Virginie Barbet war in den 1860er und 1870er Jahren eine bekannte Sozialistin und Feministin in Lyon und ein führendes Mitglied der dortigen Sektion der Ersten Internationale. Trotz ihrer Bedeutung gibt es jedoch über Virginie Barbet noch keine Biografie und auch keine Edition ihrer Werke.
Barbet stammte vermutlich aus Le Creuzot und betrieb in Lyon eine Gaststätte oder einen Weinhandel. 1868 lernte sie bei einem internationalen Kongress der Friedens- und Freiheitsliga in Bern, wo sie einen Vortrag über Frauenrechte hielt, Michael Bakunin kennen. Die Friedensliga, zu der prominente Reformer und Reformerinnen wie Victor Hugo, John Stuart Mill, Giuseppe Garibaldi und Marie Goegg gehörten, war eine bürgerlich orientierte Initiative, die jedoch vergleichsweise fortschrittliche Positionen bezog, vor allem im Hinblick auf die Frauenemanzipation. Soziale Verhältnisse wurden dort allerdings weitgehend ausgeblendet.
Das war der Grund, weshalb Bakunin zusammen mit einigen anderen Männern und Frauen aus der Liga austrat und eine „Allianz der sozialistischen Demokratie“ gründete, der sich dann auch Barbet anschloss. Bemerkenswert ist der sehr egalitäre Duktus ihres Programms. So wurde gleich im zweiten Punkt “die politische, ökonomische und soziale Gleichmachung der Klassen und der Individuen beider Geschlechter“ gefordert.
Die Allianz wurde dann Mitglied in der „Internationalen Arbeiter-Assoziation“ (der „Ersten Internationale“), die bereits vier Jahre zuvor gegründet worden war. Allerdings war die Internationale für Feministinnen in diesen Anfangsjahren eigentlich keine gute Adresse. Vor allem in Frankreich war die Internationale nämlich sehr vom Proudhonismus geprägt und entsprechend frauenfeindlich: Die Pariser Proudhonisten zum Beispiel weigerten sich sogar, Frauen überhaupt in ihre Sektion aufzunehmen. Auch der von Karl Marx beeinflusste Generalrat der IAA hatte zunächst Einwände gegen den Allianz-Beitritt.
Virginie Barbet war schon bald die wichtigste Kontaktfrau der Allianz in Lyon und schrieb regelmäßig Artikel für deren Zeitung “Egalité”, die Bakunin in Genf herausgab. Maßgebliche Ideen steuerte sie vor allem zu der Diskussion um das Erbrecht bei, dessen Abschaffung die Allianz forderte – eine Forderung, die Marx für falsch hielt, was zu einem Hauptgrund für den grundsätzlichen Konflikt zwischen ihm und Bakunin wurde. Barbets Rolle bei diesen Debatten wird oft unterschätzt, denn einige ihrer Grundsatzartikel wurden später fälschlicherweise Bakunin zugeschrieben.
Für die Egalité berichtete Barbet auch über einen großen Streik der Lyoner Seidenarbeiterinnen im Sommer 1869, und sie schrieb viele Artikel zur Theorie der Arbeiterbewegung und des Feminismus, verfasste Flugschriften zur Internationale, über den Atheismus und ähnliche Themen. Für die Arbeiterbewegung entwickelte sie Strategien des passiven Widerstandes: Sie befürwortete gewaltfreies Vorgehen und forderte zum Beispiel Frauen in Streiksituationen auf, sich zwischen die streikenden Männer und das anrückende Militär zu stellen, oder vor Gefängnissen für die Inhaftierten zu protestieren.
Nach der Niederschlagung der Pariser Kommune im Mai 1871 musste auch Virginie Barbet – wie viele andere – ins Schweizer Exil gehen und schloss sich in Genf der anarchistischen Opposition gegen den Generalrat und Karl Marx an. Über ihren weiteren Lebensweg ist nichts bekannt.
Antje Schrupp
Zum Weiterlesen:
Antje Schrupp: Nicht Marxistin und auch nicht Anarchistin. Frauen in der Ersten Internationale, Königstein 1999 sowie www.antjeschrupp.de/fruehe_anarchistinnen.htm