ermöglichen soll. Dabei dehnt man die bisherigen Systeme des „Human Resources Management“ aus. Schon jetzt gibt es insbesondere in größeren Firmen eine automatisierte Personalverwaltung, die den Leistungsstand und die Stärken und Schwächen von Beschäftigten scannt, aber auch BewerberInnen analysiert und passende „Talente“ ausfindig macht – das alles, um sich auf das „Wesentliche: strategische Aufgaben, Kostensenkungen, Effizienz- und Produktivitätssteigerungen“ konzentrieren zu können, wie es beim Entwickler SAP heißt. Ja, sogar die Verhaltensweisen von Beschäftigten, auch in sozialen Netzwerken, werden in Monitoring-Verfahren zunehmend gescannt (Zu diesem Komplex siehe Der große Bruder schaut dich an).
Offenbar scheint der Bedarf an solchen people clouds groß zu sein. Der Entwickler Saba etwa rechnet auf dem Gebiet solcher „sozialen Software-Produkte“ mit einer jährlichen Wachstumsrate von fast 40 Prozent in den nächsten fünf Jahren. „Mit E-Mails haben wir unsere Arbeitsweisen verändert. Jetzt machen wir das erneut, indem wir Menschen, nicht Informationen, in den Mittelpunkt der Organisation stellen“, verkündete Bobby Yazdani, der Gründer und CEO von Saba. Auch Cathy Davidson, Professorin an der Duke University in North Carolina, behauptet, dass sich Crowdsourcing und Cloud Working zu einer zentralen Produktivitätsressource entwickeln würden. In manchen Fachkreisen ist die Rede vom „Arbeitsmodell der Zukunft“.
Kreativ, liquid und traurig
Ob die Digitalisierung der Arbeitswelt wirklich so einschneidend ausfallen wird, sei dahingestellt. Klassische Produktionsjobs werden wohl kaum auf diese Weise organisiert werden können. Es wäre aber zumindest die konsequente Fortführung der wirtschaftlichen „Dezentralisierung“, die den „Arbeitskraftunternehmer“ als Ideal hat und Festanstellungen auf creative core teams reduzieren möchte. Das Prinzip von Flexibilisierung und Outsourcing würde damit auf die Spitze getrieben. Schon jetzt befinden sich nur noch etwas über die Hälfte aller „Arbeitnehmer“ in so genannten Normalarbeitsverhältnissen. Allein von 1999 bis 2009 ist die Zahl der unbefristeten Vollzeitjobs um 18,5 Prozent zurückgegangen. Zugleich stieg die Zahl der „atypischen“ Erwerbsformen um fast 79 Prozent an.
Was die ausufernden „liquiden“ Arbeitsverhältnisse, wie bei IBM angestrebt, für die Lohnabhängigen bedeuten werden, zeigt sich heute schon sehr deutlich am Beispiel der kreativen Freelancer, die allein im letzten Jahrzehnt um mehr als ein Drittel angewachsen sind. „Das Attribut kreativ bedeutet oft nichts anderes als marktgängig und verwertbar“, schreibt Katja Kullman in „Echtleben“, einem Buch über ihr Leben als kreative Freiberuflerin. „Zehntausende einst hoffnungsvoll gestartete Freelancer sind über die Nuller-Jahre zu traurigen Tagelöhnern geworden“, so Kullman, die von „Outsourcing, Freisetzung, auch Lohnerpressung“ berichtet. „Sie unterbieten sich gegenseitig bei den Honoraren und verschenken ihre Ideen, Rechte und Patente.“
Die Zukunft der Vergangenheit
So entpuppt sich das „Arbeitsmodell der Zukunft“, das mehr Freiheit, weniger Hierarchien und mehr Selbstverwirklichung verspricht, z.T. als Modell der Vergangenheit– als Mittel zur Kontrolle und Disziplinierung, und als Rückkehr zum Tagelöhnertum. Schon das Taylor-Prinzip der „wissenschaftlichen Betriebsführung“ sollte einst die Organisierungsfähigkeit und die Verhandlungsmacht der Arbeiterschaft brechen. Doch erst durch die „Dezentralisierung“ der Arbeitsorganisation– namentlich durch Leiharbeit, Outsourcing und „flache Hierarchien“– gelang dies im umfassenden Sinne. Mit digitalen Methoden der Rationalisierung soll diese „Erfolgsgeschichte“ offenbar nun fortgeschrieben werden.
Gewerkschaften sehen sich schon jetzt durch die Flexibilisierung der Arbeitsorganisation und die Dezentralisierung der Produktionsketten vor große Herausforderungen gestellt – und sie dürften größer werden. Derzeit herrscht große Ratlosigkeit, wie dem begegnet werden kann, denn die individualisierten und großräumig verteilten Arbeitskräfte gelten fast schon als unorganisierbar, weil es keinen realen Raum gibt, wo sie in Beziehung zueinander gesetzt werden können. Auf der anderen Seite war die Geschichte der Gewerkschaften schon immer davon bestimmt, sich auf die Verhältnisse einzustellen und möglichst dem Kapital sogar einen Schritt voraus zu sein. Denn auch dieses reagierte immer wieder auf die Organisierungsformen der Arbeiterschaft. Mit dem Taylorismus etwa sollte das Betriebsmanagement die vollständige Kontrolle über den Produktionsprozess erlangen, um damit die mächtigen Facharbeiter, die damals hauptsächlich die Gewerkschaften bildeten, zu entmachten. Auch damals galten die „neuen Arbeiter“, das unqualifizierte und angelernte Industrieproletariat, als unorganisierbar; sie seien zu prekär und zu sehr in Konkurrenz zu einander gesetzt. Letztlich wurden sie jedoch zur neuen Basis der Gewerkschaften, die sich – auch maßgeblich durch syndikalistische Einflüsse – erneuerten und passende solidarische Organisationsformen wie etwa das industriegewerkschaftliche Prinzip entwickelten.
Ebenen der Organisierung
Dass es heute möglich ist, auch Freelancer zu organisieren und sogar in entschlossene Kämpfe zu führen, hat etwa die Writers Guild in den USA mit dem Drehbuchautorenstreik 2007-08 gezeigt. Der Streik bewies zudem, welche Macht auch kleine Gruppen von ArbeiterInnen in den modernen Produktionsketten entwickeln können, wurde die amerikanische Filmwirtschaft von dem Streik doch schwer getroffen. Es wäre ein Trugschluss zu glauben, diese Möglichkeit bestünde nur für vermeintlich „privilegierte“ ArbeiterInnen. Denn neue Arbeitsorganisationen bieten immer auch neue Angriffsflächen. Die Zersplitterung und „Dezentralisierung“ findet ja vielfach nur an der Oberfläche statt. In der Tiefe des Produktionsprozesses aber steigen die organisatorische Verzahnung und die gegenseitige Abhängigkeit.
Damit mehren sich auch die Ansatzpunkte und die Reichweite von Aktionen derjenigen, die die Arbeit tatsächlich machen. An struktureller Macht mangelt es also den ArbeiterInnen nicht zwangsläufig. Die zentrale Frage dürfte vielmehr sein, wie auch die entsprechende Organisationsmacht hergestellt wird. Zu den Anfängen der Gewerkschaftsbewegung wurde diese Frage in erster Linie auf beruflicher Ebene beantwortet (Fachgewerkschaften), anschließend auf betrieblicher und industrieller Ebene (Betriebs- und Branchengewerkschaften). Heute, in Zeiten entgrenzter Arbeitsorganisation, dürfte die Frage sein, ob es den Gewerkschaften gelingt, neben der globalen auch die sozialräumliche und virtuelle Ebene zu erschließen. Sonst laufen sie Gefahr, vom Kapital abgehängt zu werden.