„Es geht darum, nicht mehr länger Nebendarsteller im eigenen Leben zu sein. Wir wollen wieder Hauptdarsteller werden.“ Für diesen Satz erhielt Jenny von der Gruppe „Für eine linke Strömung“ (FelS) aus Berlin viel Applaus. Sie moderierte am 9. Februar die „Gala der prekären Perspektiven“, die zentrale Veranstaltung der „Mir-reichts-nicht-Kampagne“ während der Berlinale. Zuvor wurde beim Verdi-Bundeskongress und der zwölften Documenta im letzten Jahr die Gala der prekären Möglichkeiten aufgeführt. Dabei wurden die schlechten Arbeitsbedingungen im Kulturbereich thematisiert.
Die Kampagneras und Kampagneros hatten schon Mitte Dezember vor dem Anmeldebüro der Berlinale ein Glücksrad aufgestellt und wollten mit den Menschen, die einen Job suchten, über die Arbeitsbedingungen ins Gespräch kommen (siehe Direkte Aktion 185).
Auf der Gala wurden verschiedene Initiativen vorgestellt, in denen sich in Deutschland, aber auch in Italien und Frankreich, Kulturprekäre organisieren. Einige wurden mit einem besonderen Galapreis, dem „goldenen Superhelden“, ausgezeichnet. Darunter war das Projekt „connexx.av“ bei ver.di, mit dem gezielt Kulturprekäre angesprochen werden sollen.
Es wurden verschiedene Videos und Selbstzeugnisse zu Arbeitsverhältnissen von Kartenanreißern in Kinos, Drehbuchautoren und FilmproduzentInnen vorgestellt. Ein eher peinliches Zeugnis von Ignoranz gab Robert Weber, Mitglied der Berliner Vorlesebühne „Surfpoeten“, ab. Er könne mit der Litanei von der „Selbstausbeutung von Künstlern“ nichts anfangen: „Ich mache genau dasselbe, was ich schon gemacht habe, als ich noch arbeitslos war.“ Positiv war daran nur, dass Weber hier etwas ausgesprochen hat, was durchaus im Bereich der Kulturprekären verbreitet ist: Man fühlt sich als etwas besseres oder zumindest etwas ganz anderes als die übrigen Lohnabhängen. Und wie soll man ausgebeutet sein, wenn die Tätigkeit doch Spaß macht und es sich außerdem noch um Kunst handelt?
Solange solche Vorstellungen in den Köpfen von Betroffenen verbreitet sind, sind Gegenwehr und Widerstand schwer zu organisieren. Es ist das Verdienst der „Mir-reichts-nicht-Kampagne“, hier Gegenpositionen aufgezeigt zu haben. Ob sich daraus ein kontinuierlicher Organisierungsprozess im Kulturbereich entwickelt, ist allerdings noch völlig offen.
Wie organisieren?
Events wie die „Gala der prekären Perspektiven“ können hier nur die Aufgabe haben, das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen. Das zumindest ist ganz gut gelungen, da fast alle Berliner Zeitungen berichteten. Das lag aber auch am Neuigkeitswert. Wenn die Gala das dritte oder vierte Mal wiederholt wird, werden die Pressemeldungen spärlicher sein. Die Kärrnerarbeit der Organisierung von Betroffenen beginnt dann, wenn die Kameras und Mikrophone eingepackt sind.
Dabei gibt es natürlich viele Schwierigkeiten. Da wäre zunächst die Frage, ob sich eine Drehbuchautorin mit einem Kinokartenanreißer solidarisch erklärt. Solange Kulturprekäre sich immer einreden, sie machen die schlecht bezahlte Arbeit nur kurze Zeit und steigen dann auf, wird es schon schwerer mit dem gemeinsamen Organisieren. Denn diese Aufstiegshoffnungen kann eine junge Filmproduzentin oder ein Drehbuchautor – wenn auch oft genug vergeblich – hegen, nicht aber die Reinigungskräfte und Wachschutzleute. Dabei muss man die soziale Lage der Kampagnen-AktivistInnen selber in den Blick neben. Ein Teil von ihnen gehört zum sog. Kulturprekariat im Bereich Film und neue Medien. Sie beherrschen daher deren Sprache und Codes, wie auf der Gala deutlich wurde. Reinigungskräfte, zum Beispiel, waren dort augenscheinlich nicht vorzufinden. Die gehören auch nicht zum Kulturprekariat, nur weil sie die beschissenen Jobs zufällig im Kino oder im Theater machen.
Eine Organisierung lässt sich aber nur dann effektiv gestalten, wenn die Beschäftigten – und nicht nur die Kulturprekären – ihre momentane schlechte Arbeitssituation zur gemeinsamen Ausgangslage machen und sich Letztere nicht mit Hoffnungen und Versprechungen auf eine bessere Zukunft ruhig stellen lassen. In einer erfolgreichen Kampagne müssten diese Probleme offen angesprochen und diskutiert werden. Daran wird sich zeigen, ob den Organisierungsbemühungen ein langfristiger Erfolg beschieden ist. Wünschenswert wäre es allemal, denn schließlich ist der Kultursektor eine Art Vorreiter in Sachen Deregulierung der Arbeitsverhältnisse.
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