Vor ca. 20 Jahren hat sich ein findiger Student in seiner Abschlussarbeit der Frage nach der Beitrittsmotivation von Gewerkschaftsmitgliedern gestellt. Er hatte die Beitrittsmotivation von Mitgliedern der IG Metall und der anarchosyndikalistischen FAU verglichen. Das Ergebnis war vorhersehbar: IGM-Mitglieder sind aus Interessensgründen Mitglied geworden, wegen dem Tarifvertrag, dem Rechtsschutz etc. Die Mitglieder der FAU – jenerzeit dreistellig – gaben fast durch die Bank ideelle Gründe für die Mitgliedschaft an.
Vermutlich würde, wenn man diese Befragung heute durchführen würde, ein ganz ähnliches Ergebnis herauskommen – aber aus einem anderen Grund: Weil diejenigen, die einer solchen Organisation aus ideellen Gründen beitreten, eher bereit sind, solche Fragebögen zu beantworten. Das ist Teil des Problems, das ich im Folgenden umreißen möchte und das ein strukturelles Problem syndikalistischer Gewerkschaften wie der FAU oder der IWW ist.
Pragmatische Basis, ideologischer Kopfbau?
Erst mal ist festzustellen, dass sich die FAU, wenn auch immer noch zu klein für einen gewerkschaftlichen (d.h. mit Machtressourcen der Lohnabhängigen arbeitenden) Anspruch, beachtlich vergrößert hat. Und angesichts der entfalteten Aktivitäten der 2000er und 2010er Jahre – der Arbeitskonflikt beim Kino Babylon in Berlin und in der Leipziger Kneipe Trotzdem, der beachtliche Organizing-Erfolg bei den plattformbasierten Lieferservices sowie die migrantisch geprägten Kämpfe bei der Mall of Berlin und der kürzlich auch mit juristischem Erfolg gesegnete Kampf bei Spargel Ritter in Bornheim bei Bonn – liegt die These nahe, dass dieses Wachstum in keinster Weise mit dem inhaltlichen-ideellen Anspruch „Anarchosyndikalismus“ zusammenhängt, sondern damit, dass der Finger oft in der richtigen Wunde des Kapitalismus pult. Die Einschätzung „Diese Organisation kann etwas für mich tun“ wird realistischer. Ebenso reizt dies natürlich ein durchaus ideell motiviertes, aber nicht dermaßen ideologisch aufgeladenes Milieu unter dem Aspekt „Mit denen kann ich was tun“, ein Milieu also, das moralisch motiviert ist, auf Seiten der Ausgebeuteten zu kämpfen, ohne aber deswegen eine Prinzipienerklärung, ein politisches oder apolitisches Programm oder einen utopischen Ansatz unbedingt hundertprozentig zu teilen. Manchmal wird exakt das allerdings auch zum Problem, wenn sich aufgrund des Führens migrantischer Klassenkämpfe ‚woke‘ Identitätslinke der Klassenkampforganisation anschließen.
Natürlich wecken eben diese Erfolge das Interesse der Gewerkschaften des DGB: Die FAU mag klein sein und unter dem Gesichtspunkt gewerkschaftlicher Effektivität viele Nachteile haben, aber sie hat auch dezidierte Vorteile: Das durchschnittliche einfache Mitglied der FAU hat aufgrund des Selbstaktivierungs-Anspruchs des Syndikalismus in Sachen Arbeitsrecht und Organizing deutlich mehr auf dem Kasten als das durchschnittliche Mitglied einer DGB-Gewerkschaft. Und exakt das macht, zumal in Kombination mit abnehmender idealistischer Bindung, Mitglieder der syndikalistischen Gewerkschaften zu einem Feld der Mitarbeiterakkreditierung des DGB – ein Indiz für die Professionalisierung im syndikalistischen Spektrum.
Das wiederum ließe sich von zwei Seiten betrachten und wir finden diese beiden Seiten in der potentiellen Spaltung zwischen idealistischen (oft Alt-)Mitgliedern der FAU, die dadurch Verrat, Unterwanderung, Aufweichung von Prinzipien wittern, und pragmatischen Mitgliedern (mit oft kürzerer Mitgliedschaft), die eine Chance sehen, radikalere Inhalte und kämpferischere Methoden in die Gewerkschaften des DGB hineinzutragen oder auch nur für die Praxis der FAU zu lernen – auf die eine oder andere Art und Weise also Synergieeffekte zu schaffen. Konflikte zwischen einer älteren Generation von ideell orientierten Anarchosyndikalist*innen und einer jüngeren Generation pragmatisch orientierter Syndikalist*innen sind vorprogrammiert. Dazu kommt: Allein schon aufgrund ihrer langjährigen Mitgliedschaft und dem damit einhergehenden Einblick in die (bisherige) Funktionsweise der Organisation haben erstere Machtpositionen – formelle wie informelle – inne (Anwesende eingeschlossen).
Zweierlei Organizing?
Wie ist die Kritik an einem (teils beruflichen) Engagement in oder mit den Gewerkschaften des DGB begründet? Ein Blick in einen Beitrag aus der Direkten Aktion,[1]Organizing – Mehr als eine Strategie zur Mitgliedergewinnung? ist aufschlussreich: Dieser Beitrag beginnt mit dem „Vorwurf“, dass die Gewerkschaften des DGB Organizing lediglich zur Mitgliedergewinnung nutzen würden, dass diese vor allem als Beitragszahler gewünscht seien, um die Posten der bezahlten Funktionäre zu erhalten.
Eine solche „Kritik“ müsste eigentlich für jede*n der/die den Anspruch der FAU, eine „Basisgewerkschaft“ zu sein, ernst nimmt, nahezu verstörend sein. Für jede – und ich betone: wirklich jede – Gewerkschaft muss es darum gehen, neue Mitglieder zu gewinnen. Das ist der Kern des Begriffs „Organisieren“ und es ist auch ein Kern jeglicher Gewerkschaftsarbeit, egal ob sie sich „sozialpartnerschaftlich“ oder „klassenkämpferisch“, „reformistisch“ oder „revolutionär“, als „Einheitsgewerkschaft“ oder als „Richtungsgewerkschaft“ versteht. Dabei geht es im Organizing – beim DGB nicht anders als bei FAU oder IWW – darum, aktive Mitglieder zu gewinnen. Das mag nicht jedem Gewerkschaftsfunktionär oder Betriebsrat bewusst oder lieb sein, relevant ist aber: darum geht es jenen, die die Organizing-Projekte initiieren ebenso wie jenen, die sie durchführen, den Organizer*innen selbst. Eine aktive Mitgliedschaft, die fähig ist, in den Betrieben ein wenig Rumms zu machen, gehört zur Grundidee: die Mitglieder sollen sich zugehörig fühlen, indem sie selbst tätig sind. Mitglieder „werben“ ist also nie Selbstzweck, ebenso wenig wie volle Gewerkschaftskassen, sondern es geht um die Herstellung von Handlungsmacht, konkret: um Kampffähigkeit, und noch konkreter: um Streikfähigkeit – eine Fähigkeit, die die FAU und die IWW nach wie vor trotz vorzuweisender Erfolge nicht hat.
Im Folgenden seines Beitrags arbeitet der Autor mit einigen krassen Unterstellungen: Organizing-Projekte des DGB würden etwa an der „Spitze“ entschieden. Sicher, in den Hierarchien der DGB-Gewerkschaften entscheidet letztlich eine (demokratisch gewählte, aber eben nicht imperativ mandatierte) „Spitze“, aber: diese Projekte werden nicht an der Spitze konzipiert. Das können sie auch gar nicht, denn Organizing-Projekte sind nur dann durchführbar und nachhaltig, wenn sie bei den Beteiligten auf Zustimmung stoßen (an mangelnder Zustimmung scheitern auch Organizing-Prozesse in der FAU[2]In Gesprächen mit einem für die IG Metall arbeitenden Kollegen stoßen wir beide immer wieder auf erstaunliche strukturelle Parallelen zwischen der FAU und der IG Metall.). Desweiteren kritisiert der Autor das strategische Vorgehen: Auswahl der Betriebe, Recherche, Mapping. Wenn das eine Kritik sein soll und ein Argument dafür, dass ein solches Organizing „sicher keine Option für anarchosyndikalistische Organisationen“ sei, dann ist das schlicht die Verweigerung von Strategie, und wer Strategie verweigert, sollte nicht versuchen, irgendeine Art von Organisation aufzubauen – eine Gewerkschaft schon gar nicht…
Man gewinnt angesichts solcher „Kritik“ manchmal den Eindruck, dass einigen Anarchosyndikalist*innen das Klein-Klein des betrieblichen Alltags zu blöd ist, weil man gerade um das „große Ganze“ kämpft. Das verrät einen romantisierenden Blick auf die Geschichte des Anarchosyndikalismus, deren Akteur*innen durch die schwarz-rote Brille betrachtet immer bewaffnet gegen den Faschismus kämpften oder auf dem Sprung zum revolutionären Generalstreik waren.[3]So etwa immer wieder in den Publikationen des Bremer „Instituts für Syndikalismusforschung“. Das hat wenig mit dem Alltag echter Arbeiter*innen heute (wie auch damals) zu tun. Arbeiter*innen sind nicht blöd und schlussfolgern richtig: Wer es nicht auf die Kette bekommt, mich im Alltag zu unterstützen, der bekommt auch keine Revolution hin. Oder aber es bestehen berechtigte Zweifel daran, dass eine solche Revolution, die den Alltag ignoriert, im Sinne einer arbeitenden Klasse sein würde.
Wenn der Autor aufgrund solcher und ähnlicher Argumente letztlich konstatiert, dass diese Art von Organizing nichts für Anarchosyndikalist*innen sei, dann vergisst er ein Wesentliches: Es geht überhaupt nicht darum, etwas zu übernehmen, das die Gewerkschaften des DGB vorgeben. Im Gegenteil, mit der Etablierung von Organizing haben die DGB-Gewerkschaften ebenso wie die US-amerikanischen Gewerkschaften tief in die syndikalistische Werkzeugkiste gegriffen. Organizing – und zwar nicht eine andere Version des Organizing, sondern exakt das Organizing, wie es die Gewerkschaften des DGB anwenden – ist eine Methode aus dem historischen Werkzeugkoffer des Syndikalismus, verbunden mit syndikalistischen Vorkämpfern wie Joe Hill, William Foster und vielen anderen.
Das alles heißt nicht, dass es an Organizing-Konzepten nichts zu kritisieren gäbe. Aber der Beitrag in der Direkten Aktion kritisiert um der Kritik Willen, er will mit aller Gewalt etwas Negatives über die Gewerkschaften des DGB aussagen. Einen Punkt, der durchaus problematisch ist, benennt der Autor etwas verklausuliert: Die Gewerkschaften des DGB senden in der Regel – aus Finanzgründen zeitlich begrenzt – externe Organizer*innen in die Betriebe. Sehr oft sind es sogar Akademiker*innen, die die Arbeiter*innen organisieren sollen. Das ist in der Tat explizit un-syndikalistisch, nichtsdestoweniger auch in der heutigen syndikalistischen Praxis kaum anders. Denn das, was die französische Tradition „Ouvrierismus“ nennt – nur Arbeiter*innen können für Arbeiter*innen sprechen – ist ganz expliziter Bestandteil des Syndikalismus. Und tatsächlich wurde der Syndikalismus immer dann verfremdet, wenn Intellektuelle für ihn sprechen wollten (Georges Sorel oder Robert Michels, die von ihren eigenen Theorien ausgehend im Faschismus oder dessen Nähe landeten, aber auch Gustav Landauer oder Erich Mühsam, die den originären Syndikalismus mit Glaubenssätzen des Anarchismus vermischten).
Wir können es auch ganz klassisch anarchistisch ausdrücken: Wenn ich die Welt verändern will, muss ich die Menschen suchen, die auch dazu bereit sind, das Mittel muss dem Zweck entsprechen. In Organizing-Deutsch: Aktion vor Funktion.
Möchte man den Gewerkschaften des DGB in Sachen Organizing etwas vorwerfen, so liegen Kritikpunkte durchaus offen vor uns: Tatsächlich ist das die Frage der Arbeitsbedingungen von Organizer*innen. Seien es schlechte Löhne oder Outsourcing, wie das eine früher und das andere heute bei ver.di üblich ist – ver.di etwa sourct an die Firma Organiz.ing aus, die nebenbei auch eine eigene politische Agenda transportiert; seien es überlange Arbeitszeiten: ein Vertreter der Schweizer UNIA äußerte vor einigen Jahren, dass es normal sei, Organizer zu verheizen, dass das sogar so sein müsse. Tatsächlich kann man auch in Frage stellen, wie offen die Ergebnisse des gewerkschaftlichen Organizing denn eigentlich sind: Am Ende steht immer ein Tarifvertrag oder die Gründung eines Betriebsrats. Insbesondere vor Tarifrunden ließe sich auch in Frage stellen, ob das gewerkschaftliche Organizing denn überhaupt mehr ist als eine kurzfristige Mobilisierungskampagne – eine Kritik, die die US-amerikanische Organizerin Jane McAlevey sehr hervorhebt und die genauso aus syndikalistischer Warte formuliert sein könnte.[4]Immer wieder nachzulesen auf dem empfehlenswerten US-amerikanischen Blog organizing.work!
Und wie raus aus der Misere?
Eine Organisation mit transformativem Anspruch – eine gewerkschaftliche zumal – kann es sich nicht erlauben, auf Wachstum zu verzichten. Die FAU steht mit ihrem Wachstum des vergangenen Jahrzehnts durchaus wieder vor der bereits in der Weimarer Republik aufgeworfenen Frage „Sekte oder Kampforganisation?“[5]Die historische Debatte ist dokumentiert in: barrikade. Streitschrift für Anarchosyndikalismus, Unionismus und revolutionären Syndikalismus. Nr. 2/2010. Wollen wir linientreu oder erfolgreich sein? Beides gleichzeitig geht tatsächlich nicht. Es gibt viele pragmatische Gründe, das starre Gewerkschaftsverständnis des bisherigen Anarchosyndikalismus aufzubrechen. Ich habe einige davon an anderer Stelle ausgeführt und möchte diese nicht im Detail wiederholen.[6]Bewernitz, Torsten: Syndikalismus und neue Klassenpolitik. Berlin 2019. Zu betonen ist aber, dass diese „Gegnerschaft“ oftmals nicht vom DGB ausgeht, sondern von der FAU – dieser Eindruck verstärkt sich bei mir mehr und mehr, und zwar in Gesprächen mit aktiven Basismitgliedern von DGB-Gewerkschaften, nicht in Gesprächen mit Funktionären. Und ja, das Misstrauen vieler Mitglieder der FAU gegen die Gewerkschaften des DGB beruht auf Frust und Enttäuschung in realen Arbeitskämpfen. Aber diese – ebenfalls eher pragmatisch orientierten – Kolleg*innen sind es zumeist nicht, die die lauteste Kritik äußern. Eher beruht diese auf Büchern, die vor einem Jahrhundert oder mehr geschrieben wurden.
Es ließen sich ebenso viele Gegenbeispiele finden. Die IG Metall Jena etwa arbeitet seit einigen Jahren eng mit dem lokalen Frauen*streik-Bündnis zusammen und damit automatisch auch mit dem lokalen Syndikat der FAU.[7]Siehe Wolf, Yanira: „Unterschiedliche Kontexte. Yanira Wolf im Gespräch mit dem Bündnis Frauen*streik Jena. In. Express 2021. S. 6f. Der Jenaer IGM-Bevollmächtigte Christoph Ellinghaus äußerte entsprechend an anderer Stelle „Meine Erwartung ist, dass sich eine außerparlamentarische, außerinstitutionelle, auch außergewerkschaftliche Linke wieder stärker sozialen Fragen zuwendet, […] auch mit Kritik und Anforderungen an die IGM, aber auch, indem mal wieder eine betriebliche Brille aufgesetzt wird“[8]Ellinghaus, Christoph und Franziska Wolf: Ende der Bescheidenheit? Christoph Ellinghaus und Franziska Wolf über Tendenzen der Gewerkschaftsarbeit in Ostdeutschland. In: express 8-9/2020. S. 12f. und straft damit alle Lügen, die immer wieder äußern, eine Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften des DGB sei nicht möglich.
Das heißt nun nicht, sich kritiklos an die deutschen Einheitsgewerkschaften anzubiedern, es gibt Zwischenwege. Der von mir geäußerte Vorschlag ist dabei nicht der einzige, zu erwähnen wäre der Entwurf Holger Marcks‘.[9]Marcks, Holger: Skizze eines konstruktiven Sozialismus. Teil 1 bis 3 (Teil 4 harrt der Veröffentlichung) auf direkteaktion.org Karl Heinz Roth hat erst kürzlich anlässlich der Diskussion um die „Mall of Shame“ eine ähnliche Strategie vorgeschlagen: „Wenn wir hier über die Organisationsfrage sprechen, dann wäre es wünschenswert, wenn die FAU ihre alte syndikalistische Tradition ein Stück weit aufbricht und zu neuen Ufern strebt. […] [I]ch denke, es ist nicht sinnvoll, das ganze durch formelle Mitgliedschaften usw. so abzukapseln, dass sich eine unnötige Distanz zu den flüssigen Prozessen im Proletariat entwickelt. […] Ich denke, wir müssen auf der einen Seite eine lokale Form von Selbstorganisation, nicht hierarchisch, offen, ohne Dogmatismus, ohne Ideologie und mit gleichberechtigten Beziehungen zwischen den Geschlechtern starten, die klassenkämpferisch orientiert ist, und dann eine Basisstruktur aufbauen, um bei allen lokalen Konflikten präsent zu sein.“[10]Roth, Karl Heinz: Roth, Karl Heinz (2020): Die Leute ernst nehmen, die es wagen, in den Konflikt zu gehen. In: Hendrik Lackus/ Olga Schell: Mall of Shame. Kampf um Würde und Lohn. Rückblicke, Hintergründe und Ausblicke, S. 128-142. Hier: S. 137f.
Das ist der zentrale Punkt von transformativem oder linkem Organizing. Wie die Zukunft syndikalistischer Organisationen aussieht, kann nur in einem basisdemokratischen und durch die Praxis angeleiteten Prozess entschieden werden. Das ist eben kein als Konsens verkleidetes Veto-Recht einer ideologischen „alten Garde“. Der Syndikalismus ist nur deswegen bis heute nicht ausgestorben, weil er immer eine „Philosophie der Tat“ war, und das heißt vor allem, sich strategisch gesellschaftlichen Veränderungen permanent anzupassen. Was Syndikalismus letztlich ist, steht nicht in historischen Büchern von irgendwelchen Theoretiker*innen, sondern das entscheiden die Arbeiter*innen in den Fabriken, Lagerhallen und Großraumbüros – und auch in der Reproduktionsarbeit zu Hause und auf der Straße.
* Torsten Bewernitz ist Redakteur beim express. Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, bekennender Syndikalist in ver.di und zweifelnder Syndikalist in der FAU.
gut, dass du auf Roth’s bedenkenswerte Einwürfe hinweist – das fehlte in den meisten Rezensionen vom Buch über die Mall.
Deine Parteinahme für die jüngeren Jahrgänge, zum Teil biedere Pragmatiker und Techniker, geht wie bei Marcks gegen die Theorie und Ideen – scheinbar Sand im Getriebe. Du verkennst ihre Bedeutung und nimmst die Denkfeindlichkeit der Majorität zum Maßstab. und es stimmt: ihre Weiterentwicklung tut sicherlich not. Wohin hat denn die Anpassung der Gewerkschaften, das verfolgen des simplen Interesses, welches so erfolgversprechend sein soll, in den Letzten hundert Jahren geführt? Zur Integration der Arbeiterbewegung in die Gesellschaft, in den Organisationsfetischismus, zum Fallenlassen aller weitergehenden Ziele und nicht zur Befreiung – und um die geht es und sie folgt nicht aus dem nackten Interesse an mehr Lohn oder Urlaub.
Ich finde es äußerst fragwürdig, warum du dich hier an einem fünf Jahre alten Artikel so abgearbeitet hast. Daneben finde ich es tendenziös, dass du der FAU eine generelle Streikunfähig unterstellst, obwohl die Gewerkschaft in den letzten Jahren in Kleinbetrieben durchaus Streiks organisiert oder unterstützt hat, bspw. Trotzdem, Oscar Wilde, NDC, TVStud, diverse Betriebe am 8. März… Selbiges gilt für das Bild was du vom Organizing in der FAU malst, denn viele Syndikate leisten Organizing und bilden weiter, auch wenn sie auch sehr an der Theorie-Vermittlung dran sind – nicht selten kommt beides von den selben Personen-Kreisen. Sehr unverständlich finde ich, warum du gerade so einen Artikel für die Contraste eingereicht hast, wo den Leser_innen der 5 Jahre alte Artikel nicht mal vorlag und es um eine generelle Vorstellung der Arbeitsweise ging.
Darüber hinaus einige Anmerkungen:
* der Streik in der Kneipe „Trotzdem“ war in Dresden, nicht in Leipzig
* aus erfolgreichen Arbeitskämpfen zu schließen, dass ein Wachstum der Gewerkschaft höchstwahrscheinlich „in keinster Weise“ mit dem inhaltlichen Anspruch der Gewerkschaft zusammen hängt ist mehr als fraglich. Mensch könnte sich der These annähern, wenn mensch untersucht in wie weit die Träger_innen von Arbeitskämpfen auch inhaltliche Weiterbildungen ausgestalten oder besuchen. In jedem Fall ist die These hier einfach ohne tiefgreifendere Argumentation in den Raum gestellt, weil sie die Bauchmeinung des Autors stützt.
Beim DGB-Organizing legst du den Finger dabei an der richtigen Stelle auf die Wunde.
Was deine Lösungsvorschläge angeht, habe ich meine Enttäuschung über die ideenlose Kapitulation schon an anderer Stelle geäußert, auch Holger Marcks versuche sich wortreich Posten in der Organisation zu erquängeln überzeugten mich argumentativ wenig – auch wenn ich in der Darstellung der Probleme bei ihm war.
Zustimmen möchte ich dir in dem Punkt: „Wie die Zukunft syndikalistischer Organisationen aussieht, kann nur in einem basisdemokratischen und durch die Praxis angeleiteten Prozess entschieden werden.“ – und da bin ich guter Dinge, denn ich sehe im Osten eine Menge Leute die bereits Auseinandersetzungen in den Betrieben hatten, die versuchen eine antikapitalistische wie alltägliche Gewerkschaftsalternative zu finden und die wissen was sie an einer verbindlichen, sich als Gewerkschaft verstehenden FAU haben. Insofern denke ich, dass sich die Argumentation für ein Aufgehen im DGB frustrierter Altmitglieder in niedergehenden Syndikaten durch eine neue Generation und frische, gut organisierte und ambitionierte Syndikate erledigen wird.
Hi, die Kneipe trotzdem ist nicht in Leipzig, sondern in Dresden.