Die Nacht ist schwarz wie eine anarchistische Fahne, als hätte der Horizont sich abgerollt & aufgerichtet und wollte den bodenständigen Sätzen zeigen, was Verwehung ist, wie Höhe entsteht von einem Moment zum anderen & wie man Entfernungen ein- und ausatmet, die der Wind den Innenstädten nachwirft. Ein kleiner Schwenk nur lässt Sterne aufgehen, knipst Denkmäler aus, lässt Stockwerke verfliegen. Selbst die Arbeit verpufft, die Menschenausgabe ist geschlossen, ausgesetzt die übliche Verfütterung von Hirn an die Betriebe. Die heruntergestuften Räumlichkeiten sind in den eigenen Erinnerungen nachzulesen wie Leitartikel veralteter Zeitungen.
So fällt es auf die Straßen, erscheint als Dunkelheit und Tiefe, fällt auf die von tausend Sonnen ausgekochten Dächer des täglichen Gehorsams als ein gemeinschaftlicher Trost und Abkühlung. Über vereinzelte Fundsachen an Lärm hinweg steigt die Nacht, die anarchistische Fahne, ja die Zeit bricht die Schaufenster auf, damit die Sommermoden des Schnauzehaltens von Alexanderplatz bis Times Square verdunsten und die Sehnsucht sich von ihren Trägheiten befreit. Von knallengen Lieblosigkeiten gekrümmt waren unsere Blicke, die Wünsche geschminkt in den Farben der Anpassung, erfunden von Behörden und Geschäftszonen, die uns die Malstifte hinhielten. So verendete unsere Neugier in der Leuchtschrift einer Kaufhauskette oder in Kinoplakaten mit 3D-Effekt.
Das Streben nach Wettbewerb war nur die Bettelei eines kleingebliebenen Verstandes, befleckt waren wir vom wöchentlichen Aufguss der Belanglosigkeiten, doch jetzt ist Nacht, diese anarchistische Nacht, weil der Mensch mehr ist als die Summe seiner Irrtümer und nicht heruntergeschluckt werden kann von Kaufhäusern und Konzernen, die ihn servieren als Beilage zu Samstag und Sonntag auf dem sauberen Teller der Innenstadt mit Sommermotiv. Nein, der Mensch ist nicht entkernbar, das Herz pulsiert in Kellern und Hinterhöfen, schlägt jetzt bis zum Hals der Metropolen, weil die Überzeugungen, die der Besänftigung dienten, nicht als Dichtungsringe taugten.
Herrenlos sind die Baustellen, in denen unsere Verzweiflung aufwachsen sollte, längst umgezogen sind unsere Sätze, die weit in die Nacht reichen, und so sitzen wir am Ende unter Strom wie unter Bäumen, als bereiteten wir unseren Abflug vor, doch es ist die Aufbruchstimmung für eine Idee, die den Menschen großschreibt. In der Nacht werden Geräusche dünner gesät, sagt man, dann treten andere Gedanken hervor, Bilder, die Sprunggelenke in sich haben. Und während von einer unsichtbaren Streikwelle erfasst die Gewohnheit vor sich selbst erschrickt, fällt der Mond in unsere Vergangenheit ein, faustdick, als hätte er voll hingelangt.
Zwei Neonröhren später tauchen angetrunkene Schlagworte auf und verschwinden um die nächste Ecke. Vorbei an Parkhäusern & Einkaufszonen ist ihre Eintagswut bald Richtung Asphalt und Downtown verstorben. Jetzt aber nehmen Gedanken Witterung auf, klopfen sich die Traurigkeiten ab wie Dreck, wagen den Anlauf und springen ab von der Bordsteinkante der Gewissheiten, in denen sich der Alltag sortiert. So tanzt unser Zorn Richtung Morgen, dem unser Gelächter vor die Füße spuckt, weil der mit seinen Halbwahrheiten so großkotzig daherkommt, als könne er Kreuzungen auseinander reißen. Und während sich Wolken auf unsere Hoffnungen stürzen, halten wir an unserem Unmut fest und werfen unseren Sturm in die Welt, aus der soeben eine neue entsteht.
(Auszug aus dem noch unveröffentlichten Band „Hoch lebe sie – die Anarchie!“, Anarchopoetry von Ralf Burnicki, geplant für 2014)
Info: Weitere Texte des Anarchopoeten Ralf Burnicki sind unter anderem in DA 126, 151, 173, 181, 187, 193, 205 und 211 erschienen. In Kooperation mit Michael Halfbrodt erschien der Band Die Wirklichkeit zerreißen wie einen misslungenen Schnappschuss (Anarcho-Poetry, Edition AV), sein Band Zahnweiß (Kaufhauspoetry) beschäftigte sich kritisch mit Kauf- und Konsumwelten (ebenfalls Edition AV).