Der 2018er TVStud-Streik aus Sicht der FAU Berlin

Der Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TV Stud) regelt die Arbeitsbedingungen der ca. 8.000 studentischen Hilfskräfte, die berlinweit an Hochschulen arbeiten. Er wurde in den 1980ern durch mehrwöchige Streiks erkämpft und stellt in der BRD den einzigen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte dar. Doch er ist nicht gut gealtert: Von 2001 bis 2018 gab es keine Lohnerhöhungen und 2003 wurde die Jahressonderzahlung gestrichen. Unter Berücksichtigung der steigenden Mieten und Lebenserhaltungskosten bedeutet das einen Reallohnverfall von mindestens 30 Prozent.

2015 startete der jüngste Versuch, den TV Stud zu erneuern. Nach einer Organizing-Kampagne startete eine unter verdi- und GEW-Mitgliedern gewählte Tarifkommission 2017 Sondierungsgespräche und ging in fünf Verhandlungsrunden, die gegen Ende des Jahres angesichts sich verschlechternder Ergebnisse als gescheitert anerkannt wurden. Zu diesem Zeitpunkt war in Verhandlungen bereits der Großteil der Forderungen kampflos aufgegeben worden.

Erst im Januar 2018 begannen erste Warnstreiks. Der Tarifkonflikt wurde nach mehrjähriger Kampagnenarbeit, neun Verhandlungsrunden, dutzenden Protestaktionen und 40 Streiktagen im Juli 2018 durch eine 2/3-Mehrheit bei einer Mitgliederbefragung beendet. Der neue TV Stud sieht zwar wesentliche Verbesserungen vor. Das Ergebnis bleibt jedoch hinter allen der 14 Forderungen der Kampagne zurück. Aktive der FAU Berlin begleiteten die Kampagne von Beginn an solidarisch und trugen maßgeblich zu ihrem Aufbau sowie der ungewöhnlich hohen Basisbeteiligung und überdurchschnittlichen Skepsis gegenüber sozialpartnerschaftlichen Strategien im Vergleich zu gewöhnlichen DGB-geführten Kampagnen bei.

Im Folgenden berichten uns Beteiligte aus der FAU von ihrer Erfahrung in der gewerkschaftlichen Zusammenarbeit:

Welche Herausforderungen würdet ihr bei TV Stud hervorheben?

Erstens: Anders als der Vorgänger-Tarifvertrag „TV Stud II“, der 1986 durch wilde Streiks studentisch Beschäftigter (SHKs) in Berlin angestoßen wurde, waren diesmal Stellvertretergewerkschaften die Initiator*innen. Über relevante Informationen, Finanzen und Entscheidungen konnten wir so nur vermittelt verfügen.

Zweitens: SHKs arbeiten relativ prekär, haben aber oft kein (Problem-)Bewusstsein davon. Wir sehen unsere Tätigkeit häufig als bloß kurzfristigen Nebenjob oder als Bildungschance. Hoher Durchlauf, räumliche Zerstreuung und persönliche Abhängigkeitsverhältnisse an Hochschulen erschweren die (Selbst-)Organisierung.

Inwiefern war TV Stud eine Stellvertretungskampagne?

Durch die Initiative von GEW und ver.di war der Rahmen als Stellvertreterkampagne gesetzt. Es gab eine gewählte Tarifkommission, welche – einmal gewählt – eigenmächtig Entscheidungen über Verhandlungen und Streiks treffen konnte. Streiktage mussten zusätzlich von den Vorstandsgremien der Gewerkschaften abgenickt werden, was mehrmals ein harter Kampf war. Zugleich wurden aber Organizing-Methoden genutzt, wie wir sie aus der FAU-Betriebsarbeit kennen. (Siehe dazu auch DA 05/2016, „Organizing“.) Organizing wird dabei seines politischen Gehalts entkleidet: Es geht nicht um Selbstorganisierung mit den vorrangigen Zielen, Klassenbewusstsein zu schaffen und beim Empowerment zu unterstützen, sondern erstmal um Mitgliedergewinnung.

Dementsprechend fand bei TV Stud keine Selbstorganisierung im eigentlichen Sinne statt, sondern Gewerkschaftssekretär*innen wirkten mit einem kleineren „Aktivenkreis“ in die Belegschaft hinein. Wissens- und Entscheidungshierarchien waren so, wenn auch nicht völlig undurchlässig, gegeben.

Wie seht ihr die Beteiligung der FAU im Nachhinein?

Wir haben Selbstorganisierungsansätze gegen die Stellvertretungsansprüche von ver.di und GEW gestärkt und so Konflikte zwischen Selbst-/Mitbestimmung und Stellvertretung offengelegt. Dies praktisch zu erfahren, hat auch einige SHKs von FAU-Ansätzen überzeugt. Relevantes Wissen dafür haben wir durch Ämter in Stellvertretungsgremien erlangt. Gleichzeitig band die Stellvertretungsarbeit viele Kapazitäten zum Beispiel in Verhandlungen anstatt in Selbstorganisierung. Die offene Frage ist: Gibt es eine gute Balance?

Und was würdet ihr anderen FAU’ista gerne für die Zukunft mitgeben?

Es braucht regelmäßig genug Raum zur Bewertung der eigenen (FAU-)Strategie in einer solchen Kampagne von Stellvertretergewerkschaften. Sonst laufen wir Gefahr, durch Organizing bloß zu deren Mitgliedergewinnung beizutragen. Sie werden mit ihrem von oben gesteuerten Organizing-Ansatz wahrscheinlich kurzfristig Erfolge haben (bspw. mit TV Stud in anderen Bundesländern), aber nachhaltig ist das nicht (DA 2016). Echte Selbstorganisierung braucht ihre Zeit, trägt aber entsprechende Früchte!

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