Kohlekraftwerk Mainz/Wiesbaden vor dem Aus?

„Lasst die nur demonstrieren, solange wir regieren!“ Der Ausspruch des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl während der Mobilisierungen gegen die Stationierung von Pershing- II-Raketen Anfang der 80er ist mir noch gut in Erinnerung. Selten hat ein Politiker deutlicher zum Ausdruck gebracht, was er, einmal gewählt, von der Meinung der Bevölkerung hält. Ähnlich mögen die Regierenden der beiden Landeshauptstädte Mainz und Wiesbaden im Bezug auf das von der Kraftwerke Mainz-Wiesbaden AG (KMW) geplante Kohlekraftwerk gedacht haben. Möglich, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Nach Kundgebungen, Infoveranstaltungen, Fahrraddemos, Rathausbesetzung, Großdemonstrationen, 60.000 Einwendungen und einer Ladung Steinkohle im Laden der Wiesbadener Stadtwerke (ESWE), eines der beiden KMW-Besitzer, erodiert in beiden Stadtparlamenten die Front der Kohleunterstützer (siehe auch DA Nr. 182 u. 185). Da nach momentaner Einschätzung eine Zuspitzung vom Protest zum Widerstand – Stichwort „Bauplatzbesetzung“ – nicht absehbar ist, folgt nun ein etwas untypischer…

… Exkurs in parlamentarische Niederungen

Nach gehörigem Druck der Bürgerinitiativen zwang die Basis der Wiesbadener Grünen ihre Fraktion per Mitgliederentscheid Ende September, einen Antrag im Stadtparlament auf Planungsstopp für das Kraftwerk einzubringen. Dieser wurde mit großer Mehrheit gegen die Stimmen von CDU und FDP angenommen. Der Magistrat der Stadt und Oberbürgermeister Helmut Müller (CDU), als Aufsichtsratsvorsitzender der ESWE, sind nun aufgefordert, den Beschluss umzusetzen. Da Müller ankündigte, dies zu ignorieren, deutet alles auf eine juristische Auseinandersetzung hin.

Die seit zwei Jahren in der Jamaika-Koalition mitregierenden Grünen hatten bisher außerparlamentarisch gegen den Kraftwerksbau demonstriert, das Thema regierungsintern jedoch ausgeklammert, um das gute Koalitionsklima nicht zu stören. CDU und FDP wiederum versuchten, das Einbringen des Antrags zu verhindern, indem sie diesen als illegal bezeichneten. Erst der Verwaltungsgerichtshof in Kassel musste die Parteien in einer Art Nachhilfestunde darüber informieren, „dass in einer parlamentarischen Demokratie das Stadtparlament als Entscheidungsgremium über wichtige Themen der Stadtpolitik diskutiert und abstimmt. Der umstrittene Bau des Kohlekraftwerks gehört unzweifelhaft dazu.“ Das zuvor von der CDU lauthals angedrohte Ende der Koalition im Falle einer Antragstellung durch die Grünen scheint mittlerweile schon wieder vom Tisch zu sein. Auch in den Niederungen der Lokalpolitik kleben die Damen und Herren so sehr an ihren Posten, dass in der Herbstpause sicher eine den Status quo erhaltende Lösung ausgemauschelt werden wird. Den Bürgerinitiativen bleibt dann die undankbare Aufgabe vorbehalten, den Druck zur Umsetzung des Beschlusses aufrecht zu erhalten.

Ähnlich entlarvend stellt sich die politische Farbkonstellation in Mainz dar. Dort hatte bis zum Sommer eine ganz große Koalition aus CDU, SPD und FDP im Stadtparlament den Bau gegen die übergroße Mehrheit der Bevölkerung (nach Umfragen 82%) forciert. Aufgrund des außerparlamentarischen Drucks hat ausgerechnet die CDU nasse Füße bekommen und die Seiten gewechselt. Gemeinsam mit Grünen und ÖDP wurde ein neuer Bebauungsplan für das Industriegebiet, auf dem das Kraftwerk entstehen soll, verabschiedet. Dieser schreibt eine Höhenbegrenzung für Neubauten von dreißig Metern vor. Für ein Kohlekraftwerk mit Schornsteinen von 150m Höhe das Aus! Gegen den Bebauungsplan klagt wiederum der Mainzer Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende der Stadtwerke Mainz (ENTEGA) Jens Beutel von der SPD.

Repression? Aber sicher!

Als denkender Mensch erwischt man sich bei dem Gedanken, die maßgeblich beteiligten PolitikerInnen verfolgten eventuell ihre Privatinteressen und dies gehöre dann strafrechtlich verfolgt. Die Realität jedoch sieht anders aus. Verfolgt werden die AktivistInnen des „Arbeitskreises Umwelt Wiesbaden“ (AKU). Wegen einer Balkonbesetzung des Wiesbadener Rathauses im Frühsommer flatterten ihnen mittlerweile Strafbefehle über insgesamt 12.000 Euro ins Haus. Schon zuvor war es bei einem AKU-Mitglied zu einer Hausdurchsuchung gekommen. Im November 2007 hatten UmweltaktivistInnen eine Schubkarre Steinkohle in den Eingang des ESWE-Ladens gekippt (siehe DA Nr. 185). ESWE stellte einen Strafantrag über 3.000 Euro, weil Kohlestaub (!) Schäden im Laden hervorgerufen habe. Die Staatsschutzabteilung der Wiesbadener Polizei entblödete sich nicht, aufgrund dessen eine Hausdurchsuchung zur „Ermittlung der an der Aktion beteiligten Personen“ durchzuführen.

Evelyn Pfister vom AKU betont, dass sich die AktivistInnen von solchen Maßnahmen keinesfalls einschüchtern lassen. „Die Starrköpfigkeit, mit der einige Politiker und der KMW-Vorstand an einem ökologie- und gesundheitsfeindlichen Projekt festhalten, zwingt uns dazu, weiter Druck zu machen!“

 

Weitere Informationen unter www.aku-wiesbaden.de

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