Kolumne Durruti

An einem Dienstagmorgen begegnete ich in meinem Wohnviertel, dem Prenzlauer Berg in Berlin, einer eigenartigen Menschenmenge. Männer und Frauen zwischen 40 und 50, in Anzügen von Armani, Dolce & Gabbana usw., bewaffnet mit surrenden Camcordern, umstellten dort einen mittelgroßen Baum, vor dem zwei ratlos dreinschauende Streifenpolizisten reiferen Alters standen. Der Baum selbst war bis in Augenhöhe mit – zumeist von Kinderhand – gemalten Protestnoten zugeklebt: „Bäume wollen AUCH leben!“ „Kein Baum ist illegal!“ Oder tief sarkastisch: „Dieser Baum wurde zum Tode verurteilt!“

Die Bezirksverwaltung hatte unlängst festgestellt, dass all die schönen Bäume, die während der DDR-Zeit im sich selbst überlassenen Schmuddelviertel gewachsen sind, nicht vorschriftsmäßig gepflanzt wurden und nun weg müssen. Überall in der Gegend sind nun Bäume fällende Rollkommandos unterwegs, um für Ordnung zu sorgen. Doch der Widerstand formiert sich. Wie an diesem Morgen.

Die Stimmung ist aufgeheizt, aggressiv. Ein Mann schimpft vor sich hin, aufgebracht darüber, dass der Baum vor seinem Wohnhaus gefällt werden soll. Einer der beiden Ordnungshüter legt ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter, lächelt und hebt an zu sprechen, um ihn zu beruhigen. Doch der Renegat im Armani-Anzug reißt sich los. „Fassen sie mich nicht an!“, macht er lauthals deutlich, und an seine MitstreiterInnen gerichtet: „Das ist Freiheitsberaubung!“. Der arme Polizist sah derart erschrocken aus, dass man förmlich hören konnte, wie sehr er sich in die gute, alte DDR zurücksehnte, als es hier noch nur ganz normale Wirrköpfe gab. Währenddessen tänzelte eine nicht mehr ganz junge Frau in einem geblümten Jutekleid durch die Reihen der Protestierenden und parlierte mit quiekender Stimme: „Und was ist mit dem Nest? Denkt denn niemand an das Nest?“

Dies war das Stichwort für den bühnenreifen Auftritt des Helden der WiderständlerInnen. Mit weit ausholendem Schritt kam er um die Ecke, strotzend vor Selbstbewusstsein und Siegeswillen: der Anwalt. In einem schwarzen Anzug aus feinem Zwirn, darunter ein weißes Hemd ohne Krawatte (schließlich ist man Nonkonformist), schüttelte er die Hände der Demonstrierenden und verströmte Zuversicht und positive Energie. Entschlossen verwies er die Staatsgewalt in ihre Schranken („Sie dürfen hier gar nicht stehen“) und nahm die Sache in die Hand. Von der anderen Straßenseite aus nahm er den für illegal erklärten Baum mit einem kleinen Opernglas ins Visier. Dann ertönte sein triumphaler Ruf mit sonorer Stimme, dass es von den luxussanierten Häuserwänden widerhallte: „Es sind Eier im Nest. Die Sache ist damit abgeblasen.“

Jubelszenen! Menschen, die sich in den Arm nehmen, dabei unentwegt lächelnd. Ein Mann mit sauber getrimmtem Vollbart streichelt den Baum, als sei er sein Kamerad, und flüstert ihm zu: „Wir haben’s geschafft!“ Der Anwalt erläutert noch kurz, dass der Baum „mindestens bis September“ gerettet sei, da das Amt für Artenschutz erst prüfen müsse, wessen Eier denn da im Nest lägen. Siegestrunken zerstreut sich die Menge, Polizei und Baumschlächter ziehen ab. Erschöpft lege ich mich wieder ins Bett.

Kaum zwei Stunden später weckt mich jäh ein hässliches, durchdringendes Geräusch: „nääääääööööööö!“ keift es, gefolgt von einem dumpfen „buff!“. Dann abermals „niiiiiiiiiiiööööööäääää – buff!“ Ich trete auf den Balkon und reibe mir verdutzt die Augen: Während am Wegesrand die beiden Gärtner die Motorsägen wieder einpacken, steht neben ihnen ein vielleicht zwei Meter hoher, ast-, zweig- und blattfreier Stumpf, darauf ein kleines Vogelnest.

Und da sage noch jemand, Behörden hätten keinen Sinn für Humor.

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