Zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass Michael Muhammad Knight seinen Roman „The Taqwacores“ erstmals veröffentlichte. Seither ist viel geschehen. Das Buch ist in mehreren Sprachen inklusive Deutsch erschienen, und 2010 kam sogar eine Verfilmung des Stoffs in die Kinos. Hinzu kommt die Filmdokumentation „Taqwacore – The Birth of Punk Islam“ von 2009 und eine unüberschaubare Zahl von Zeitungsartikeln, Fernsehberichten und was die moderne Medienwelt sonst noch so alles zu bieten hat. Von einem Hype zu sprechen wäre nicht übertrieben.
Anfangs waren auch zumindest einige der real existierenden muslimischen Punks durchaus begeistert von Knights Buch und von dem Echo, das es fand. Mit der Zeit jedoch wuchs die Kritik. Einige warfen Knight vor, er würde nur so viel Aufmerksamkeit bekommen, weil er ein weißer Konvertit sei, was sicherlich nicht falsch ist, aber auch nicht wirklich richtig oder zumindest nicht nur an ihm selbst liegt, sondern an der rassistischen Gesellschaft, in der wir leben. Vor allem aber zeigte sich in zunehmendem Maße, dass die Rezeption von Knights Buch und dem Phänomen, das es umgab, in weiten Teilen durchaus problematisch war.
Knight selbst widmete der Frage im September 2012 einen ganzen Beitrag auf seinem Blog beim Vice Magazine. Er berichtet darin von einer Lesereise durch Deutschland und davon, wie er jemandem begegnete, der sein Buch offenbar mochte und ihm wohlwollend gegenüberstand, gleichzeitig aber offensichtlich ein den Islam hassender Rassist war, der meinte, alle MuslimA seien AntisemitInnen, und überhaupt müsse der Islam „ent-arabisiert“ werden. Dass gerade in Deutschland jemand mit der Antisemitismuskeule um sich schlug, verwirrte ihn dabei noch zusätzlich. Anderswo sollte er für Fernsehaufnahmen unbedingt ein alkoholisches Getränk halten, und die Menschen vor Ort konnten oder wollten nicht glauben, dass er nicht trinkt. Immerhin hatte er in der Verfilmung seines Buches doch einen Gastauftritt als betrunkener Partygast.
Für viele scheint „The Taqwacores“ mit seinen saufenden, rauchenden, fickenden und blasphemischen MuslimA genau dem Bild zu entsprechen, das Menschen im Westen von guten, westlichen MuslimA haben. Für viele scheinen MuslimA gerade dann am besten zu sein, wenn sie genau so sind wie das imaginierte „wir“ und möglichst wenig wie MuslimA – ob dieses „wir“ nun völkisch definiert wird oder auf Basis der „westlichen Kultur“, ist dabei sekundär.
Taqwacore oder muslimischer Punk generell wird von Menschen im Westen oft fehlinterpretiert als eine Anpassung an den eigenen, als überlegen wahrgenommenen Lebensstil. Dass er sich in allererster Linie in abgrenzender Weise auf konservative muslimische Milieus bezieht und nicht auf die nicht-muslimische Gesamtgesellschaft, kommt vielen nicht in den Kopf – wahrscheinlich, weil sie sich nicht recht vorstellen können, dass sie und ihre westliche Gesellschaft nicht der Mittelpunkt des Universums sind, um den alles andere kreist.
Sie ignorieren dabei auch, dass „The Taqwacores“ ein tief spirituelles Buch ist. Sie sehen nur die Partys und den Sex. Dabei machen diese bestenfalls ein Drittel des Buches aus. Ein weiteres Drittel handelt von der Zerrissenheit junger Menschen, die irgendwo zwischen den oft konservativen, von Religion, Tradition und Patriarchat geprägten Vorstellungen ihrer Eltern und Großeltern einerseits und der sie als TerroristInnen und Fremde in rassistischer Weise ausgrenzenden Mehrheitsgesellschaft andererseits in der Luft hängen. Zumindest ein Drittel des Buches handelt jedoch auch von Religion und Spiritualität.
Knight entwirft dabei die Grundzüge eines reformierten Islams, in dem nicht nach Geschlechtern getrennt gebetet wird und in dem der Imam, der ohnehin im frühen Islam nicht in seiner heutigen Form existierte, durch eine Gottesunmittelbarkeit ersetzt wird. Bei Knight gibt es niemanden, der/die zwischen dem Individuum und Allah steht. Das ist den klügeren Gedanken Martin Luthers nicht ganz unähnlich. Vieles findet sich jedoch auch bereits in der jahrhundertealten Tradition der Sufis.
Auch wenn viele Menschen im Westen es nicht verstehen können oder wollen, spielt für Knight und seine ProtagonistInnen der Islam eine große, eine zentrale Rolle in ihrem Leben. Sie leben ihn nur völlig anders als es die meisten Mainstream-MuslimA tun. Genau das ist das eigentlich Rebellische an ihnen. Es ist dieser Wille, einen eigenen Weg zu Gott und mit Gott durch die Welt zu finden, der sie zu Punks macht. Die Musik und die Klamotten sind nur Nebensache.
Wer Religion grundsätzlich für das „Opium des Volkes“ hält und ablehnt, dürfte eigentlich auch an Taqwacore nichts Gutes finden können, außer vielleicht dem Gefühl, dass die Menschen da in dem Buch ihnen selbst ein Stück ähnlicher sind als diese seltsamen Verrückten da draußen mit ihren Burkas und Bärten. Wer jedoch anerkennt, dass religiöse Menschen und Gemeinschaften in den gesellschaftlichen Kämpfen durchaus auch schon das eine oder andere Mal auf der richtigeren Seite gestanden haben – wie etwa die Befreiungstheologie in Lateinamerika es tat – kann aus dem Buch vielleicht ein paar Anregungen ziehen, und sei es nur die Erkenntnis, dass es „die Muslime“ und „den Islam“ nicht gibt.
Knight selbst schreibt dazu, wir sollten uns statt mit fiktiven MuslimA in Büchern lieber mit den realen MuslimA bei uns vor der Tür befassen. Das ist vielleicht nicht ganz so einfach, aber dafür umso wichtiger.