Am 7. Oktober 2009 verstarb im Alter von 70 Jahren unser Freund und Genosse Jörg Schulz-Trieglaff.
Kennen und schätzen gelernt hatte ich Jörg bereits vor etwa acht Jahren – typischerweise für ihn während einer anti-militaristischen Kundgebung. Er kaufte eine Ausgabe der „Direkten Aktion“, um mich daraufhin im Gespräch mit fundierten Kenntnissen über die Geschichte der anarchosyndikalistischen Bewegung zu überraschen. Ein Satz ist mir davon bis heute im Gedächtnis geblieben: „Auch in Deutschland müsste es eine Alternative zum DGB geben, eine starke anarchosyndikalistische Bewegung, wie sie sich in Spanien entwickelte.“ Unsere Wege sollten sich in den folgenden Jahren bei ähnlichen Gelegenheiten noch viele Male kreuzen.
Überlegt und klar
Jörg verstand sich als gewaltfreier Mensch, war ein Verfechter von Aktionen des zivilen Ungehorsams. Einst selbst Bundeswehroffizier, Historiker und Wehrgeschichtslehrer, begann er, sich friedenspolitisch zu engagieren. 1983 wurde er Mitbegründer und einer der Sprecher des Arbeitskreises Darmstädter Signal, nach eigener Beschreibung „eine Vereinigung von Soldatinnen und Soldaten, die sich für eine Abrüstung und für ein friedliches Zusammenleben der Menschen, gegen verfassungs- und völkerrechtswidrige Kriegseinsätze der Bundeswehr und gegen interne Missstände (neofaschistische Tendenzen, Schikanen durch Vorgesetzte) einsetzen.“ Jörg brach mit dem Militarismus und hat seinen Weg im friedenspolitischen Bereich konsequent fortgesetzt. Neben vielen Initiativen gehörte er auch der Graswurzelgruppe Hannover an.
Jörg war ein durch und durch engagierter Mensch. Er war jemand, der sich einmischte, für den gesellschaftspolitisches Engagement fester Bestandteil eigener Lebensplanung zu sein schien – vor allem im friedenspolitischen Bereich und in der Dritten-Welt-Solidarität. Als aufmerksamer Beobachter seiner Zeit kam er in Diskussionen mit seiner überlegten, einfühlsamen und von verblüffender Klarheit geprägten Art immer punktgenau auf den Kern des Problems. Jörg fand es wichtig, präsent zu sein, das Feld nicht dogmatischen VerfechterInnen einer „reinen Lehre“ zu überlassen. Er ergriff Partei, in unzähligen Veranstaltungen und Zusammenkünften. Er schrieb Leserbriefe, regelmäßig an die Tageszeitung „junge Welt“, wandte sich mit Offenen Briefen und Protestschreiben an PolitikerInnen. Jörg war ein wahrer Freigeist, ein vielseitig interessierter und anregender Mensch. Solidarität war für ihn keine Phrase – er lebte sie, ohne Aufhebens davon zu machen, großzügig und zugleich sehr bescheiden.
Sinnvoll engagieren
Jörg war es ein Anliegen, „die FAU zu unterstützen“. Ganz praktisch, auch wenn oder gerade weil er Rentner war. Er beteiligte sich an zahlreichen gewerkschaftlichen Aktionen, darunter zur Unterstützung der Beschäftigten der Buchhandelskette Weiland 2005, der von PLUS in Spanien gekündigten CNT-Genossin Fatima sowie der FAU-Genossen während des Streiks im Öffentlichen Dienst 2006, am Protest zur Jahreshauptversammlung des Klinikum Wahrendorff 2007 und alljährlich zum 1. Mai. Der FAU Hannover war er im Januar 2005 beigetreten. In den letzten eineinhalb Jahren konnte er nur noch sporadisch an den Treffen teilnehmen – gesundheitliche Probleme zwangen ihn dazu. Dennoch hielt er regelmäßig telefonischen und brieflichen Kontakt, nahm Anteil an den Entwicklungen und dem Wirken der Lokalföderation.
In einem Leserbrief an die „junge Welt“ vom August 2007 beschrieb Jörg treffend, wonach er lebte: „Das Konzept, ein sozialistisches Gesellschaftsmodell in einem begrenzten Gebiet durchzusetzen und es militärisch abzusichern, muss scheitern. […] Der Widerspruch zwischen dem edlen Ziel und seiner gewaltsamen Realisierung ist einfach zu groß und macht es wenig überzeugend und glaubwürdig. Wir wissen zwar, dass sich die Oligarchen des Kapitals nicht überstimmen lassen, sich auch guten Argumenten kaum beugen werden und zudem eine zahlreiche Anhängerschaft aufbieten können. Doch es bleibt Aufgabe, die alternative Gesellschaft in mühsamer politischer Arbeit, in Übereinstimmung von Ziel und Mitteln, ohne Zwang und Terror einzuführen. Sich auf diese Weise zu engagieren ist sinnvoller, als immer wieder Entschuldigungen und Ausreden für die Fehler der Vergangenheit zu suchen.“
Heiko Grau-Maiwald (FAU Hannover)