Selten werden die Mitgliederzahlen der deutschen Gewerkschaft so interessant sein wie dieses Jahr. Der DGB veröffentlicht diese auf seiner Internetpräsenz am Anfang des Jahres.[1]Die Mitglieder der DGB-Gewerkschaften Für einige Einzelgewerkschaften, welche in 2020 keine große Tarifrunde hatten, könnte es doch herbe Mitgliederrückgänge bedeuten. Schon in den letzten Jahren hatten die Gewerkschaften im verarbeitenden Gewerbe mit Verlusten zu kämpfen.
Die FAU hingegen kann weiterhin einen jährlichen Zuwachs im zweistelligen Prozentbereich verbuchen. Insbesondere in den Hochburgen wie Berlin, Hannover, Dresden, Jena, Leipzig und Duisburg vervielfachte sich der Mitgliederbestand im letzten Jahrzehnt.
Auch wenn das Corona-Jahr die Aktiven vor eine besondere Herausforderung stellte, kamen es zu kleinen und einigen großen Aktionen. So musste der jährliche Kongress komplett digital organisiert werden. Auch die meisten Gruppen haben größtenteils per Telefon und mit Hilfe von verschiedenen Online-Tools ihren Organisationsalltag bewältigt.
Arbeitskampf in der Pandemie
Ausgebeutet wird auch in der Pandemie. Insbesondere in Schlachthöfen und auf Spargelfeldern herrschen nach wie vor feudale Bedingungen für migrantische Beschäftigte. Doch Widerstand lässt sich auch unter solchen Zuständen organisieren. Mitte Mai 2020 traten etwa 200 Erntearbeiter*innen des Spargel- & Erdbeerhofs Ritter in Bornheim bei Bonn in den Streik. Der von einer Anwaltskanzlei verwaltete insolvente Betrieb entschied sich, die meist rumänischen Beschäftigten auf die Straße zu setzen, wobei noch Löhne ausstanden. Die FAU Bonn konnte dennoch Paroli bieten. Dadurch konnte verhindert werden, dass die Arbeiter*innen selbst unter Druck gerieten Aufhebungsverträge zu unterzeichnen. In der Güteverhandlung wurde auf die Benachteiligung i.S.d. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verwiesen. Der Spargelhof Ritter hatte in einem auf YouTube veröffentlichten Interview ein Entgelt von 10,- EUR netto angeboten. Dieses Entgelt sei auch mit aus Deutschland stammenden Arbeitnehmern entsprechend vereinbart worden. Hingegen seien die rumänischen Erntehelfer geringer entlohnt worden. Der Fall könnte mit einer außergerichtlichen Einigung enden, wodurch die Beschäftigten demnächst noch an einen Teil ihrer Löhne kämen.[2]Arbeitsgericht Bonn: Klagen gegen Spargelhof Ritter (Pressemitteilung vom 30.06.2020) Der Fall wurde bereits in einer Arte-Dokumentation behandelt als beispielhafte Ausbeutung von migrantischen Arbeiter*innen.[3]Re: Schuften im Schlachthof – Rumänen in Deutschland, Asiaten in Rumänien (Verfügbar vom 11.11.2020 bis 09.02.2021) Ebenso besprochen wurde der Arbeitskampf im Ökonomie-Podcast „Wohlstand für Alle“ von Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt und zitieren dabei FAU-Sprecher Erik Hagedorn.[4]WOHLSTAND FÜR ALLE Ep. 67 zum Thema Grundeinkommen ab 13:30 wird der Arbeitskampf in Bornheim erwähnt
Ebenfalls Ärger gab es beim Getränkelieferanten Durstexpress in Leipzig. Die Schichten sollten um 50 Prozent gekürzt werden, wodurch Beschäftigten in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht wären. Willkürliche Arbeitszeitpolitik ist in der Logistik keine Seltenheit. So schließen Unternehmen Arbeitsverträge auf Basis von Teilzeit ab. Bei Wohlgefallen kann dann die Arbeitszeit erhöht werden. Nach einem Bericht des MDR-Magazin Exakt gab es ferner bei Durstexpress (Teil des Oetker-Konzerns) Unregelmäßigkeiten bei der Auszahlungen von Löhnen.[5]MDR Exakt: Mieser Job – Arbeiten bei Durstexpress (02.12.2020) Der zuständige Aktivist der FAU Leipzig äußert sich auf Presseanfragen dazu: „Das Modell Frustexpress darf nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer weiter Schule machen”.[6]Gewerkschaft FAU schlägt Alarm: Ärger beim Getränkelieferanten Durstexpress in Leipzig – Schichten drastisch gekürzt (Leipziger Volkszeitung vom 27.10.2020) Die lokale Gruppe der FAU plant dazu eine Kampagne. Nebenher kämpft die Gewerkschaft in Leipzig für ausstehende Löhne in der Gastronomie, welche ihren Mitgliedern vorenthalten werden.
Unterstützend wirkte die FAU über die neugegründete Dachorganisation der Internationalen Konföderation der Arbeiter*innen (IKA). Es ging um die im März entlassenen Arbeiter*innen der Dragon Sweater Fabrik in Dhaka (Bangladesch). Ausstehende Löhne und Abfindungen wurden ihnen nicht gezahlt. Nicht zum ersten Mal wurde hier die befreundete Gewerkschaft GWTUC (Garment Workers‘ Trade Union Center) aktiv. Nach monatelangen Protesten und internationalen Solidaritätsaktionen zahlten die Eigentümer von zwei großen Bekleidungsfabriken endlich ausstehende Entgelte und Abfindungen.
In der Vergangenheit kam die FAU bei ihren Auseinandersetzungen ab und an in Kontakt mit dem DGB-Apparat wie etwa im Fall Kino Babylon. Dies war in den letzten Auseinandersetzungen nicht mehr zu spüren. Das Feld der Konflikte in der Arbeitswelt ist auch in Deutschland so bereit, dass sich die Einheitsgewerkschaften und der Anarchosyndikalismus nicht zwangsläufig in die Quere kommen müssen.