Symbolischer Streitfall

Das Kopftuch hat in den letzten Jahrzehnten in Europa immer wieder zu gesellschaftlichen Auseinandersetzungen geführt. Die einen sehen es als Form der Unterdrückung der islamischen Frauen durch ihre Männer, die anderen wiederum als stolze und bewusste Identifikation der Trägerinnen mit einem Merkmal, das der jeweiligen Kultur Ausdruck verleihen soll. Weitere Konfliktfelder sind nicht nur der zum Gegensatz erklärte kulturelle Unterschied, sondern auch das Verhältnis von Religion und Staat generell. Am Arbeitsplatz wurde dieser Konflikt in den letzten Jahrzehnten zumeist von Beschäftigten im Bildungsbereich ausgetragen.

Urheber: FindusZweiklassensäkularität

Die postulierte Trennung zwischen „Kirche und Staat“ ist dabei nicht so einfach wie vielfach angenommen. Da Religion eine so umfassende Bedeutung für die Gesellschaft hat, ist im Gegensatz beispielsweise zu arbeitsrechtlichen Fragen vieles, was die Religion betrifft, bereits im Grundgesetz festgelegt. Dabei geht es im deutschen Recht um die Gewährleistung der freien und möglichen Ausübung der Religion im positiven Sinne und im Negativen um die Verhinderung eines religiösen Zwangs auf Individuen, wenn diese dies nicht wünschen. Schon Art. 4 des Grundgesetzes (GG) erklärt die Religionsfreiheit. Hauptsächlich überschneiden sich jedoch die Aufgaben von Kirche (als der institutionelle religiöse Träger) und Staat im Erziehungswesen, da beide hier historisch als gesellschaftliche Träger der Erziehung der nächsten Generationen aufeinandergeprallt sind. Interessant ist dabei, dass sich schon Art. 7 des GG mit der Religion an Schulen beschäftigt. Damit ist schon die gesellschaftliche Bedeutung dieses Themas hervorgehoben, so wie die vorherige Relevanz für die Gesellschaft bestätigt. Die oberste Schulaufsicht hat der Staat, Eltern haben das Recht über die Teilnahme ihrer Kinder am Religionsunterricht selbst zu entscheiden. Allerdings ist ein irgendwie gearteter Religionsunterricht an Schulen ebenso verbindlich (GG Art. 7, Abs. 1-3).

Näheres zur Bildung entscheiden in der Bundesrepublik jedoch die Länder. Und so gibt es im Geltungsraum des Grundgesetzes auch gegensätzliche Vorstellungen, wie mit kopftuchtragenden Lehrerinnen umgegangen werden soll. Exakt die Hälfte der Bundesländer haben keine Verbote, die das Tragen von Kopftüchern in einer Bildungseinrichtung betreffen. Tatsächlich handelt sich es bei diesen Ländern um die migrationsarmen fünf Länder Ostdeutschlands. Die anderen drei sind Hamburg, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz. In allen anderen Ländern gibt es eine Anweisung, die das Kopftuchtragen verbietet. Hier zeigen sich unterschiedliche eigenwillige Auslegungen der Religionsfreiheit in den Ländern. Besonders die drei südlichen Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen stechen hervor: Hier geht es darum, das Kopftuch als „politisches“ Symbol abzulehnen und gleichzeitig andere religiöse Symbole als „historisch“ gewachsen darzustellen. In Baden-Württemberg wurde der Fall einer Lehrerin bekannt, welche das Kopftuch im Unterricht tragen wollte. Fünf Jahre währte der Rechtsstreit der Stuttgarterin, bis sie 2009 vor dem Bundesverwaltungsgericht verlor. Sie berief sich damals auf unterrichtende Nonnen aus ihrem Heimatland Baden-Württemberg, welche ebenfalls eine Kopfbedeckung (das sog. Habitat) im Unterricht tragen würden. In der Begründung der Ablehnung der Klage hieß es dann, dass die Nonnen das Habitat für sich tragen wollen würden, aufgrund von gewachsener Tradition, während die klagende Lehrerin dies tun würde, um andere ebenfalls dazu bringen zu wollen ein Kopftuch zu tragen. Nur wenige Jahre zuvor scheiterte eine andere Lehrerin ebenfalls in Baden-Württemberg. An ihrem Fall entbrannte 2003 die wohl heftigste Auseinandersetzung um das Kopftuch. In den nördlichen Bundesländern zielen Kopftuchverbote hingegen auf ein generelles Verbot von religiösen Symbolen und Praktiken in den staatlichen Schulen und Universitäten ab.

Zwischen Gleichbehandlung und Emanzipation

Eine entscheidende Rolle in den heutigen Diskursen um Kopftücher an Schulen und Arbeitsplätzen spielt aber das erst 2006 eingeführte europäische Gesetz der Allgemeinen Gleichbehandlung (AGG). Es regelt die allgemeine Gleichbehandlung von Angestellten in einem Betrieb. Seit Einführung dieses Gesetzes ist nämlich ein gegenläufiger Trend zu Kopftüchern am Arbeitsplatz zu beobachten. Dabei ist dies weniger auf staatliche Bildungseinrichtungen zu beziehen, als vielmehr auf andere Arbeitsverhältnisse. Bisher waren außerhalb von rein arbeitsschutztechnischen Gründen für Verbote im verarbeitenden Gewerbe, zumeist Berufe mit Kundenkontakt oder Kontakt zur Öffentlichkeit mit einem Kopftuchverbot belegt. Das AGG hat hier neue Urteile hervorgebracht. In Wien gibt es beispielsweise immer mehr Frauen, die mit Kopftüchern in Kinos oder den städtischen Verkehrsbetrieben arbeiten. Aber auch das wegweisende „Kopftuchurteil“ des Berliner Arbeitsgerichts hat hier viele Steine ins Rollen gebracht. Damals bekam eine junge Muslimin Recht, welche aufgrund ihres Kopftuches eine Ausbildungsstelle nicht bekam. Der Arbeitgeber musste eine finanzielle Entschädigung bezahlen.

Für eine emanzipatorische Gewerkschaftsarbeit ist die komplexe Thematik des Kopftuchs allemal eine Herausforderung. Ob das Kopftuch nun als Symbol von Unterdrückung oder positiver Identifikation und Selbstbewusstsein zu verorten ist, ist keine einfache Rechnung. Es ist daher eine zu diskutierende Streitfrage, ob der Kampf um religiöse Freiheit am Arbeitsplatz nicht letztlich auch ein Kampf der Lohnabhängigen um die Verbesserung ihrer Lebensumstände ist. Um die Prüfung des Einzelfalls wird man dennoch kaum herum kommen.

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