Auf Baustellen weht ein rauer Wind, soviel ist klar. Auf vielen deutschen Baustellen scheint aber, neben der harten körperlichen Arbeit, auch übelste Ausbeutung und menschenunwürdige Behandlung insbesondere migrantischer ArbeiterInnen aus dem EU-Ausland gängige Praxis zu sein. Neu ist nun, dass sich geprellte Arbeiter zur Wehr setzen. Unlängst fanden polnische Kollegen Unterstützung bei der FAU Freiburg (Direkte Aktion berichtete in Nr. 226), derweil kämpfen rumänische Arbeiter in Berlin – seit November 2014 dort in der FAU organisiert – für ausstehende Löhne von rund 60.000 Euro.
Gearbeitet hatten sie, teils seit Juli, bis Mitte Oktober 2014 im Herzen der Hauptstadt: bei der Errichtung der „Mall of Berlin“, die im Herbst 2014 trotz Mängeln beim Brandschutz feierlich eröffnet wurde. Für den Bau dieses Shopping- und Wohnkomplexes am Potsdamer Platz haben hunderte Arbeiter aus Rumänien – so berichten die Genossen – für kaum sechs Euro Stundenlohn zehn Stunden am Tag geschuftet. Bereits in dieser Zeit war es zu Unregelmäßigkeiten sowie zu Protesten und Arbeitsniederlegungen gekommen. Schließlich wechselten sie – in der Hoffnung auf Besserung – von einem Subunternehmen zum nächsten. Am Ende zahlten beide Subunternehmen nicht einmal die rechtswidrig niedrigen Löhne vollständig aus: „Uns wurde nicht nur der Lohn vorenthalten“, erklärt ein Genosse, „wir haben auch mehrfach Willkür und Drohungen (auch von Gewalt) erfahren. Uns wurden schriftliche Arbeitsverträge vorenthalten und es wurden gar keine oder völlig unzureichende und überteuerte Unterkünfte gestellt.“ Ein anderer sagt: „Ich hatte zwei Ziele, als wir mit den Protesten begonnen haben: Erstens wollte ich um unsere Würde kämpfen, zweitens um das Geld.“ Dann hält er feierlich inne: „Ersteres haben wir schon geschafft.“
Bevor sie der FAU Berlin beitraten, waren die Kollegen bereits beim öffentlich finanzierten Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte in Berlin im DGB-Haus, wo man die wachsende Zahl von Beratungen für ArbeiterInnen aus Rumänien und Bulgarien ebenso bestätigt wie beim interkulturellen Verband Amaro Foro. Dieser Fall darf somit als symptomatisch gelten für die steigende Ausbeutung von ArbeiterInnen aus EU-Ländern, die für Niedrigstlöhne angeworben werden und dann nicht einmal vollständig bezahlt werden. Allerdings ersetzt die rechtliche Beratung und Geltendmachung von Ansprüchen nicht die gewerkschaftliche Aktion.
Dafür sorgte schnell und entschlossen die FAU Berlin und insbesondere die dortige Sektion für migrantische ArbeiterInnen, die Foreigners Section, sowie eine eigens gegründete Arbeitsgruppe. Mit täglichen Kundgebungen und einer lautstarken Demonstration machte die Basisgewerkschaft samt ihrer neuen Genossen in der Vorweihnachtszeit 2014 die „Mall of Shame“ zum Symbol der Ausbeutung migrantischer ArbeiterInnen und, so schreibt die Märkische Allgemeine Ende Januar, „zum Gegenstand der Berichterstattung sämtlicher Berliner Medien“. Tatkräftig unterstützt wurden sie dabei durch FAU-Mitglieder aus dem gesamten Bundesgebiet, die sich an der umgehend ausgerufenen Mail-Protest-Kampagne beteiligten.
„Wir haben nichts mit den Arbeitern zu tun.“
Die Unternehmer (siehe Kasten) versuchen derweil, sich ihrer Verantwortung zu entziehen und distanzieren sich voneinander. Auftraggeber Harald Huth (HGHI) lässt sich mit den Worten zitieren: „Wir haben nichts mit den Arbeitern zu tun. Das ist Angelegenheit der FCL, die wir für alle erbrachten Leistungen vollständig bezahlt haben.“ Die ausführende FCL indes meldete Mitte Dezember Insolvenz an. Das allerdings hindert Ex-Geschäftsführer Andreas Fettchenhauer weder daran, mit rund einem halben Dutzend Firmen weiter im Baugewerbe tätig zu sein, noch an dem Versuch, der FAU Berlin per Einstweiliger Verfügung einen Maulkorb zu verpassen. Vertreter der Subunternehmen erklärten indes wahlweise „nie rumänische Arbeiter beschäftigt“ (Metatec) oder aber „ebenfalls kein Geld bekommen“ (Openmallmaster) zu haben – ersterem stehen u.a. sogenannte Verzichtserklärungen entgegen, die einzelne Kollegen für Abschlagszahlungen unterzeichnet haben. Letzteres bestreitet Fettchenhauer vehement. Und während Huth die Zusammenarbeit mit Fettchenhauer Mitte Dezember gekündigt haben will, arbeitet die „FCL Fettchenhauer Construction GmbH“ derzeit in Berlin-Lichterfelde munter am Umbau des LIO-Einkaufszentrums – einem Projekt der Huth’schen HGHI.
Die FAU Berlin setzt die Proteste derweil auch 2015 fort und weitet sie aus, etwa mit Flyer-Aktionen in Lichterfelde oder mit einer Kundgebung bei Metatec. Zudem unterstützte die Basisgewerkschaft ihre Genossen dabei, nun auch vor dem Arbeitsgericht zunächst Klage gegen die Subunternehmen zu erheben und wehrt sich selbst gegen „die Einstweilige“ und die damit verbundene Einschränkung der Gewerkschaftsfreiheit – es bleibt also spannend.
Ein mafiöses Netzwerk
Spannend dürfte auch der Prozess gegen die frühere Berliner Beton-System-Schalungsbau (BSS) GmbH werden, die Ende 2011 (neben anderen Firmen) im Fokus von Ermittlungen der Zoll-Soko „Taurus“ gestanden hat. Damals berichtete der Spiegel über ein „mafiöses Netzwerk“ auf dem Bau – die dort beschriebenen Methoden scheinen dieselben zu sein, denen die Genossen der FAU Berlin unlängst zum Opfer fielen. Im März 2015 wird nun die Hauptverhandlung vor der 24. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main stattfinden: Angeklagt ist – neben dem Subunternehmer Sotirios L. und sechs weiteren Personen – auch der ehemalige Geschäftsführer des Auftraggebers BSS, Peter K., der zusammen mit Fettchenhauer einer von drei BSS-Gesellschaftern war. Während letzterer heute beteuert: „Bei der BSS war ich persönlich zu keinem Zeitpunkt Geschäftsführer“, wies ihn das Impressum der BBS-Website im Oktober 2011 nicht mehr nur als „Assistens“ [sic!], sondern als „Mitglied der Geschäftsführung“ aus. Pikant ist zudem: Das 2011 umgehend erfolgte Dementi zur Berichterstattung infolge der Zoll-Razzien – „bei der BSS [hat es] keine Verhaftungen von Führungskräften … gegeben. Die Geschäftstätigkeit der BSS als solche steht nicht im Fokus der Ermittlungen“ – übernahm mit der Kanzlei Lerch & Coll. eben jene Kanzlei, die 2015 eine Einstweilige Verfügung gegen die FAU Berlin erwirkte.
Aktuelle Informationen: berlin.fau.org/mallwww.facebook.com/mallofshame
Ein Kommentar zur Demonstration: lowerclassmag.com/2014/12/pay-you-fuckers
Die Unternehmer
Der Bau der „Mall of Berlin“ soll nach Angaben des Rundfunk Berlin-Brandenburg etwa eine Milliarde Euro gekostet haben. In Auftrag gegeben wurde er von der HGHI Leipziger Platz GmbH, die Ausführung übernahm eine „Arbeitsgemeinschaft Leipziger Platz N° 12“ unter Geschäftsführung der inzwischen insolventen Fettchenhauer Controlling und Logistic (FCL) GmbH. Direkt verantwortlich für den Lohnbetrug sind die Subunternehmen Metatec-Fundus GmbH & Co. KG aus Berlin-Kreuzberg sowie Openmallmaster GmbH aus Frankfurt am Main, jedoch liegt die Hauptverantwortung für die Zustände auf der Baustelle bei der „Arbeitsgemeinschaft“ und letztlich beim Auftraggeber. Hintergründe in Direkte Aktion Nr. 227.