Kollateralschäden der Globalisierung?

Weltweit erkranken immer mehr Menschen infolge von psychosozialen Belastungen am Arbeitsplatz. Stress, Angst, Depression, Burnout, aber auch Mobbing und andere aggressive Verhaltensweisen sind Kennzeichen einer globalisierten Arbeitswelt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht im Jahr 2030 depressive Erkrankungen direkt nach AIDS an zweiter Stelle der Krankheiten, die die Menschheit am meisten belasten werden.

Derzeit brennen bis zu 25% aller Europäer und Europäerinnen mindestens einmal in ihrem Leben aus. Laut deutschen Rentenversicherern und Krankenkassen sind seelische Erkrankungen der häufigste Grund für Berufsunfähigkeit. Die Tatsache, dass heute offener über psychische Leiden gesprochen wird und Ärzte aufgrund einer weiterentwickelten Forschung ein höheres Augenmerk auf derartige Gesundheitsstörungen legen, kann diese dramatische Entwicklung nur partiell erklären. Viel versprechender ist da schon der Blick auf die infolge der Globalisierung stark veränderte Arbeitswelt und die von Experten als krankheitsfördernd eingeschätzten Faktoren.

Struktureller Wandel der Arbeitswelt

Der moderne Kapitalismus ist geprägt durch eine rasante Technikentwicklung, die dazu führt, dass sich Produktionskonzepte immer schneller verändern und die Halbwertszeit des existenzsichernden Wissens immer kürzer wird. Die durch die Logik des Marktes vorgegebene Notwendigkeit immer höherer Gewinne in den Konzernen führt zu einem verschärften Ökonomisierungs- und Flexibilisierungsdruck, der eins zu eins an die Beschäftigten weitergegeben wird. Knapp bemessene Personaldecken, die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse und in der Folge gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen sind das Resultat dieser perversen Höher-Schneller-Weiter-Logik.

Als Hauptursachen für die Entstehung eines Burnouts sowie anderer psychischer Erkrankungen gelten: Leistungsdruck, Hektik, mangelnde Wertschätzung durch Vorgesetzte und KollegInnen, eine durch die Massenentlassungen des vergangenen Jahrzehntes begründete Angst vor Arbeitslosigkeit, ständige Restrukturierungen, eine hohe Arbeitslast, häufig kombiniert mit einem geringen Entscheidungsspielraum der einzelnen Beschäftigten und eine aus Effizienzgründen starke Segmentierung von Arbeitsabläufen, die den Einsatz der Bandbreite persönlicher Fähigkeiten nicht mehr abfragt.

Hinzu kommt die Tatsache, dass Erwerbslose als Folge der Flexibilisierung von Arbeitszeiten zunehmend besonders belastenden Arbeitszeitregelungen ausgesetzt sind. Laut der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin schafft in Deutschland bereits jeder vierte zumindest gelegentlich in Schichtarbeit, knapp 70% sind mindestens hin und wieder von Samstagsarbeit betroffen und für ca. 40% endet der Arbeitsalltag auch an Sonn- und Feiertagen nicht immer. Von Nachtdiensten ist jeder Fünfte zumindest zeitweise betroffen.

Nicht wir, sondern diese Welt ist krank!

Wollte man die Zunahme psychischer Erkrankungen aufgrund von Lohnarbeit tatsächlich verhindern, müsste Arbeit in einer Art und Weise organisiert werden, die kaum zu einem kapitalistischen System passt, welches Menschen auf Kostenfaktoren reduziert. Das Problem an der Wurzel packen hieße: Kapitalismus abschaffen! Kein Wunder also, dass empfohlene Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung psychischer Erkrankungen mehrheitlich auf das einzelne Individuum abzielen. Stressmanagement, Entspannungsübungen, Yoga und Meditation sind nur einige der empfohlenen Maßnahmen, um die eigene Verwertbarkeit zu sichern und dem permanenten Leistungsdruck am Arbeitsplatz gewachsen zu sein.

Selbst der Begriff „Burnout“ ist symptomatisch für diese Zeit. Immerhin impliziert er, dass Betroffene etwas geleistet haben, bevor sie krank wurden. Er ist damit im Vergleich zum Begriff der Depression weit weniger stigmatisierend. Dennoch ist gerade im Bezug auf Burnout und andere psychische Symptome eine extrem hohe Dunkelziffer in den Betrieben anzunehmen. Zu groß ist häufig die Angst, mit einer derartigen Erkrankung offensiv umzugehen, zu groß die Angst, aufs berufliche Abstellgleis zu geraten und beim nächsten Restrukturierungsprozess ausgemustert zu werden.

Hinzu kommt die realistische Annahme, die Krankheit könnte eher als persönliches Versagen denn als Folge zunehmend krankmachender Arbeitsbedingungen gewertet werden. Dabei wäre gerade ein kollektiver und offensiver Umgang mit derartigen Leiden der erste Schritt, um die verantwortlichen Firmenchefs, Konzernbosse und Aufsichtsräte unter Zugzwang zu bringen. Ein entstigmatisierender und offensiver Umgang in Verbindung mit gesundheitspolitischen Forderungen könnte immerhin dazu führen, dass künftig sowohl Burnout als auch andere seelische Leiden als Berufskrankheit anerkannt werden. Das Risiko für Arbeitgeber, sich gehäuft mit Schadensersatz- und Schmerzensgeldklagen konfrontiert zu sehen und zudem möglicherweise öffentlich einen Reputationsschaden zu erleiden, würde damit vermutlich steigen. Denn Arbeitgeber haften für absehbare und billigend in Kauf genommene Gesundheitsschäden, wenn sie keine geeigneten Schutzmaßnahmen ergreifen.

 

Quellen:

  • Institut Arbeit und Technik (Hg.), IAT–Report 2006, Gelsenkirchen 2006.
  • Hans-Peter Unger & Carola Kleinschmidt, Bevor der Job krank macht, München 2006.
  • AiB Verlag (Hg.), Arbeitsrecht im Betrieb, Nr. 9/2008.

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