Zwischenspiel mit rätekommunistischem Alien

Nach sieben Monaten im Lieferland komme ich zum Gewerkschaftslokal zurück. Ich bin müde von den überzogenen Erwartungen meines Salting-Abenteuers, das letztlich ins revolutionäre Nirgendwo geführt hat. Finde den Schlüssel zum Lokal nicht gleich in meiner Hosentasche, als mir eine Gestalt auffällt, die an der großen Fensterscheibe zur Straße hin lehnt. Sie hebt die Hand langsam zum Gruß. “Äh, ja?”, mache ich. “Das Lokal hat grade zu! Du kannst dich aber an die Beratungsadresse wenden, wenn du ein Problem hast.” Die Gestalt stößt sich unmerklich von der Wand ab und kommt näher. Um die Zeit ist hier niemand mehr unterwegs, die umliegenden Fenster wie immer dunkel bis auf das blaue Flackern der HD-Bildschirme. Wir sind alleine und wie es mir scheint, als ich nun in sein Gesicht schaue, ähnlich unglücklich.

“Ich habe den ersten Teil deiner Artikelserie gelesen: Salting-Tourist:innen”, sagt er mit einer irgendwie ziemlich halligen und papierdünnen Stimme. “Aha”, sage ich, weil mir grade nix anderes einfällt. Außerdem irritiert mich, dass seine Augen hellblau zu funkeln beginnen. “Aber, so mag gefragt werden”, hebt er ziemlich laut an, obwohl ich gar nichts gesagt habe, woran man mit einem “aber” anschließen könnte, “warum schließt ihr euch immer noch in radikalen Gruppen zusammen, wenn ihr doch um die Sinnlosigkeit der Handlung wisst?” Er greift meinen Jackenärmel. Ich versuche mich etwas kraftlos aus seinem Griff los zu machen und zeige mit der freien Hand auf die schwarz-rote Leuchtreklame überm Lokal. “Also”, sage ich – aber er ruft ungerührt weiter:

“Die Antwort besteht einfach darin, dass die Handlung ein persönliches Bedürfnis befriedigt. Es ist unvermeidlich, dass Menschen, die das Gefühl der Rebellion gegen eine auf Ausbeutung und Krieg gegründete Gesellschaft teilen, in der Gesellschaft nach ihresgleichen suchen und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Waffen kämpfen. Unfähig, zusammen mit dem Rest der Bevölkerung gegen das System zu rebellieren, werden sie sich ihm alleine entgegenstellen.” Er rüttelt an meinem Ärmel und sieht dabei tatsächlich gar nicht mal sooo durchgeknallt aus. “Die Tatsache, dass sie sich an einer solchen Handlung beteiligen, wie sinnlos sie auch immer erscheinen mag, stellt die Grundlage für die Voraussage dar, dass auch die großen Massen sich aus derselben Dringlichkeit heraus zusammenschließen werden und auch alle ihnen zur Verfügung stehenden Waffen nutzen werden, sobald sie sich in ähnlicher Weise berührt fühlen und auf die Zwänge einer objektiv revolutionären Situation reagieren!”

“Hm ja, danke fürs Mutmachen oder so”, sage ich, “also, wenn du meinen Artikel gelesen hast, dann weißt du ja, dass ich versuche, dem außerirdischen Aktivismus in den radikalen Gruppen irgendwie trotzdem was in diesen Zeiten der Schwäche abzugewinnen. Ich glaube nicht, dass der per se so sinnlos sein muss, wie du pessimistisch behauptest.” Als er das hört, schaut er mitfühlend zu mir hinauf und rückt noch ein Stückchen näher. Sein Atem transportiert kalten Kaffe in mein Gesicht. “Sam Moss ist der Name!” Er streckt mir nicht seine Hand hin oder sowas.

“Und, Franz”, fragt er abrupt weiter, “wie läufts nach dieser gefühlten Niederlage im Lieferland mit deiner Idee, die Ressourcen von aktivistischen Radikalen für das, was du – hehe – ‘Klassenkampf’ nennst, zu nutzen?” “Äh, ja”, höre ich mich schon wieder sagen. Ich komme mir immer uneloquenter in seiner Gesellschaft vor. “Nicht so gut, ehrlich gesagt. Ich hab behauptet, dass wir als Aktivist:innen Außeriridischen gleichen, welche andere Lohnabhängige als ‘die Anderen’ recht instrumentell für ihre politischen Zwecke einspannen – dass wir es genießen, über den Dingen zu stehen. Und vorallem, dass wir auch gegenüber unseren eigenen Interessen äußerlich bleiben, uns also nicht für uns selbst als Lohnabhängige engagieren. Aber wie mit dem angekündigten zweiten Teil weitermachen und wirklich auch auf die proletarische Erde zurück kommen – weiß ich auch noch nicht.”

Er gluckst und hebt sein blasses Gesicht in den blau dämmernden Himmel. “Die Ansicht, dass kleine Gruppen keine revolutionäre Effektivität aufweisen, wird von Dir als pessimistisch erachtet. Das ist kein Wunder, du bist ja verstrickt in eine revolutionäre politische Organisation”, sagt er mit seiner jenseitigen Stimme. Die Leuchtreklamenfarben des Anarchosyndikalismus glänzen auf seinem bereits schwitzenden Gesicht. “Was ist aber, wenn diese Ansicht die Unvermeidbarkeit der Revolution anzeigt? Was ist, wenn sie auf das objektive Ende der vorab festgelegten Führung der Massen und das Ende jeglicher Ausbeutung verweist?” Ich meine zu hören, dass er irgendwie versucht an meine Behauptung vom “Leninismus” wild entschlossener Salting-Tourist:innen anzuschließen. “Äh, das klingt irgendwie hoffnungsvoller, oder so”, sage ich, um für eine richtig schlaue Antwort Zeit zu schinden. Denn so recht verstehen tu ich ihn nicht. Außerdem finde ich den Lokalschlüssel in meiner Hosentasche einfach nicht, verdammt.

“Die radikalen Gruppen sind mit diesem Bild nicht zufrieden”, sagt er unvermittelt leise. “Eine Zukunftsaussicht, in der sie nicht mehr Bedeutung als ihre Mitmenschen haben werden, verschafft ihnen keine Freude und sie verurteilen eine solche Zukunftsaussicht als Philosophie des Defätismus. Tatsächlich haben wir jedoch über die Nutzlosigkeit kleiner radikaler Gruppen gesprochen.” “Also eigentlich hast du…”, versuche ich in seinen geschliffenen Monolog einzuhaken, “BEZÜGLICH DER ZUKUNFT DER ARBEITER WAREN WIR ABER RECHT OPTIMISTISCH!” Er rüttelt heftig an meinem Ärmel. Endlich habe ich den Schlüssel gefunden und schiebe ihn hastig und doch möglichst unauffällig ins Schloss. “Aber allen radikalen Organisationen scheint: wenn ihre Gruppen eine Niederlage erleiden, ist es die Niederlage aller und wenn ihre Gruppen sterben, dann stirbt alles. Mit solchen Äußerungen enthüllen sie deshalb ihre WIRKLICHE MOTIVATION für die Rebellion und den WIRKLICHEN CHARAKTER ihrer Organisationen”, schreit er fast, während irritierenderweise jede entblößte Hautstelle an ihm blau zu funkeln beginnt. Die Situation wird mir immer ungeheurer und irgendwie mag ich nicht mehr hören, was er da zu deklamieren hat.

“Hör mal, freut mich, dass du meinen Artikel gelesen hast und so”, sage ich halb über meine Schulter. “Komm doch gerne mal zum Neumitgliedertreffen, das ist immer einmal im Monat.” Endlich kriege ich die blöde Tür auf und trete ein. Ich knipse die Deckenbeleuchtung an. Und Sam Moss sitzt schon auf der Heizungsbank. Ich mache vor Schreck einen kleinen Hüpfer. Er aber isst zufrieden ein Wurstbrot, während ihm – knubbelige Antennen?! – aus dem schütteren Haar zu wachsen scheinen. Der ganze Raum beginnt zu summen, überall leuchten kleine Dioden auf, Radarbildschirme türmen sich wo zuvor der Spendenkühlschrank war. Moss mümmelt mir vergnügt zu: “Wir jedoch sollten in der Machtlosigkeit dieser Gruppen keinen Grund zur Verzweiflung sehen. Wir sollten in ihr vielmehr einen Grund für Optimismus in Bezug auf die Zukunft der Arbeiter sehen. Denn in ebenjenem Zerfall aller Gruppen, die die Massen aus dem Kapitalismus heraus in eine andere Gesellschaft führen wollen, sehen wir zum ersten Mal in der Geschichte das OBJEKTIVE ENDE JEGLICHER POLITISCHER FÜHRERSCHAFT UND DER TEILUNG DER GESELLSCHAFT IN ÖKONOMISCHE UND POLITISCHE KATEGORIEN!”[1]Alle Zitate entnommen und ein bisschen verfremdet aus: https://gewerkschaftslinke.hamburg/2018/11/23/sam-moss-vor-80-jahren-die-machtlosigkeit-revolutionaerer-gruppen-wie-machtvoll-koennen-wir-heute-sein/

Schnell ziehe ich die Lokaltür von außen wieder zu, der Nachhall seiner Stimme wird abgeschnitten. Mein Herz klopft, ich bin nun wirklich ganz alleine auf der Straße. “Vielleicht habe ich letzthin zu viel über außerirdische Gewerkschaftsaktivist:innen nachgegrübelt.” Ich versuche durch das Fenster ins Lokal zu spähen. Drinnen vertrocknet jetzt nur eine unglückliche Pflanze auf einem schiefen Brett, sonst regt sich nichts mehr. Moss Worte hallen in mir nach. Und, während ich so schaue, scheint es mir wieder wie zuvor, als lugte ich in das Innere eines Raumschiffes, dessen schwarz-rote Signalleuchten auf mich und die Straße herab blinken. Es scheint, als löste sich das Lokal aus seinem Fundament und begänne, über dem Gehweg zu schweben.

 

Titelbild: Ino Scheid

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