Mit seinen Romanen bezieht Robert Brack eindeutig Stellung aus einem libertär geprägten Blickwinkel. Sei es mit Blutsonntag, in dem die Geschehnisse des Altonaer Blutsonntages thematisiert werden oder mit seinem zuletzt veröffentlichten Roman Unter dem Schatten des Todes über den holländischen Rätekommunisten Marinus van der Lubbe. Der habe mit seinem Brandanschlag auf den Reichstag „ein Fanal setzen wollen, um die Arbeiter aufzuwecken, endlich gegen die Nazis loszuschlagen“, sagt Robert Brack. Doch geht es ihm nicht um die Glorifizierung van der Lubbes. „Man muss ehrlich sein und sagen, dass die Aktion eindeutig schief gelaufen ist.“
Die Geschichte von van der Lubbe habe ihn besonders interessiert, da sie bis heute „immer noch die einer Verleumdung eines Individuums bzw. eines Kämpfers ist, der ja nun wirklich auf der Seite der Arbeiter oder der revolutionären Bewegung stand“. Dieser sei zuerst sowohl von der stalinistischen KPD als auch von den Nazis missbraucht worden, und später dann von einer breiten, eher linken und sozialdemokratisch orientierten Historikerschicht. Aber warum? „Dass die Kommunisten das gemacht haben, war klar. Das war deren Linie und deren Propaganda. Dass die Nazis ihn benutzt haben, das war auch klar. Aber warum haben eine ganze Reihe von Historikern, die keiner Ideologie verpflichtet und die auch keinem vordergründigen Machtinteresse dienen sollten, ihn so verleumdet? Die Behauptung, er sei Strohmann der Nazis gewesen, ist ja völlig aus der Luft gegriffen. Wie kann so etwas sein, dass Historiker so verbohrt sind in eine Idee, dass sie die ganze Zeit immer wieder ganz offensichtliche Unwahrheiten wiederkäuen und darüber auch große Schlachten führen und nur zur Verschleierung beitragen?“ Dann habe es noch die eher konservativen Historiker gegeben, die ihn als Einzeltäter verteidigt hätten. „Das war so aber auch nicht in Ordnung. Das war ein bestimmtes Kampfmittel zu einer bestimmten Zeit in der Historikerzunft, ein bestimmtes Thema zu besetzen“, resümiert Robert Brack. „Insgesamt ging es den Historikern ohnehin vor allem darum, die Deutungshoheit über ein Ereignis zu gewinnen, und nicht um die Wahrheit oder gar darum, einem Rebellen gerecht zu werden.“ Diese ganze Widersprüchlichkeit habe ihn dazu inspiriert, sich mit der Thematik des Reichstagsbrandes und der Person van der Lubbe auseinanderzusetzen.
„Wie van der Lubbe, der ja eine hochmoralische Tat – wenn auch ungeschickt – in die Wege geleitet hat, in das Räderwerk von Ideologen und Interpretationskämpfern gerät und dadurch vollkommen zerschlissen wird, so dass man am Schluss die Person gar nicht mehr sehen kann, ist natürlich eine Ungerechtigkeit. Das habe ich versucht, mit dem Buch wieder gerade zu rücken.“ Natürlich habe es einige wenige Bücher gegeben, die van der Lubbe gerecht wurden, aber die hat kaum jemand gelesen. „Das Gute an einem Kriminalroman ist ja, dass man eine Geschichte aufarbeiten kann, die jeder verstehen kann, weil sie einfach erzählt wird. Meine Intention war, ihn und die Geschichte verstehen zu wollen, mich zu fragen, was zum Teufel hat ihn dazu getrieben, das zu machen, was er gemacht hat. Wer war er? Wo kam er her? Ich wollte ihn kennen lernen. Ich wollte es endlich ganz genau wissen.“
Alles, was van der Lubbe in seinen Tagebüchern oder Briefen selbst über sich geschrieben habe, sei auch in den Roman eingearbeitet worden, so dass „nicht nur möglichst authentisch, sondern auch wahrhaftig geschildert wird. Auch das, was zweifelhaft ist an ihm. Ein Heißsporn war er auf jeden Fall, und sein großes Fanal hatte genau den gegenteiligen Effekt. Das ändert jedoch nichts daran, dass er jemand war, den man ernst nehmen muss.“
Wenn man sich mit dem Anarchismus oder der anarchistischen Bewegung befasse, sagt Robert Brack, komme man irgendwann auf van der Lubbe. „Da fragt man sich, wer war denn das jetzt? Wieso wird so viel über ihn behauptet, und wieso weiß eigentlich keiner was Richtiges über ihn? Das war für mich der Antrieb. Das hatte mich Jahrzehnte beschäftigt. Aber ich hatte nie die Gelegenheit, mal richtig nachzuforschen. In dem Moment, als ich die Idee für das Buch hatte, habe ich natürlich die gesamte Literatur zusammen gesucht, die ich finden konnte. Darin sind sehr viele O-Töne aus Polizeiakten und Befragungen abgedruckt, es gibt Selbstzeugnisse, seine Tagebücher, die bei genauem Lesen sehr interessant sind. Dann kommt man an den Menschen ran und kann entschlüsseln, was ihn angetrieben hat. Das war das Spannende. Eigentlich eine Detektivarbeit in Bezug auf die Identifizierung eines Rebellen.“
Und dann bleibt natürlich noch die Frage, wie es denn gewesen wäre, wenn Robert Brack zum damaligen Zeitpunkt selbst in Berlin gewesen und die Intention von van der Lubbe aufgegangen wäre? Eine Frage, auf die es keine Antwort geben kann. „Aber als Schriftsteller kann man sich einer Antwort nähern, indem man einen Protagonisten oder, in diesem Fall, eine Protagonistin stellvertretend in die Ereignisse führt. Im Roman ist das die Kommunistin Klara Schindler, die undercover in Berlin im März 1933 im Auftrag der Komintern herausfinden soll, wer van der Lubbe war und warum er den Reichstag anzündete. Die Antworten, die sie findet, lassen sie zur abtrünnigen Kommunistin werden, denn sie möchte sich nicht als kritisch denkendes Individuum von den Stalinisten missbrauchen lassen, auch wenn sie sich der Arbeiterbewegung zugehörig fühlt. Der Nazi-Terrormaschine entkommt sie nur, weil sie Kontakte zu Anarchisten hat, die ja auch schon sehr früh im antifaschistischen Widerstand aktiv waren.“
Robert Brack: Blutsonntag, 256 Seiten, (D) 13,90 Euro, (A) 14,30 Eur, ISBN 978-3-89401-728-6