Zwischen Krieg und Maloche

Ende Januar berichtete Pawlo Lysjanskyj, der stellvertretende Vorsitzende der Unabhängigen Bergarbeitergewerkschaft der Ukraine (NPGU) auf einer Veranstaltungsreise durch vier deutsche Städte über die soziale Situation der Bergarbeiter und ihre Auseinandersetzungen mit den verschiedenen politischen Kräften in der Ukraine. Pawlo stammt aus Swerdlowsk im östlichsten Oblast Luhansk und ist in vierter Generation Bergmann. Bereits im Alter von 15 Jahren fuhr er in den Schacht ein. Der folgende Text beruht auf seinen Ausführungen, die er auf der Veranstaltung am 27. Januar 2015 in München gemacht hat.

Kumpel der Gewerkschaft NPGU

Nach der Unabhängigkeit 1991 trennte sich ein kämpferischer Teil der ArbeiterInnen von den alten, noch aus sowjetischen Zeiten stammenden Gewerkschaften, die eigentlich nur noch mit dem Verteilen von Urlaubsreisen und Weihnachtsgeschenken an ihre Mitglieder beschäftigt waren. Es entstand mit der Konföderation der Freien Gewerkschaften der Ukraine (KWPU) ein neuer, unabhängiger Dachverband, der heute in neun Branchen (Metall, Bergbau, Gesundheitssektor, Bildungswesen, Eisenbahn/Verkehr, Tabakindustrie usw.) mit etwa 240.000 Mitgliedern vertreten ist. Zu einer der wichtigsten Kräfte innerhalb dieser Gewerkschaftskonföderation zählte von Anfang an die NPGU, die im Unabhängigkeitsprozess aus ersten Basisgruppen in diversen Zechen entstand.Waren die Bergleute des Donbass lange Zeit eine unersetzliche Stütze der ukrainischen (und vorher sowjetischen) Volkswirtschaft, die sich durch ihre widerständige Praxis einen Sechsstundentag und einen überdurchschnittlich hohen Lohn erkämpft hatten, so hat die neoliberale Politik der diversen Regierungen in Kiew den Bergbau in eine tiefe Krise gestürzt. Heute gibt es noch insgesamt 120.000 Bergarbeiter, wovon knapp die Hälfte in der NPGU organisiert ist. Bis auf zwei Bergwerke im Westen des Landes (Lwiw, Wolhynien) befinden sich alle Zechen in der Ostukraine. Bereits vor der aktuellen Krise verschleuderte die Regierung die rentablen Bergwerke an Rinat Achmetow, den reichsten Oligarchen der Ukraine. Für die in Staatseigentum verbliebenen und auf Subventionen angewiesenen Zechen fehlte bald das Geld. Schließungen und Kürzungen waren die Folge. Zur schwierigen sozialen Lage im Donbass trägt zudem die enorm hohe Inflation sowie die Streichung von öffentlichen Wohnzuschüssen bei. Als wäre dies nicht schon schlimm genug, leiden die Bergarbeiterfamilien nun auch noch unter Krieg und Separatismus. Von den heute noch 100 Bergwerken und Zechen liegen 65 auf separatistisch besetztem Gebiet und 35 auf dem von der Regierung kontrollierten Territorium.

Die von den Separatisten besetzten Gebiete

Obwohl einige Bergleute auf Seiten der Separatisten zur Waffe gegriffen haben, ist dies eine verschwindend kleine Minderheit. Die übergroße Mehrheit lehnt Krieg und Separatismus klar ab. Die separatistischen Autoritäten der selbsternannten „Volksrepubliken“ sorgen für keinerlei Hilfe und Unterstützung für die Zechen. Vielmehr unterbinden die separatistischen Kräfte jegliche eigenständige Protestaktionen der ArbeiterInnen, notfalls sogar mit Waffengewalt. Der selbsternannte Chef der Donezker Volksrepublik (DVR) hat bereits angedroht, gegen die Gewerkschaftsvielfalt in seinem Herrschaftsbereich vorzugehen und nur noch eine einheitliche und ihm genehme Gewerkschaft zuzulassen. Dies richtet sich ganz offensichtlich gegen die NPGU, die mit ihrer anti-separatistischen Einstellung den DVR-Verantwortlichen ein Dorn im Auge ist.

Doch die Bergleute haben noch ganz andere Sorgen. Einige Zechen stehen unter Wasser, andere sind durch Kriegsschäden irreparabel zerstört. Nur in den Achmetow-Zechen geht die Arbeit relativ geordnet weiter, und hier werden auch die Löhne weiter ausgezahlt. Doch die Separatisten haben die Arbeitszeit um zwei Stunden verlängert, die Urlaubstage von ehemals 58 auf nun 28 Tage reduziert und private Renten abgeschafft. Bereits vor einiger Zeit begonnene Verhandlungen mit der NPGU und anderen unabhängigen ArbeitervertreterInnen haben die separatistischen Autoritäten wieder ausgesetzt. Die Bergleute und ihre Gewerkschaft NPGU sehen sich unklaren Machtverhältnissen gegenüber, da einzelne Warlords mittlerweile gegeneinander kämpfen und es sogar zu Erschießungen von örtlichen Kommandeuren kam. Die Bergleute im separatistisch besetzten Gebiet können längst nicht mehr legal protestieren, und auch der Verhandlungsweg ist blockiert. Ein einzelnes Menschenleben ist in der Ostukraine zurzeit nicht mehr viel wert.

Die Regierungsgebiete

Die NPGU hat Kontakte auf beiden Seiten der umkämpften Gebiete. Obwohl in den von der Regierung kontrollierten Territorien klare Zuständigkeiten das Handeln der Bergleute merklich erleichtern, kritisieren sie dennoch die antisoziale Politik Kiews. So hat die Regierung die Durchlässigkeit zwischen den Gebieten eingeschränkt und Einfuhrkontrollen eingeführt. Die staatlichen Bergwerke erhalten keine Subventionen mehr und sind von Schließung bedroht; eine junge Bergarbeitergeneration wird ohne Perspektive allein gelassen. Dies gleicht einem Spiel mit dem Feuer, da die Kumpel jederzeit zu den Waffen greifen könnten. In dieser schwierigen Situation muss die NPGU gegen die Pläne aus Kiew kämpfen, alle in Staatsbesitz befindlichen Bergwerke zu schließen. Ein dementsprechender Beschluss des Parlaments von Mai 2014 konnte jedoch wegen der Protestaktionen der Bergleute bis heute nicht umgesetzt werden. Eine weitere Forderung der Kumpel verlangt die Auszahlung der Löhne, auch für die ArbeiterInnen in den separatistischen Gebieten. Die NPGU weist immer wieder auf die gute Qualität der Kohle im Donbass hin und verlangt daher die Fortführung sowie die Modernisierung der Zechen. Doch die gegenwärtige Regierung in Kiew kauft lieber Kohle im Ausland (Südafrika und Russland!), da sie diese für Wärmekraftwerke, die Stahlproduktion und den Verbrauch in Privathaushalten dringend benötigt.

Andererseits hat die ehemalige Janukowytsch-Regierung die Filetstücke der staatlichen Bergwerke für 49 Jahre an Achmetow verpachtet, womit dieser zum Hauptstromlieferanten in der Ukraine aufgestiegen ist. Auffallend ist, dass die Achmetow-Betriebe nicht nur durch Entlassungen und Rationalisierung geprägt, sondern die einzigen Zechen sind, die im separatistischen Gebiet weiterhin ungehindert arbeiten… Zwar gilt in den staatlichen Bergwerken – im Gegensatz zu den Achmetow-Zechen – nach wie vor der gesetzliche Sechsstundentag, aber die unrentablen Zechen stehen unmittelbar vor dem Aus.

Forderungen der Bergleute

Wie bisher vielleicht deutlich wurde, hat der Separatismus in der Ostukraine keine proletarische Basis. Seine bewaffneten Kräfte setzen sich aus prorussischen NationalistInnen, aus über die Grenze einsickernden Nazis, russischen Geheimdienst- und Militärangehörigen sowie aus Bodyguards der lokalen Oligarchen zusammen. Leidtragende der Gefechte ist die örtliche Bevölkerung, die dementsprechend kriegsmüde ist. Die in der Konföderation der Freien Gewerkschaften der Ukraine organisierten ArbeiterInnen und somit auch die Bergleute des Donbass wollen die sofortige Beendigung des Bürgerkrieges und fordern daher ernsthafte Friedensverhandlungen anstatt eines wie auch immer gearteten „Sieges“. Sie stehen klipp und klar zur Einheit und Unabhängigkeit der Ukraine. Die NPGU weist unaufhörlich darauf hin, dass jeder Kriegstag die Spaltung des Landes nur vertieft.

Neben antimilitaristischen Protesten führen die Bergleute auch den Widerstand gegen die antisoziale Politik der Kiewer Regierung fort. Sie kämpfen weiterhin gegen die Schließung der Zechen und die Fortsetzung der Subventionen, für das Ausgleichen der Lohnrückstände und den Verzicht auf Lohnkürzungen sowie gegen ein Gesetz, das die Erwerbsunfähigkeitsrente abschaffen soll. Ganz allgemein fordert die NPGU eine demokratische Mitbestimmung der Gewerkschaften bei Fragen, die den ukrainischen Bergbau betreffen.

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