Der Gleiswechsel Norbert Hansens im Schienennetz der Karrieren war in Gewerkschaftskreisen eines der großen Themen in diesem Jahr. Als der Gewerkschafter im Mai seinen Rücktritt als TransNet-Chef erklärte und seinen neuen Posten als Arbeitsdirektor bei der Bahn antrat, war von „Seitenwechsel“, ja sogar von „Überlauf“ und „Verrat“ die Rede. Schon zuvor standen Hansen und seine TransNet in der Kritik: Die Eisenbahngewerkschaft im DGB vertrat offiziell eine Position, die die Privatisierung der Bahn befürwortete, während der berüchtigte Mehdorn-Freund munter mit dem Bahnvorstand fraternisierte und seine Organisation gar als Instrument nutzte, um die Konkurrenzgewerkschaft, die GdL, unter Druck zu setzen. Empörung und Aufatmen vermischten sich so bei vielen GewerkschafterInnen. Der Gewerkschaftsboss habe sein wahres Gesicht gezeigt; z.T. erkläre dies den unternehmerfreundlichen Kurs von TransNet. Immerhin sei man Hansen und seine Politik nun los.
Sicherlich, der Fall Hansen ist symptomatisch, er wirft ein Schlaglicht auf die Ausrichtung von TransNet. Doch steht und fällt diese mit einem Norbert Hansen? Sein Nachfolger Lothar Krauß ist nicht unbedingt anderer Machart, und unabhängig von Personalfragen, sind alle DGB-Gewerkschaften unternehmerfreundlich ausgerichtet – die einen mehr, die anderen weniger.[1] Das Problem zu personalisieren, lenkt nur von den eigentlichen Ursachen ab. Und ist es überhaupt richtig, von Verrat und Überlauf zu sprechen? Das setzt schließlich voraus, dass es sich bei den Seiten, zwischen denen gewechselt wird, um Antagonisten handelt. Hansens TransNet pflegte aber länger schon ein partnerschaftliches Verhältnis zur Unternehmensleitung und folgte dem Unternehmensinteresse. Der Verrat, wenn man das so nennen kann, fand also schon weit davor statt, eine Tatsache, die ebenso unabhängig von Personalien ist und sich nicht allein auf TransNet beschränkt. Wenn auch die Sozialpartnerschaft in der Praxis durch die Offensive des Kapitals erschüttert wurde, so folgt der DGB insgesamt noch immer einer sozialpartnerschaftlichen Doktrin, die keinen Klassenantagonismus kennt und die Kooperation von Arbeitgebern und Arbeitnehmern betont. Diese Doktrin besteht selbstverständlich nicht nur im Kopf, sondern findet ihren reellen Niederschlag in der gewerkschaftlichen Praxis und in den Strukturen und Institutionen, die die Arbeitsbeziehungen bestimmen.
Liga der Wendehälse
Der Trubel, der um die Hansen-Story gemacht wurde, ist in diesem Zusammenhang absolut unverständlich. „Überläufe“ sind fast etwas Alltägliches und finden auf allen Ebenen der Arbeitsbeziehungen statt. Ungewöhnlich am Fall Hansen ist allenfalls, dass es seltener auf so hoher Ebene vorkommt. Wobei dies auch daran liegen dürfte, dass soweit oben ein formeller Wechsel gar nicht nötig scheint, so stark integriert sind ranghohe Gewerkschafter in die wirtschaftliche Belle Etage.
Generell gilt aber: Wenn Gewerkschaftssekretäre ihre Arbeit machen, ohne zuviel Staub aufzuwirbeln und den Arbeitgebern positiv auffallen (d.h. durch kooperatives Verhalten in der Arbeitsgemeinschaft), haben diese gute Chancen, einen gut bezahlten Posten angeboten zu bekommen. So weiß ein Verdi- Gewerkschaftssekretär anonym zu berichten: „Wechsel ins andere Lager stehen fast auf der Tagesordnung. Ein Kollege von mir aus Mannheim, der das Gesundheitswesen dort betreute, wurde 2001 Personaldirektor im Klinikum Ludwigshafen. Da darf ich jetzt mit ihm verhandeln. Sein Vorgänger beim Klinikum war früher beim Hauptvorstand der ÖTV Abteilungsleiter des Bereiches „Gemeinden“. Der Geschäftsführer der ÖTV-Kreisverwaltung Mainz ist jetzt Vorstand bei den Kraftwerken Mainz-Wiesbaden. Der Transportsekretär aus Neuwied ist Personalchef bei Schenker. Und so weiter. Posten als Arbeitsdirektor sind auch immer beliebt; sie sind Teil der Geschäftsleitung und sollen sich um die Belange der Beschäftigten kümmern. Der Landesbezirksleiter der IG BCE Rheinland- Pfalz ist das jetzt bei RWE (verdient ca. 400.000 Euro im Jahr) und Herbert May, Bsirskes Vorgänger bei der ÖTV, bei der FraPort AG. Das sind nur ein paar Beispiele aus meinem direkten Umfeld.“ Wer sich die Mühe macht, der könnte sicher eine überdimensionale Liste solcher Seitenwechsel erstellen.
Doch der „Verrat“ beginnt nicht erst beim formellen Seitenwechsel, er ist der letzte Schritt – in gewisser Hinsicht einer, der zumindest Klarheit schafft. Denn auf welcher Seite die zahlreichen GewerkschafterInnen wirklich stehen, die (noch) in sozialpartnerschaftlichen Institutionen wie Betriebsrat oder Aufsichtsrat arbeiten, darüber herrscht große Uneinigkeit: Der offizielle Anspruch, Arbeitnehmer zu vertreten, täuscht vielerorts darüber hinweg, wie des einen oder anderen Rates Arbeit den Unternehmern in die Hände spielt.
Inwiefern genau das auf die Betriebsräte zutrifft, darüber mag sich noch streiten lassen. Hier findet man tatsächlich die eine oder andere ehrliche Haut, die es ernst meint mit den Arbeiterinteressen, während die Distanz zum eigentlichen Klientel noch nicht allzu fern ist. Verrat und Korruption sind hier zumindest nicht epidemisch, auch wenn Betriebsräte schon mehr sind als nur Brutstätten verräterischer Keime.[2] Weitaus eindeutiger lässt sich allerdings der Charakter der Mitbestimmungsstrukturen in den Aufsichtsräten herausfiltern.
Mitbestimmung – ein Euphemismus für Korruption Schon damals, als die Aufsichtsräte in den 50ern und 70ern geschaffen und mit Gewerkschaftsvertretern besetzt wurden,[3] war den Unternehmen diese „Mitbestimmung“ recht, und sie ist es, mit Abstrichen, auch heute noch. Vorsitzende und wichtige Funktionäre der Gewerkschaften werden über die Aufsichtsräte in die Unternehmenspolitik eingebunden, dadurch prozessweise korrumpiert und sozusagen „legal bestochen“. Frank Bsirske z.B. erhält für sein Mandat als stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates bei der Lufthansa eine „Aufwandsentschädigung“ von 200.000 Euro pro Jahr. Das ist mehr, als er bei Verdi als Vorsitzender verdient. Da stellt sich natürlich die Frage, wem dabei die Loyalität gilt.
Bleiben wir beim Beispiel Bsirske: Für einen kleinen Skandal sorgte er, als er im Sommer während des Lufthansa-Streiks seiner Gewerkschaft in den Urlaub flog, mit der Lufthansa, 1. Klasse, und zwar gratis. Denn als Aufsichtsrat der Lufthansa hat Bsirske grundsätzlich alle Flüge frei. Dirk Niebel, Generalsekretär der FDP, forderte den Rücktritt Bsirskes und argumentierte: „Als Vorsitzender [von] Verdi vertritt er die Interessen der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer der Lufthansa. Als stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates müsste er sich um das Wohl des Unternehmens Lufthansa kümmern“.[ 4] Sein Kompagnon Rainer Brüderle ergänzte: „Gewerkschaftsfunktionäre gehören nicht als Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat“, um schließlich sogar bezogen auf Betriebsräte zu fordern, dass niemand, der gewählt wird, um die Interessen der Beschäftigten zu vertreten, aus dieser Position persönliche Vergünstigungen in Anspruch nehmen dürfe.[5]
Große Worte von FDP-Politikern, die in dieser Form sicher auch mancher Syndikalist unterschreiben könnte. Denn was sich darin ausdrückt, ist zumindest ein Klassenstandpunkt, nur eben von der anderen Seite der Arena aus. Den haben anscheinend DGB-Funktionäre in keiner Form, und so bringt es Niebel auf den Punkt, wenn er geifert, Bsirske könne aus dem Urlaub zurückkommen, „um hier den Tarifabschluss als Arbeitgeber und Gewerkschaftsboss zu feiern“. Es irrt sich der Klassenkämpfer von oben nur, wenn er behauptet, Bsirskes „Doppelmandat ist eine gleichermaßen einmalige wie einträgliche Form der Tarifeinheit“.[6]
Einmalig? Wohl kaum! Fast jeder DGB-Spitzenfunktionär sitzt irgendwo im Aufsichtsrat: Lothar Krauß, der neue TransNet-Chef ist z.B. stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates bei der Bahn, wo er Doppelvorgänger Hansen gleichfalls beerbte; Berthold Huber, Chef der IG Metall, sitzt im Aufsichtsrat bei Siemens und dessen Vorgänger Jürgen Peters bei Salzgitter und VW; Michael Sommer, der Big Boss in der DGB-Hierarchie, wagt sogar den Dreier und ist im Aufsichtsrat bei der Telekom, der Postbank und der DGB Rechtsschutz GmbH. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Was auch immer die ursprüngliche Intention der Gewerkschaften war, in die Aufsichtsräte zu kommen, bis heute hat sich das Ganze dahingehend entwickelt, dass die partizipierenden Gewerkschafter selbst zum „Arbeitgeber“ geworden sind und quasi einer Managerklasse angehören.[7] Getrost ließe sich demnach behaupten, dass fast allen deutschen Gewerkschaften Manager vorstehen. Wer Spaß daran hätte, könnte sicherlich mit guten Erfolgsaussichten beim Bundesarbeitsgericht auf Gegnerfreiheit [8] klagen, um etliche Riegen des DGB zu säubern. Es gäbe gute Argumente dafür.
Die Steinkühlerisierung der Gewerkschaften Der Interessenkonflikt, den die Lakaien Niebel und Brüderle am Beispiel Bsirske konstatieren, besteht theoretisch tatsächlich, praktisch löst er sich jedoch zugunsten des Unternehmensinteresses auf. In seiner stumpfen Rekapitulation neoliberaler Kehrreime verkennt das Duo Nieberle, was viele Unternehmer erkannt haben: GewerkschafterInnen im Aufsichtsrat sind im ureigensten Unternehmensinteresse; sie werden kooptiert und lernen auch noch das nötige Handwerk. Man bedenke nur einmal, wie es Hansen als frischgebackener Arbeitsdirektor hat krachen lassen, als er einen „Personalabbau zur Steigerung der Effizienz“ ankündigte! Solch soziale Distanz und Kälte will gelernt sein. Nicht wenige Top- Gewerkschafter haben sich das in ihrem Leben nach der Gewerkschaft (oder gar währenddessen) in der Wirtschaft zu Nutze gemacht. Wohl noch vielen bekannt sein dürfte der Gewerkschafter in Nadelstreifen, Franz Steinkühler. Der ehemalige IG Metall-Vorsitzende (1986-93) ist heute Vermögens- und Unternehmensberater. Steinkühler war gewissermaßen der Prototyp des modernen Manager-Gewerkschafters. Als Aufsichtsratsmitglied von Daimler Benz führte dieser sogar Insideraktiengeschäfte durch und pflegte zarte Bande mit seinen eigentlichen Widersachern. Der moderne Gewerkschafter ist eben geschäftstüchtig und hat Verständnis für die Wirtschaft. Heute wissen wir das.
Zwei Beispiele mögen angebracht sein, um das herauszustellen: 1) Als Krauß den TransNet-Chefposten übernahm, verteidigte dieser den Wechsel Hansens: „Das ist Bestandteil der deutschen Mitbestimmungskultur.“ Er sei „stolz“ darauf, dass Gewerkschafter auch Verantwortung als Arbeitsdirektor übernähmen, und verwies darauf, dass dies in anderen großen Unternehmen ebenfalls üblich sei.[9] 2) 2004 veröffentlichte die DGB-nahe Hans-Böckler-Stiftung eine Schrift zum Thema des Interessenkonflikts, die u.a. fragt, ob Gewerkschafter prinzipiell in den Aufsichtsrat gehören. Wer glaubt, es würde diskutiert werden, ob GewerkschafterInnen im Aufsichtsrat überhaupt das Interesse ihrer Klientel vertreten könnten, weit gefehlt. Kein Wort darüber. Stattdessen Lobhudeleien, dass Gewerkschafter im Aufsichtsrat im Interesse des Unternehmens wären; sie würden Erfahrung einbringen und für den Betriebsfrieden sorgen.[10]
In allen Ecken
Auch in andere Instanzen der gesellschaftlichen Macht wirken GewerkschafterInnen hinein und tragen ihr Scherflein zum Funktionieren der bestehenden Sozial- und Wirtschaftsordnung bei. Zunächst einmal existieren da die immerwährenden Seilschaften mit der Sozialdemokratie. Auch wenn die traditionelle Partnerschaft zwischen DGB und SPD allmählich am Bröckeln ist, ist die überwältigende Mehrheit der Gewerkschaftspromis Mitglied in der SPD (so auch und immer noch Hansen). Freundschaftliche Beziehungen und Gefälligkeiten zwischen GewerkschafterInnen und PolitikerInnen sind Usus. Das kann den einen oder die andere schon mal in die Zwickmühle bringen, wenn man sich in einem Konflikt formell auf verschiedenen Seiten befindet, so z.B. in Berlin, wo GewerkschafterInnen ihren rot-roten Spießgesellen gegenüber stehen, wenn im öffentlichen Bereich etwas losgetreten wurde. Zurückhaltung in den Forderungen aus Verständnis gegenüber den Sparzwängen des Senats ist hier vorprogrammiert. Mancher Gewerkschafter würde da am liebsten den Konflikt abblasen, wäre da nicht diese Basis, die es auch noch irgendwie zu befriedigen gilt. Und so balanciert man das Ganze auf einem schmalen Grat aus, um ein wenig Luft abzulassen.
Aber auch über die SPD hinaus: Wer weiß schon, dass GewerkschafterInnen die größte Gruppe unter den Abgeordneten des Bundestags stellen? 170 von ihnen sitzen dort unter den 612 Abgeordneten; das sind 27,8% (die zweitgrößte Gruppe, die Juristen, stellen 23,3%).[11] In dieser Eigenschaft sind sie mitverantwortlich für die politischen Rahmenbedingungen, die die neueste Entfaltung des neoliberalen Kapitalismus zuungunsten der Arbeiterschaft bedingen, so z.B. im Falle von Hartz IV. Von politischem Widerstand der GewerkschafterInnen im Parlament war damals zumindest nichts zu hören. Auch ein Blick auf die Zusammensetzung der Kommissionen, die arbeiterfeindliche Ergebnisse gebracht haben (z.B. Hartz, Rente), offenbart, dass diese, wie üblich bei solchen Kommissionen, unter ranghoher gewerkschaftlicher Beteiligung tagten.
Während der DGB also öffentlich und auf der Straße gegen die neuesten unsozialen Arbeits- und Sozialgesetze andonnert, ist er gleichzeitig für diese Gesetze institutionell mitverantwortlich.
Karrierefeld Gewerkschaft
Über die verschiedenen Verstrickungen der Gewerkschaften mit Wirtschaft und Politik hinaus ist von Interesse, wie die DGB-Gewerkschaften selbst zunehmend als quasi-kapitalistische Unternehmen funktionieren, sowohl was die interne als auch die externe Funktionsweise betrifft.
Zum einen haben die Gewerkschaften immer mehr den Charakter von Dienstleistungsbetrieben angenommen. Unabhängig von den degenerativen Potentialen, die im Konzept hierarchischer Stellvertretung vorangelegt sind, begreifen sie gewerkschaftliche Grunderfordernisse (Rechtsschutz, Beratung, Altersvorsorge etc.) fast nur noch als Dienstleistungsangebot, für das Kunden ähnlich wie z.B. beim ADAC mit entsprechenden Beiträgen zahlen und das sie dann, selbst inaktiv, dafür in Anspruch nehmen können. Nicht mehr, nicht weniger. Funktionäre agieren dabei als Agenten, die die Angelegenheiten vermittelnd zwischen den Gewerkschaftskunden und den Arbeitgebern regeln. Im Amerikanischen fasst man dieses Phänomen des geschäftsmäßigen Umgangs auch unter dem Begriff der „Business Union“, wobei Arbeiternehmer- und Arbeitgeberseite quasi als Geschäftspartner betrachtet werden.[12]
Integrierte Gewerkschaften im Kapitalismus sind eben auch nur ein Geschäft. Das sieht man nicht nur daran, dass ihre Vorgehensweise von Rentabilitätsdenken geprägt ist, z.B. wenn bestimmte Bereiche und Teile der Arbeiterschaft als nicht organisierbar ausgeklammert werden, weil eine Organisierung sich dort unter dem Strich nicht zu rechnen scheint. Es drückt sich ebenso in der Professionalisierung der Gewerkschaft aus. Schon in den „freien Gewerkschaften“ der Weimarer Republik gab es eine deutlich zu erkennende Tendenz, dass sie verstärkt opportunistische und karrierelüsterne Elemente anzogen, die erkannten, dass es sich hier um ein zukunftsfähiges Berufsfeld handelte, das sogar mit der Aussicht auf Machterhalt verbunden war. Spätestens nach dem 2. Weltkrieg wurde der DGB zum Feld alternativer Karrierewege für Emporkömmlinge aus der Arbeiterklasse. Was auch immer es an Leuten gab, die das Potential hatten, sich zu aufrechten Kämpfern für die Sache der Arbeiterklasse zu entwickeln, sie wurden entweder schrittweise im Gewerkschaftsapparat kooptiert oder blieben isoliert, wenn sie sich außerhalb des hegemonialen DGB bewegten.[13] Die Steinkühlerisierung, der Übergang vom Gewerkschaftsboss, der zumindest noch bedingt proletarische Etikette wahrte, hin zum Gewerkschafter in Nadelstreifen und mit Luxusauto, war so nur eine Frage der Zeit.
Gewerkschaften als Arbeitgeber Die Professionalisierung betrifft jedoch nicht nur die hohen Ebenen, sondern zeigt sich durchweg. Als Unternehmen und Karrierefeld sind die Gewerkschaften selbst Arbeitgeber eines großen Personalapparats. Seien es die Gewerkschaftssekretäre, die einfachen Beschäftigten oder sogar PraktikantInnen. Die mehreren tausend Beschäftigten der DGB-Gewerkschaften sind immer wieder mit ähnlichen Widrigkeiten konfrontiert wie die der Privatwirtschaft. So führten sowohl der DGB-Dachverband als auch Verdi in den letzten Jahren rationalisierende Haushaltskonsolidierungen durch: Der Dachverband minderte so seine Beschäftigtenzahlen von 2.076 auf 860,[14] Verdi baute in den letzten Jahren gar 1.400 Stellen ab.[15] 2006 gab es sogar Proteste von Verdi-Beschäftigten, als der Vorstand die betriebliche Altersvorsorge von knapp der Hälfte der 3.500 Beschäftigten massiv beschnitt.[ 16] Der DGB wird zwar in seinen Geschäftsberichten nicht müde, sich als vorbildlichen Arbeitgeber zu bezeichnen. Das mag für die Kernbeschäftigten z.T. sogar zutreffen, anders schaut das aber bei gewerkschaftseigenen Firmen und ausgegliederten Gesellschaften aus. 1998 gliederte der DGB z.B. die DGB Rechtsschutz GmbH aus, fast die Hälfte der Beschäftigten wurde so zu Angestellten in der Privatwirtschaft. Über die Arbeitsverhältnisse in den 173 Standorten der GmbH schweigt sich der Geschäftsbericht dann aber aus. Nachforschungen könnten hier womöglich Interessantes zum Vorschein bringen.
Mehr weiß man da schon z.B. über das Berufsfortbildungswerk (bfw). Hier beschwerte sich 2003 der Betriebsrat in Gelsenkirchen, dass es beim bfw gängige Praxis sei, „entlassenen Mitarbeitern bei der ‚inab‘, einer Ausbildungs- und Beschäftigungsgesellschaft des bfw, einen Job anzubieten. Anders als im bfw gilt bei der ‚inab‘ kein Tarifvertrag. Dass Weiterbildner in neuen Positionen auf die Hälfte ihres bisherigen Einkommens verzichten, ist keine Seltenheit.“[17] Das bfw, ein gemeinnütziges Unternehmen des DGB, ist bundesweit in der beruflichen Bildung und Beratung tätig, während die inab GmbH, eine 100-prozentige Tochtergesellschaft, ihr Feld erweitert hat und sich neben Zeitarbeitsunternehmen wie Adecco, Manpower und Randstadt auch als PersonalServiceAgentur behaupten will. Sollte das Geschäft mit der Arbeitslosigkeit nicht den gewünschten Ertrag bringen, dann gibt man diesen Geschäftszweig halt auf. [18]
Verdi wiederum hat seine Bildungsarbeit in Form der ver.di Bildung + Beratung GmbH und der ver.di GewerkschaftsPolitischeBildung GmbH ausgegliedert und vermarktwirtschaftlicht. Ziel dessen ist, „Gewerkschaftliche Bildungs- und Begegnungsangebote … auf der Basis von Wirtschaftlichkeit professionell und serviceorientiert anzubieten“, so der Geschäftsbericht von 2007. Verdi selbst verweist darauf, dass der Anspruch auf Arbeitsplatzerhalt und gute Entlohnung sich mit betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten beißt; die Bildungsstätten müssten schließlich konkurrenzfähig in der Branche sein. So wurden denn auch von 2003-2005 über 800.000 Euro in den Personalkosten eingespart. Der Geschäftsbericht lobt die (Verzichts-) Bereitschaft der Beschäftigten, ohne die dasselbe Angebot nicht aufrechtzuerhalten gewesen wäre. Denn bei Verdi weiß man: „ohne die Leistungsbereitschaft der ver.di-Beschäftigten ist eine Neuausrichtung der Organisation hin zu einem erfolgreichen Unternehmen nicht zu schaffen.“ Ausgegliedert hat Verdi auch die ver.di-Vermögensverwaltungsgesellschaft (VGG), die mit der Vermehrung des Kapitals der Gewerkschaft beauftragt ist (siehe unten). Dazu nur eines: die VGG hält die Gebäude der Bildungsstätten von ver.di und vermietet sie wiederum an die Gewerkschaft. Ohne Kommentar.
Die Gewerkschaft als Kapitalistin, … Damit aber nicht genug. Die Gewerkschaften setzen dem ganzen noch die Krone auf, indem sie als ausgemachte Kapitalisten operieren. Der DGB-Geschäftsbericht von 2006 gibt zwar vor, dass „der DGB wie seine Mitgliedsgewerkschaften ausschließlich vom Beitrag der Mitglieder abhängig ist“, die Wahrheit sieht aber anders aus. Neben schon erwähnten Ausgliederungen lassen die Gewerkschaften nämlich auch ihr Vermögen arbeiten, und das besteht aus Finanzanlagen, Immobilien und Beteiligungen. Genaue Informationen über das Volumen dieser Aktiva zu bekommen, erweist sich als schier unmöglich. Gerd Herzberg, stellvertretende Verdi-Vorsitzender, gab 2007 in seinem Finanzbericht mit dem programmatischen Titel „Finanzkraft ist Kampfkraft“ zu verstehen: „Unser Vermögen ist unsere Streikkasse, und die werde ich angesichts laufender Tarifauseinandersetzungen und im Hinblick auf mögliche größere Auseinandersetzungen in den nächsten Jahren nicht offenlegen“, womit er sich geschickt aus einer kontroversen Angelegenheit herausredete. Viele Verdi-Mitglieder wären sicherlich erschüttert, wenn sie wüssten, was ihre Gewerkschaft für Geschäfte betreibt.
Es ist zum Kopfschütteln, denn spätestens seit der Rentenreform 2001 machen die Gewerkschaften umfangreiche Aktiengeschäfte. Nach US-Vorbild unterhalten sie Pensionsfonds, um Kapital für die Altersvorsorge zu bilden. Die Gewerkschaften zahlen hierbei in überbetriebliche Fonds ein, die dann gewinnbringend an der Börse langfristig angelegt werden. Die Pointe dabei: damit die Rente ihrer Klientel wächst, müssen sie auf steigende Kurse spekulieren – und damit auf all die kapitalistischen Sauereien, die damit verbunden sind.[19]
Doch der Aktienhandel dient nicht nur der Altersvorsorge. Unverblümt erklärt z.B. Herzberg, dass solche Operationen der Finanzierung der Gewerkschaft generell dienen. Andere Zwecke haben die hiesigen Gewerkschaften bisher nicht verlauten lassen. Die Vorbilder in den USA sind da zumindest nicht ganz so einseitig. Dort versuchen Gewerkschaften immerhin ihre Macht als Anteilseigner auch strategisch zu nutzen.[20] In Deutschland scheint das nur in Verlegenheitssituationen angedacht zu werden.[21] Bspw. Vertraut Verdi große Summen aus der Pensionskasse der äußerst dubiosen Investmentfirma Blackstone an.[22] Im letzten Jahr drohte man dann mal ausnahmsweise mit dem Abzug der Gewerkschaftsgelder, wenn Blackstone nicht von seinem harten Sanierungskurs bei der Deutschen Telekom abließe. Wir erinnern uns: Verdi befand sich damals in einem wichtigen Arbeitskampf, um die Sanierung durch Out-Sourcing abzuwehren. Die Drohung wurde noch im Mai wiederholt. Letztlich waren das aber nur leere Worte und von dieser Marktmacht wurde nicht Gebrauch gemacht. Und so fließt der eine oder andere Euro auch schon mal in Unternehmen, die die üblichen Mätzchen wie Rationalisierung, Out-Sourcing, Standortverlagerung usw. betreiben.
… Investorin und Immobilienhai Was die Beteiligungen betrifft, so berichtete zwar der Tagesspiegel im März 2005, dass die „Gewerkschaften als Unternehmer aufgeben“ und die Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften (BGAG) ihre Beteiligungen verkaufe, was im Zuge dieses Prozesses aber so alles vonstatten ging und geht, ist auch nicht ohne. Die BGAG, deren Aufgabe es ist, das Vermögen der beteiligten Gewerkschaften zu vermehren, sollte allmählich aus der Wohnungs- und Gemeinwirtschaft aussteigen. Bereits 1986 wurde die Wohnungsbaugesellschaft des DGB, die Neue Heimat,[23] abgewickelt und die Bestände mit erheblichem Verlust an die Wohnungsbaugesellschaften der Bundesländer verkauft. Vor allem in den letzten Jahren wurden viele Beteiligungen an dubiose Konzerne abgestoßen, so z.B. 2005 die Allgemeine Hypothekenbank Rheinboden an den US-Finanzinvestor Lone Star, den wir noch aus dem Kampf in Nordhausen in Erinnerung haben. Auch die Volkshäuser des DGB wurden an Investoren verkauft und werden nun gemietet. Da fragt man sich schon mal, ob es damit nicht noch schlimmer gemacht wurde, als wenn die Gewerkschaften die Beteiligungen selbst gehalten und etwas anderes damit angefangen hätten, als sie der reinen Privatwirtschaft zuzuführen.
Während der DGB-Dachverband weitestgehend aus dem Immobilienmarkt ausgestiegen ist, bleibt Verdi dort weiter munter tätig. Die Dienstleistungsgewerkschaft ist z.B. über die VVG stark beteiligt an der Wohnungsbau- und Verwaltungsgesellschaft DAWAG. Der Verdi-Finanzbericht frohlockt diesbezüglich: „Die DAWAG hat einen Wohnungsbestand von rund 6.000 Wohnungen, und es sind … in der DAWAG erhebliche Finanzanlagen. Die DAWAG trägt erfreulicherweise erheblich zu unseren Vermögenserträgen bei.“ Daneben gehören Verdi selbst 48 Objekte, davon 34 Gewerbeimmobilien und 14 Bildungsstätten, wovon ein Teil fremd vermietet wird. Herzberg selbst sieht darin „eine gute Wertanlage“. Momentan versucht Verdi, aufgegebene Bildungsstätten gewinnbringend zu verkaufen.
Schließlich unterhält Verdi noch die Immobilienverwaltungsgesellschaft der ver.di GmbH. Im Mai kam es in Berlin zur Besetzung eines Hauses dieser Gesellschaft, das zu Spekulationszwecken seit Jahren leer steht. Damit protestierten die BesetzerInnen u.a. gegen Verdis Immobilienpolitik und bemerkten richtigerweise: „Denn anstatt der Verwertungslogik kämpferisch etwas entgegen zu setzen, wie es sich für eine Gewerkschaft gehört, ist ver.di fröhlich mit dabei.“[24] Wenn Herzberg betont: „Wir machen das …., um die finanziellen Grundlagen unserer Kampfkraft zu stärken“, dann zeugt das von der starken Verwurzelung kapitalistischen Denkens in diesen Kreisen. Verdi und der DGB machen nicht nur Geschäfte mit dem Lebensraum, der für viele Menschen existentiell ist. Dafür und für all die anderen kapitalistischen „Engagements“ der DGB-Gewerkschaften gibt es keine Entschuldigung.
Anmerkungen
- Im Prinzip sind in Deutschland alle etablierten
Gewerkschaften gelb. Siehe M. Seiffert, „Die AUB und die Rolle gelber Gewerkschaften“,
Direkte Aktion Nr. 181. - Siehe dazu die beiden Diskussionstexte der FAU Neustadt a.d.W. und der FAU Moers zum Thema Betriebsrat, Direkte Aktion Nr. 185 & 186.
- Nach dem 2. WK gab es eine große Bewegung zur Sozialisierung der Wirtschaft, zumindest der größeren und bedeutsamen Betriebe. Dies wurde schließlich reduziert auf eine „Mitbestimmung“, die 1951 im BetrVG festgeschrieben wurde. Teil dieser Regelung war auch die Gründung und Besetzung von Aufsichtsräten in Betrieben mit mehr als 1.000 Beschäftigten. Hierfür wurde eine „paritätische Mitbestimmung“ festgelegt, wonach die Beschäftigten die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder wählen sollten. In größeren Betrieben, zunächst nur des Bergbaus (daher „Montan-Mitbestimmung“), wurden zwei Aufsichtsratsmitglieder direkt von der zuständigen Gewerkschaft (also ausschließlich DGB-Gewerkschaften) benannt. Als 1972
das BetrVG novelliert wurde, blieben die Regelungen über die Aufsichtsräte aus dem BetrVG von 1951 in Kraft. 1976 dann wurde das Ganze im „Mitbestimmungsgesetz“ auf alle Betriebe mit über 2.000 Beschäftigten ausgedehnt. Mittlerweile wurden diese Regelungen in einem einzigen Gesetz zusammengefasst. Offiziell dient der Aufsichtsrat zur Kontrolle des Managements bzw. Vorstands, zum „Wohle des Unternehmens“, versteht sich. Unternehmer haben immer eine Stimme mehr. - „Luftverkehr läuft trotz Streik normal“, Tagesspiegel, 28.07.2008.
- So Brüderle auf dem FDP-Portal www.fdp-rlp-aktuell.de.
- Presseportal der Rheinischen Post, 01.08.2008.
- Michael Albert spricht z.B. von einer „Koordinatorenklasse“. Siehe „Ein Vorschlag zur Güte“, Direkte Aktion Nr. 188.
- Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung notwendige Eigenschaft einer Gewerkschaft. Gegnerfrei ist eine Organisation, wenn keine finanzielle oder personelle (z. B. durch Mitgliedschaft von Arbeitgebern) Abhängigkeit von sozialen Gegenspielern besteht.
- „Krauß soll neuer Transnet-Chef werden“, Süddeutsche Zeitung, 09.05.2008.
- „Zur aktuellen Kritik der Mitbestimmung im Aufsichtsrat“, Februar 2004.
- Die Abgeordnetenliste des Bundestages kategorisiert nur nach Grundberufen. Die Angaben beruhen deshalb auf eigenen Berechnungen.
- Der Begriff wird zwar ausschließlich zur Charakterisierung von US-Gewerkschaften verwendet (vorwiegend aufgrund der eigentümlichen industriellen Beziehungen in den USA), doch es scheint plausibel, diesen Begriff ebenso für die deutsche Gewerkschaften und ihr sozialpartnerschaftliches Konzept anzuwenden, das sich zunehmend unternehmensmäßig entwickelt hat.
- Meine kleine persönliche Meinung ist, dass es zahlreiche Gewerkschaftslinke im DGB gibt, die sich zwar keine Illusionen mehr über den Charakter ihrer Gewerkschaft machen, die sich aber dennoch nicht dem Aufbau einer Alternative außerhalb verpflichten, weil sie irgendwelche Pöstchen und Posten innehaben, die sie als ihren Job und als Ort, wo sie anerkannt sind,
betrachten und folglich nicht aufgeben wollen. - DGB-Geschäftsbericht 2002-2005 (.pdf), S. 135.
- Finanzbericht auf dem Verdi-Bundeskongress 2007.
- M. Schiermeyer, „Gewerkschafter pfeifen den Verdi-Vorstand aus“, Stuttgarter Zeitung, 12.10.2006.
- Aus: Prekär. Zeitung für die Beschäftigten in der Weiterbildung (GEW), Nr. 10, Dez. 2003 (.pdf).
- Siehe dazu den Artikel „Besuch bei einer DGB-eigenen PSA“ auf www.fau.org vom 02.04.2004.
- Siehe Brost & Niejahr, „Kapitalisten im Blaumann“, Zeit online, 11/2001.
- Siehe Buchter, „Klassenkampf mit Aktien“, Zeit online, 25/2004.
- Eine der wenigen strategischen Erwägungen stammt von IG-Metall-Chef Berthold Huber, wobei er Anteileignung weniger als Mittel der Druckentfaltung begreift, sondern als Mittel der Bereicherung im Shareholder-Sinne. Siehe „Aktien und gewerkschaftliche Verteilungsstrategien. Gedanken und Anmerkungen“ (.pdf), in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Nr. 8-9 (2000), S. 518-24. Auch in andere Richtungen gedacht, bleibt eine gewerkschaftliche Aktienstrategie, wie z.B. in den USA, mehr als fragwürdig.
- Z.B. übernahm der Investmentriese in Deutschland einen großen Bestand von Immobilien aus öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften, so dass Investitionen aus dem öffentlichen Wohnungsbau nun auf dem freien Markt verschleudert werden.
- Auch eine dubiose Angelegenheit: Schon allein die Tatsache, dass der DGB nach der Übernahme 1952 den Namen des Wohnungsunternehmens beibehielt, der 1939 von den Nazis eingeführt wurde, sollte zu Denken geben. 1982 kam es dann zu einer Affäre. Es stellte sich heraus, dass sich die Vorstandsmitglieder, trotz enormer Verschuldung des Unternehmens, persönlich bereichert hatten, z.T. direkt an den Mietern.
- „Stellungnahme zur Besetzung des Gebäudes Michaelkirchplatz
45…“
Ein Kommentar zu «Hansen ist überall»