Alle zwei Jahre kommen die aktiven Organizerinnen und Organizer der Industrial Workers of the World (IWW) zusammen, um ihre Erfahrungen im Arbeitskampf, aus Kampagnen und ihre Strategien auszutauschen und voneinander für zukünftige Kämpfe zu lernen. Anfang Februar fand der diesjährige sogenannte Organizing Summit in Boston statt. Ein Schneesturm sorgte allerdings für Chaos, da die öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr fuhren, das Befahren der Straßen verboten wurde und daher viele angemeldete TeilnehmerInnen, u.a. auch Noam Chomsky, nicht kommen konnten. Durch Improvisation wurde das Programm angepasst und das Privathaus einer der Koordinatoren der Veranstaltung spontan zum Tagungsort umfunktioniert, bei dem auch alle Teilnehmenden untergebracht wurden, da ihnen der Transport zu anderen Übernachtungsmöglichkeiten polizeilich untersagt wurde.
Trotz der widrigen Umstände konnte ein konstruktiver und erkenntnisreicher Austausch organisiert werden, bei dem in Kleingruppen und im Plenum, in Workshops und in Trainings über eine Vielfalt von Themen diskutiert wurde. Von der strategischen Planung von Kampagnen, über die wirksame Einbeziehung direkter Aktionen bis hin zur sinnvollen Organisierung von Zuliefererketten. Außerdem gab es formelle und informelle Treffen verschiedener Arbeitsgruppen, wie dem Netzwerk aller Organisierungskomitees im Lebensmittel- und Einzelhandelbereich, der Kommission für Internationale Solidarität, dem Organisierungskomitee der TrainerInnen und dem Komitee Widerstand gegen das Patriarchat in der IWW. Beim interaktiven Workshop zur direkten Aktion ging es vor allem darum, wie man ganz konkret den Boss davon abhalten kann, das zu bekommen, was er will, bis wir das erhalten, was wir wollen. Der Sieg ist dann wahrscheinlich, wenn es das Unternehmen mehr kosten würde Widerstand gegen unsere Kampagne aufrechtzuerhalten als Zugeständnisse zu machen. Beispiele hierfür sind nicht nur Besetzungen und die darauf folgende Umwandlung in Selbstverwaltung, sondern auch die Taktik des Sekundärdrucks. Hierzu gehört etwa das Einbeziehen von Zulieferer-Ketten, etwa indem man Geschäftspartner dazu bringt Lieferungen zu stoppen. Druck kann natürlich auch auf involvierte PolitikerInnen oder allgemein mit Hilfe der Öffentlichkeit ausgeübt werden. Die zentrale Frage hierbei ist, wie wir als Angestellte in einem Betrieb Macht aufbauen und Legitimation schaffen sowie Solidarität unter unseren KollegInnen entwickeln können.
Strategie des „Scaling up“
Im Plenum wurden auch einige der „Vorzeige“-Kampagnen vorgestellt, etwa bei der weltweiten Kaffeehauskette Starbucks oder dem amerikanischen Sandwich-Franchise Jimmy John`s. Hierbei wurde auch über die Taktik des Scaling up gesprochen. Scaling up meint, die Kampagne über die Unternehmensgrenzen hinweg auf den gesamten Industriezweig auszuweiten. Das steht im Gegensatz zu Scaling down, wo der einzelne Betrieb oder die einzelne Niederlassung eines größeren Unternehmens im Mittelpunkt steht. Wenn jedoch in vielen verschiedenen Niederlassungen des selben Unternehmens organisiert wird, wird aus taktischen Gründen oft statt allein des IWW-Logos eher das Label einer „Unternehmensgewerkschaft“ benutzt, wie etwa im Falle der „Starbucks Worker‘s Union“, zur einfacheren Identifizierung für neue Mitglieder. Eine andere Möglichkeit des Scaling up ist die Organisierung eines ganzen Sektors. Innerhalb der IWW etwa, gibt es ein USA-weites Netzwerk für den Lebensmittel- und Einzelhandelsbereich, deren Mitglieder basisdemokratisch gemeinsame Strategien entwickeln und im regelmäßigen Austausch stehen, um koordinierte Aktionen auf die Beine zu stellen. Hierfür ist es wichtig, etwa durch Organizer-Trainings, immer wieder OrganizerInnen zu produzieren, was besonders in Franchiseunternehmen aufgrund der ähnlichen Problemlagen sinnvoll ist. In solchen Trainings lernt man, wie man strategisch organisiert, seine KollegInnen anspricht, Risiken antizipiert und im Kollektiv erfolgsgerichtet plant. Zur systematischen Verbreitung dieser Trainings gibt es ein eigens für diesen Zweck eingerichtetes Koordinationskomitee. Mittlerweile gibt es in fast jeder Ortsgruppe TrainerInnen. Dadurch wird an immer mehr Arbeitsplätzen in den USA, aber mittlerweile auch in Europa, Kanada und Australien organisiert, ohne dabei jedesmal bei Null anfangen zu müssen.
Mitglied sein und auch bleiben
Durch erfolgreiche selbstgeführte Arbeitskämpfe wächst natürlich auch die Mitgliederzahl. Zumindest vorübergehend. Oft wurde jedoch die Erfahrung gemacht, dass beendete Kampagnen schnell auch das Ende der Mitgliedschaft einiger neuer Mitglieder bedeutet. Hierfür haben Ortsgruppen in Kalifornien ihre eigene Methode der Mitgliederbetreuung entwickelt, die sie mit den Anwesenden teilten. Hier ging es vor allem darum, wie man neue Mitglieder in die IWW einbindet und wie man die Mitgliedschaft durch politische Bildung und gemeinsame Freizeitaktivitäten attraktiver und sinnvoller gestaltet, so dass sich alle mit der IWW identifizieren können, gern auch zu Arbeitstreffen kommen und nach der Anmeldung auch langzeitlich aktiv bleiben. Sinn und Zweck dieses Gruppenbildungsprozesses ist es, die IWW kontinuierlich qualitativ und quantitativ aufzubauen und zu stärken. Es ist wichtig, dass die Mitgliedschaft den ArbeiterInnen einen Mehrwert gibt. Und zwar nicht nur ideologisch und sozial, sondern auch ganz konkret materiell. Viele Mitglieder sind zur IWW gekommen, weil sie sich der Basisgewerkschaftsbewegung, dem Anarchismus oder dem Syndikalismus ideologisch nahe fühlen. Doch die Erfahrung zeigt, dass diese Art der ideologischen Gemeinschaft nicht ausreicht, um emanzipatorisch und ganz konkret am Arbeitsplatz zu organisieren. Wichtig ist es auch durch direkte und strategisch geplante Aktionen materielle Vorteile zu verschaffen. Und zwar nicht nur für einen besseren Lohn und bessere Arbeitsbedingungen, sondern auch und vor allem für die Widerherstellung der Würde und die Erlangung des Respekts. Bei diesem Ansatz geht es vor allem um das Ziel, sich aus dem Sumpf der „Szene“ zu befreien und die Rolle einer emanzipatorischen Gewerkschaft ernst zu nehmen, die zu mehr fähig sein sollte als nur hoch theoretische Diskussionsrunden zur Verherrlichung der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert zu veranstalten – zu der sowieso nur die immer gleichen Verdächtigen kommen.
Inklusion und Exklusion in der Gewerkschaft
Doch auch zum Organizing Summit kamen fast ausschließlich jene üblichen Verdächtigen. Der Großteil der Anwesenden waren weiße, studierte Mittelschichtjungs. Die meisten Anarchisten. Das ist natürlich an sich erstmal nicht schlecht. Wenn man sich jedoch überlegt, dass in den prekären, unterbezahlten Arbeitsplätzen, die sie organisieren, in den USA vor allem nicht-akademische MigrantInnen, People of Colour und Frauen überrepräsentiert sind, fragt man sich, warum diese auf der Tagung kaum zu sehen waren. Das wurde glücklicherweise des öfteren thematisiert und auch nach Auswegen aus dem Teufelskreis gesucht. Es scheint jedoch schwer zu fallen, ein Gleichgewicht zu finden zwischen gendergerechter Sprache und nicht zu akademischen Ausdrucksweisen. Kürzlich hat sich bezüglich des Genderthemas zumindest das „Patriarchy Resistance Committee“ gegründet, das das Machtgefälle zwischen Männern und anderen Geschlechtern aufzuheben sucht. Allerdings widmen sich hauptsächlich Frauen dieser anstrengenden und mühevollen Aufgabe, während Männer die wirklich spannenden Dinge verwirklichen, Verantwortlichkeiten übernehmen und sich als Organizer weiterbilden. Somit reproduziert sich noch einmal dieses ungleiche Verhältnis, da der Kampf gegen Sexismus Zeit und Kraft beansprucht, die sonst in die Aktivitäten investiert werden könnten, die die Männer derweil machen können. Bezüglich der „szene-fremden“ Menschen wurde jedoch leider nicht sehr viel gesagt. Bei der abschließenden Reflektionsrunde gab es jedoch einige Kommentare, die deutlich machten, dass viele ihre KollegInnen nicht zu so einer Veranstaltung wie dem Summit mitbringen würden, da sie sich nicht wohl, sondern ausgeschlossen fühlen würden in diesem Paralleluniversum der vegan-essenden, sich mit Geschlechtskodierungen anredenden und nahezu ausschließlich Englisch sprechenden Leute. Das Organizer-Training etwa gibt es bis heute nicht auf Spanisch, trotz der großen und wachsenden Anzahl lateinamerikanischer MigrantInnen in der Arbeiterklasse in den USA. Es ist interessant, wie die Art der Bemühungen eine Arbeitsatmosphäre zu schaffen, in der etwa alle Geschlechtsidentitäten sich willkommen fühlen, dazu führt, dass sich wieder andere, die diese Sprache nicht kennen, entfremdet und nicht dazugehörig fühlen und somit einmal mehr eine emanzipatorische Veranstaltung, die Menschen handlungsfähig macht, ohne sie stattfindet.