Die Bassa – das flache Schwemmland der oberitalienischen Region Emilia-Romagna – ist den meisten eher durch eines bekannt: die beiden wohl berühmtesten italienischen Streithähne Don Camillo und Peppone. Doch auch wenn diese beiden Charaktere in exemplarischer Weise die tiefe Spaltung der italienischen Gesellschaft in Anhänger der Kommunistischen Partei und der katholischen Christdemokraten aufzeigen, ist dies bei weitem nicht das einzige, was der historische Fundus der Region zu bieten hat. Die Region – genauer gesagt die Stadt Modena – ist ebenso die Wiege des revolutionären Syndikalismus in Italien. Im November 1912 wurde hier mit der Unione Sindacale Italiana (USI) eine der neben CNT, SAC, CGT-SR und FAUD einflussreichsten syndikalistischen Organisationen des europäischen Kontinents aus der Taufe gehoben.
Von der 1. Internationale zum revolutionären Syndikalismus
Bis zu seiner Vereinigung im Jahre 1861 war Italien ein Flickenteppich von Kleinstaaten, deren rückständige Wirtschaft vor allem aus Handel und Landwirtschaft bestand. Erst mit der Einheit Italiens wurde dieses einer radikalen Industrialisierung unterzogen, die zu einer rapiden Proletarisierung v.a. der Landbevölkerung zunächst in Tagelöhner ohne Grund und Boden und dann zu Industriearbeitern in den rasch wachsenden urbanen Zentren führte. Genau in diese Periode fiel die Gründung der 1. Internationale im September 1864, die in Italien v.a. durch Bakunin und seine Anhänger rasch an Einfluss gewann. So wuchs allein die 1869 gegründete neapolitanische Sektion innerhalb nur eines Jahres von 400 auf 3.000 Mitglieder. Auch nach dem Zerwürfnis zwischen Marx und Bakunin blieb der Einfluß der Bakunisten in Italien enorm. So nimmt es nicht Wunder, dass sich durch harte soziale Konflikte und theoretische Entwicklung um die Jahrhundertwende eine starke syndikalistische Tendenz im Gegensatz zur Parteipolitik in der sozialistischen Bewegung Italiens behaupten konnte. Gestärkt wurde diese Tendenz durch die Gründung der IWW 1905 in den USA und der CGT 1906 in Frankreich. So entstand im gleichen Jahr nach französischem Vorbild die Confederazione Generale del Lavoro (CGL) als Vorgängerin der heutigen CGIL. Die CGL versammelte zunächst alle Strömungen der italienischen Gewerkschaftsbewegung in ihren Reihen. Zunehmende Bürokratisierung, wachsender Einfluss der Sozialistischen Partei PSI sowie heftige Auseinandersetzungen vor dem sich abzeichnenden 1. Weltkrieg über die Beibehaltung einer antimilitaristischen und internationalistischen Position führten letztlich zum unwiderruflichen Bruch. Doch auch während des Krieges war selbst die neu gegeründete USI von harten Zerwürfnissen in Fragen des Antimilitarismus geprägt. Erst nach dem Weltkrieg gelang es der USI zur Protagonistin vieler Konflikte v.a. im sog. Biennio Rosso von 1919-21 zu werden. 1922 schloss sich die USI der syndikalistischen Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) an. Nach dem Verbot durch die Faschisten und dem 2. Weltkrieg erholte sich die USI trotz mehrerer Wiederbelebungsversuche schleppend und gewann erst Ende der 1970er Jahre wieder an Auftrieb.
100 Jahre nach der Gründung
Nun, 100 Jahre nach dem Gründungskongress, kam die USI-IAA erneut in Modena zusammen – diesmal zu ihrem nunmehr 20. Kongress. Zwar reicht die aktuelle Stärke bei weitem nicht an vergangene Zeiten, mit ihren gut 1000 Mitgliedern spielt sie aber nach wie vor in der oberen Liga des internationalen Syndikalismus und ist zweitstärkste Organisation in der IAA, die durch Beobachter des IAA-Sekretariats und der FAU vertreten war.
Die USI gibt sich bescheiden zum 100jährigen. Und diese Bescheidenheit besticht. Denn das Programm für den Kongress ist ambitioniert: zentrale Punkte der Tagesordnung sind u.a. die Debatte über die aktuelle sozio-ökonomische Lage und die Stärkung der USI, Selbstverwaltung als Antwort auf die Krise, Gründung eines Schulungszentrums für Mitglieder, Analyse der Gewerkschaftsbewegung und die Rolle des Anarchosyndikalismus.
Die Debatten verlaufen sachlich, ohne viel Pomp und Rhetorik. Aber das macht sie glaubhaft und überzeugend. Denn die desolate wirtschaftliche Lage Italiens lässt nicht viel Raum für Schmückwerk und leere Worthülsen. Der Sparzwang der technischen Regierung unter Mario Monti macht auch vor der italienischen Arbeitswelt nicht halt: Festanstellungen gelten für den Premier als Geschichte und langweilig (sic!), der Kündigungsschutz wird angegriffen, Tarifverträge systematisch unterlaufen und es sollen verpflichtende Schlichtungsverfahren für Arbeitskonflikte eingeführt werden. Ganz nebenbei wird versucht das Letzte, was vom Tafelsilber noch in Staatsbesitz ist, zu verramschen und durch Steuererhöhungen das Letzte aus gerade den einkommensschwachen Bevölkerungsschichten zu pressen.
Die Gewerkschaftsbewegung lässt sich von diesen Entwicklungen geradezu überrollen. Die großen Gewerkschaften CGIL, CISL, UIL unterschreiben, was ihnen vorgelegt wird, um ihren Einfluss nicht zu verspielen. Die Basisgewerkschaften sind heillos untereinander zerstritten und in zwei Blöcke geteilt. So ist es keine Seltenheit, dass derzeit in Italien zu ein und demselben Thema oft drei unterschiedliche Generalstreiks mit jeweils mäßiger Beteiligung ausgerufen werden.
Zum sicherlich wichtigsten Beschluss des Kongresses wurde somit die Bestrebung der USI, zumindest die Basisgewerkschaften zu einen und zu einem wahren und tatsächlichen Generalstreik zu mobilisieren.