Dass demokratische Grundrechte im zunehmend autoritären Kriseneuropa immer weniger gelten, ist bekannt. In Griechenland greift die Regierung aus konservativer Néa Dimokratía, sozialdemokratischer Pasok und Dimar (Demokratische Linke) zur Zerschlagung von Streiks nun auf Gesetze der Militärdiktatur (1967–1974) zurück. Nach den rassistischen Massenverhaftungen, den Folterungen und tausenden Abschiebungen von MigrantInnen seit Sommer 2012 und dem folgenden Angriff auf die Infrastruktur der anarchistischen Bewegung, ist dies die nächste Eskalationsstufe zur Absicherung kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse.
Nach einwöchigem Streik der Athener Metrobeschäftigten hatte der konservative Ministerpräsident Antónis Samarás am 24.01.2013 die Zwangsrekrutierung der Streikenden angeordnet. Diese hatten trotz eines Gerichtsurteils, das den Ausstand am Tag zuvor für illegal erklärte, ihren Streik zunächst fortgesetzt. Ihr Widerstand richtet sich gegen drastische Gehaltskürzungen, erneute Fahrpreiserhöhungen, Kündigungen und die Privatisierung des öffentlichen Personennahverkehrs. Mit dem Gesetz aus der Zeit der Obristenjunta, das Arbeitskämpfe für illegal erklärt, wenn sie dem nationalen Interesse schaden, gelang es der Regierung den Streik vorerst zu brechen.
Um 4 Uhr früh des 25.01. waren, wie bei den Räumungen der besetzten Häuser Villa Amalias und Skaramangá in den Wochen zuvor, die vermummten polizeilichen Terroreinheiten EKAM in das von den Streikenden besetzte Metrodepot im Stadtteil Sepólia eingedrungen. Diesen wurde dann der sogenannte Marschbefehl – ein amtliches Schreiben zur Zwangsverpflichtung zur Arbeit – überreicht. Wer sich ab diesem Zeitpunkt noch weigerte die Arbeit aufzunehmen, sollte verhaftet und darüber hinaus entlassen werden.
Die Beschäftigten der übrigen Athener Verkehrsbetriebe, die zuvor täglich stundenweise die Arbeit niedergelegt hatten, erklärten zwar ab 7 Uhr in den unbegrenzten Streik treten zu wollen, nachdem jedoch auch der von einem Gericht für illegal erklärt wurde, blieb es bei stundenweisen Arbeitsniederlegungen und einem landesweiten Solidaritätsstreik der Bahnbediensteten am 26. und 27. Januar.
Zur Stimmungsmache war Verkehrsminister Kostís Hatzidákis (ND) in den Tagen zuvor mit falschen Zahlen an die Öffentlichkeit gegangen. Ihm zufolge beträgt das durchschnittliche Monatsgehalt von Angestellten der öffentlichen Verkehrsbetriebe, unter Einbeziehung von Überstunden, Nacht- und Feiertagszuschlägen zwischen 2.167 und 4.095 Euro. Der Vizechef einer Gewerkschaft der Verkehrsbetriebe, ein dort seit 22 Jahren angestellter gelernter Elektriker, legte daraufhin seine Bezüge offen, die sich aus einem monatlichen Bruttolohn von 750 Euro und zwei Zuschlägen von 150 und 120 Euro zusammensetzen.
Der nächste Angriff auf das Streikrecht erfolgte am 6. Februar. Für die Auszahlung ausstehender Löhne, die Unterzeichnung von Kollektivverträgen und gegen eine geplante Schifffahrtsreform, die zu massiven Lohnkürzungen und Massenentlassungen führe, waren die Seeleute seit 31. Januar im Streik. Nachdem Gespräche zwischen ihrem gewerkschaftlichen Dachverband PNO und der Regierung gescheitert waren, verlängerten sie den Ausstand um 48 Stunden. Es gibt „keinen Raum für weitere Diskussionen“, ließ Schifffahrtsminister Kostís Mousouroúlis (ND) verlauten und Regierungschef Samarás schritt erneut zur Zwangsverpflichtung. „Wir werden die Dienstverpflichtung zerreißen und in den Mülleimer der Geschichte werfen“, antwortete Antónis Dalakogiórgos, Präsident der PNO, in einem Radiointerview. Die vollmundige Ankündigung führte zu breiten Solidaritätsmobilisierungen zum Hafen in anarchistischen und linksradikalen Kreisen. Scharfe Kritik an der Notstandsverordnung kam von der stalinistischen KKE, in deren Gewerkschaftsfront PAME viele Seeleute organisiert sind. Auch die stärkste Oppositionspartei, die Linksallianz Syriza, verurteilte das Vorgehen der Koalition. Ihr Abgeordneter Panagiótis Lafazánis nannte die Regierung eine „Junta des Kapitals auf Kosten der Arbeiterklasse“. Die Gewerkschaftsdachverbände GSEE und ADEDY erklärten sich solidarisch mit den Seeleuten und riefen für Mittwoch zum Generalstreik in Athen auf.
In der Nacht vom 5. auf den 6. Februar begann die Polizei dann im Hafen gegen Streikende vorzugehen. Unter dem Druck von Zwangsrekrutierung und MAT-Sondereinsatzkommandos, nahmen die Seeleute ihre Arbeit auf. Eine Solidaritätsdemonstration von über 10.000 Menschen wurde schon wenige hundert Meter außerhalb des Hafens von starken Polizeikräften gestoppt und löste sich auf. „Wenn die Regierung so weitermacht“, sagte ein Demonstrant, „wird bald ganz Griechenland per Zwangsverpflichtung an den Arbeitsplatz geschleift. Dann holen sie dich morgens mit der Pistole im Rücken zu Hause ab und bringen dich zur Arbeit.“
Was 2010 mit der Zwangsrekrutierung spanischer Fluglotsen und griechischer Tanklastwagenfahrer begann, wird immer alltäglicher. Ganz ohne Panzer wird der Angriff der kapitalistischen Junta auf das Streikrecht durchgesetzt.