Gegen den körperlichen Ruin

Während der laufenden Verhandlungen über die Erhöhung der Gehälter in den Kindergärten und Horten, also während der Friedenspflicht, gingen die Kindergärtnerinnen bei ver.di und die Hortnerinnen in der GEW in die Urabstimmung. Offiziell nicht wegen des Tarifkonfliktes, sondern für einen Gesundheitstarifvertrag. Dort sollen Arbeitsbedingungen festgelegt werden, die den Erzieherinnen die Arbeitsfähigkeit bis zum Rentenalter ermöglichen. Neben rollbaren Stühlen in Erwachsenengröße und besseren Pausenregelungen bestehen die Hauptforderungen in Verkleinerung der Gruppen und einer Änderung des Betreuungsschlüssels. Die Gruppenstärke überschreitet im Gebiet des ver.di-Landesbezirks Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen oft zwanzig Kinder. Auf eine Erzieherin kommen 18-25 Kinder. Bei dieser Rechnung wird allerdings davon ausgegangen, dass alle Erzieherinnen vollzeitbeschäftigt sind. Dies ist aber gerade durch die zahlreichen ABM-Stellen nicht der Fall1. Durch die hohe Gruppenstärke sind Kinder und ErzieherInnen Lautstärken ausgesetzt, bei denen das Arbeitsschutzgesetz in anderen Branchen wie Bau oder Flugwesen Ohrenschützer vorschreibt. Ziel ist, der Geschäftsführerin des ver.di-Tarifbezirks Nordsachsen Ines Jahn zufolge, ein Betreuungsschlüssel von einer Erzieherin zu acht Kindern, und dass nicht nur Erzieherinnen sondern auch Erzieher eingestellt werden.

Streik für einen Tag

Die Urabstimmungen in den einzelnen Tarifbezirken erreichten Ergebnisse von 96% und mehr. Der Streikwille wurde also eindrucksvoll bekundet. Doch über eine Woche lang fand im zusammengeschlossenen DGB-Landesbezirk Mitteldeutschland nicht ein Streik statt. Dann wurde abwechselnd in einigen Kindergärten und Horten gestreikt. Immer nur für einen Tag. Die Eltern waren langfristig informiert. Innerhalb der ver.di- und GEW-Apparate wird dies damit begründet, dass die Eltern nicht gegen die Erzieherinnen aufgebracht werden sollen und die Beschäftigten langsam an die Kampfform Streik herangeführt werden sollen.

Das erste Argument könnte akzeptiert werden: Denn dieser Tagesstreik ist wirklich äußerst sozialverträglich. Die überwiegende Zahl der Eltern solidarisiert sich mit den „streikenden“ Kindergärtnerinnen und ihren Forderungen.

Das Ziel der langsamen Heranführung an Streiks überhaupt ist problematischer. Als 2006 in den Unikliniken gestreikt wurde, war dies für fast alle dortigen Beschäftigten der erste Streik. Dennoch wurden die Streiks mit aller wünschenswerten Konsequenz durchgeführt. Die Streikkasse wird durch den Ein-Tages-Streik zwar geschont, aber auch der erzeugte Druck auf die Kommunen ist dürftig. Dazu kommt, dass durch Eintagesstreiks ArbeiterInnen wenig Einfluss auf und Selbstbewusstsein für die eigenen Kämpfe gewinnen können, gemeinsame Versammlungen vor Ort zur Artikulation der Betroffenen nur eingeschränkt möglich sind und die kollektive Erfahrung gemeinsam durchgestandener Kämpfe wegfällt. Zudem sind Solidaritätsbesuche oder -bekundungen für Angehörige anderer ver.di-Fachbereiche oder anderer Gewerkschaften äußerst schwierig, wenn sie nicht Kinder in den „bestreikten“ Einrichtungen haben. Das Angebot der FAU Leipzig an die Beschäftigten eines Kindergartens, ihr Gewerkschaftslokal als Streiklokal zu nutzen, wurde zwar begrüßt, aber nicht in Anspruch genommen. Dennoch nutzten einige FAU-Gruppen die Möglichkeit, sich an den Demonstrationen und Kundgebungen der Teilzeitstreikenden zu beteiligen, wie zum Beispiel am 17. Juni 2009 im Rahmen der gemeinsamen Bildungsstreikdemonstration in Leipzig.

Ein Warm-up für mehr?

Bisher haben die Vertreter der Kommunen noch kein Angebot gemacht. Sollten die Tagesstreiks nur eine Übung gewesen sein, wie dies u.a. Ines Jahn andeutete, und nun echte Streiks beginnen, ist auch die kreative und spontane Unterstützung durch die Mitglieder der FAU und allen solidarischen ArbeiterInnen und Eltern gefragt. Von Kuchen backen für die Streikenden bis zur zeitweisen Kinderbetreuung in FAU-Lokalen und Stadtteilläden gibt es zahlreiche Möglichkeiten, den Streik der Erzieherinnen gegen krankmachende Arbeitsbedingungen zu unterstützen.

 

Anmerkungen:

[1] In den Kindergärten der sogenannten Wohlfahrtsverbände wie Arbeiterwohlfahrt oder Caritas wurden 2005 bis zu 90% der Kindergärtnerinnen entlassen. Dann wurden selbige als 1-Euro-Jobber wieder eingestellt. Nach zahlreichen Gerichtsprozessen und Protesten wurden diese Stellen in ABM-Stellen (25 oder 30 Stunden) umgewandelt.

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