Patria o muerte

Am 31. Dezember 1958 floh der Diktator Fulgencio Batista aus Kuba. In den nächsten drei Jahren konsolidierten die Kommunistische Partei, die Castros und der „Che“ ihre Macht über die Insel. Die ArbeiterInnen wurden einer neuen Diktatur unterworfen, diesmal im Namen des Sozialismus. Nun tritt der große Führer, der Máximo Líder Fidel Castro, nach fast 50 Jahren zurück. Sein jüngerer Bruder Raoúl ist die neue Nummer eins.

Der Rücktritt des Großen Führers kündigte sich schon seit Juli 2006 an. Damals musste er sich einer schweren Operation unterziehen. „Vorübergehend“ übergab er seinem fünf Jahre jüngeren Bruder die Regierungsgeschäfte. Seitdem sah man ihn nur noch wenige Male, meist wenn der venezolanische Präsident Chávez einen Krankenbesuch an seinem Bett machte. Seit Anfang Februar verdichteten sich dann die Anzeichen dafür, dass Fidel sich nicht mehr zum Chef wählen lassen werde.

Das Wahlsystem

Am 20. Januar diesen Jahres wählten die KubanerInnen wieder die Nationalversammlung. Die Abgeordneten werden von einem Ausschuss der PCC (1) und der staatlich kontrollierten Massenorganisationen ausgewählt. Die Massenorganisationen sind wie die PCC hierarchisch aufgebaut. Eine dem Staat und der Partei gegenüberstehende, organisierte Opposition ist im politischen System Kubas nicht vorgesehen. So sind auch alle Organisationen der ArbeiterInnen außerhalb des staatlichen Gewerkschaftsbundes verboten. Die Nationalversammlung hat 614 Sitze. Aufgestellt waren 614 „KandidatInnen“. Die KubanerInnen können ein Kreuz machen, um so alle KandidatInnen für die Nationalversammlung zu wählen, oder einen „weißen“ Wahlschein in die Urne werfen (ca. 5% der Stimmen). Auf Kuba herrscht darüber hinaus Wahlpflicht. Vor der sogenannten „kubanischen Revolution“ wurde die Wahlpflicht durch die Armee und die Polizei überwacht. Seit der Machtergreifung stehen Kinder symbolisch vor den Wahllokalen Wache. Die Nationalversammlung wählt aus ihrer Mitte heraus den aus 31 Mitgliedern bestehenden Staatsrat. Dieser bestimmt wiederum den Staats- und Regierungschef. Seit Ende Februar ist dies Raúl Castro (76).

Die wirtschaftliche Lage

Die Verarmung der Bevölkerungsmehrheit ist das entscheidende Phänomen. Die Einkommen klaffen immer weiter auseinander. Immer größere Einkommen entfallen auf einige wenige, während immer mehr Leute sich das Lebensnotwendige kaum leisten können. Die KubanerInnen verdienen im Durchschnitt den überwiegenden Teil ihres Einkommens in der nicht-konvertiblen Landeswährung. Das monatliche Durchschnittsgehalt liegt bei ca. 336 kubanischen Pesos. Dies entspricht etwa 15 konvertiblen Pesos oder 12 Euro. Viele Produkte und Dienstleistungen sind nur in der konvertiblen Währung und zu Preisen erhältlich, die oft über europäischem Niveau liegen. Rund 40 % der Bevölkerung erhalten Überweisungen ihrer im Ausland lebenden Verwandten im Gesamtwert von ca. 1 Mrd. USD pro Jahr. Die soziale Ausdifferenzierung der kubanischen Gesellschaft geht einher mit der Integration der kubanischen Wirtschaft bzw. einzelner Sektoren in den Weltmarkt. Ökonomisch ist China nach Venezuela der zweitwichtigste Handelspartner, gefolgt von Kanada und Spanien. Gleichzeitig sind die USA inzwischen Hauptbezugsquelle kubanischer Lebensmittelimporte – und mit einem Handelsvolumen von 340 Mio. USD inzwischen wieder einer der wichtigsten Handelspartner Kubas. Es gibt auf Kuba eine Schicht, die von dieser Weltmarktintegration profitiert hat: Funktionäre, leitende Angestellte in Außenhandelsunternehmen oder Intellektuelle und KünstlerInnen, die international erfolgreich sind. Neue Eliten sind entstanden, deren wichtigste als technokratisch-unternehmerische Elite bezeichnet werden kann. Diese Elite führt einen ganz anderen Lebensstil als der Rest der Bevölkerung – ein Kennzeichen dieser Elite ist die strikte Loyalität zum kubanischen Regime, dem sie alle ihre Privilegien verdanken.

Blick zurück nach vorne

Die Kubanische Revolution wurde von vielen verschiedenen Gruppen getragen. Neben dem sehr heterogenen M26J waren da zu Beispiel die Anarcho-SyndikalistInnen (2). Bis zum Verbot ihrer wichtigsten Zeitung, der «Solidaridad Gastronomica», Mitte Dezember 1960, versuchten sie einerseits die revolutionären Prozesse zu unterstützen und andererseits vor der Entwicklung eines totalitären Systems zu warnen. Die neuen „revolutionären“ Repressionsorgane und Methoden aber waren effektiver und umfassender als in den Diktaturen Machados oder Batistas. Hunderte Anarcho-SyndikalistInnen wurden verhaftet und für viele Jahre ins Gefängnis geworfen. Viele wurden standrechtlich erschossen, nicht zu vergessen, dass in den Gefängnissen viele politische Gefangene an den Folgen von Folter, unmenschlicher Behandlung und schlechter Versorgung starben. Ab 1961 blieb, außer dem Versuch einer Anti-Castro- Guerilla, nur noch der Weg in das innere oder äußere Exil. In den 1960er waren bis zu 60.000 Personen in den Gefängnissen eingepfercht, mehr als jemals zuvor in der Geschichte Kubas. Die meisten Gefangenen waren ArbeiterInnen oder kleine, für den Eigenbedarf produzierende Bauern und Bäuerinnen. Wie viele Tote insgesamt auf das Konto des Regimes gehen, ist schwer zu beziffern. Historiker gehen von mehr als 12.000 Hinrichtungen aus (3).

Was wir gerade sehen, ist der Versuch eines sanften Übergangs von Fidels Alleinherrschaft zur Herrschaft der Kommunistischen Partei. Ob und wie das gelingen wird, zeigt uns die Zukunft.

Anmerkungen

Der französische Regisseur Régis Debray allerdings, einst glühender Verehrer des „máximo líder“, soll einmal über ihn gesagt haben: „Er ist Trotzki, Lenin und Stalin verpackt in einem einzigen Caudillo“.

 

[1] Partido Communista Cubano – Kommunistische Partei Kubas
[2] Zur Rolle der Anarcho- SyndikalistInnen in der kubanischen Geschichte, siehe Frank Fernandez: Anarchismus auf Kuba. Erschienen bei Syndikat A, 2007.
[3] Die Todesstrafe war mit der Verfassung von 1940 abgeschafft worden. Fidels „revolutionäres“ Programm beschränkte sich vor der Machtergreifung auf den Sturz der Diktatur Batistas und die Wiederherstellung der Verfassung von 1940.

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